Richard von Weizsäcker: So geht Bundespräsident, Herr Wulff! - WELT
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Meinung Richard von Weizsäcker

So geht Bundespräsident, Herr Wulff!

Im höchsten Staatsamt hat Richard von Weizsäcker bis heute Maßstäbe gesetzt. Ihm gelang das, was selten gelingt: die Legierung von Macht und Moral.

Richard von Weizsäcker : Es gibt Anlass zu der Frage, was das Geheimnis seiner Amtszeit als Bundespräsident 1984 bis 1994 war – und darüber hinaus. Die kurze Antwort lautet: Er war Projektionsfläche für die Hoffnung der Deutschen, es möchten Geist und Macht sich versöhnen.

Als er nach zehn Jahren aus dem Amt schied – den Rahmen gab noch die rheinische Villa Hammerschmidt, nicht das königlich-preußische Bellevue –, da konstatierte ein Abschiedsartikel, wohl wissend, dass die evangelischen Gene derlei nicht hergeben: „Ende des Hochamts“. In die Ironie mischte sich unausgesprochenes Bedauern, dass das Grundgesetz die Monarchie auch für Ausnahmefälle nicht vorsieht.

Die Erfahrung, dass Weizsäcker auch zwei Jahrzehnte nach dem Abschied an Autorität und Beliebtheit kaum zu übertreffen ist – allenfalls von Helmut Schmidt –, spricht dafür, dass ihm die Legierung von Macht und Moral glückte wie keinem zuvor oder seitdem.

Er nutzte die kargen Möglichkeiten, die das Grundgesetz dem Amt zugesteht – außer als es um die deutsche Einheit ging. Da ließ er sich von Diplomatie und Staatsklugheit leiten, machte den Warner und hatte in vielem recht. Doch vergaß er, anders als Helmut Kohl und Willy Brandt, dass man das Eisen schmieden muss, solange es heiß ist. Dies war die Krise aller Krisen.

Das volle Gefahrenpotenzial, als der Osten einstürzte, hat sich den Deutschen damals nicht enthüllt und auch nicht später. Es musste nicht so schiedlich-friedlich kommen, wie es dann kam.

Es war nicht sein Stil

Kohl sprach, Bismarck paraphrasierend, vom Mantel Gottes, der durch die Geschichte geht, und wie der Staatsmann aufspringen und ihn festhalten müsse. Von Weizsäcker hat man solches nicht gehört. Es war nicht sein Stil, nicht seine Möglichkeit. Der Geist war, für diesmal, der Macht unterlegen.

Populär ist er. Aber dass er ein Mann des Volkes sei, hat ihm noch keiner nachgesagt. Das erstaunliche, auf stille Monarchiesehnsucht verweisende Faktum bleibt, dass die Leute akzeptierten, wie Weizsäcker bei aller Jovialität und Offenheit immer aus einer anderen Welt kam und kommt.

Es ist die Welt von Adel und Bildungsbürgertum und weitreichenden Familienbeziehungen, die Wettkampf und Leistung fordern; die Welt humanistischer Bildung; des Oxford College und eines liberalen Protestantismus; Erinnerung auch an das Infanterieregiment 9 („Graf Neun“), das die Tradition der preußischen Garderegimenter zu Fuß in die Reichswehr der Republik weitertrug, bis in den militärischen Widerstand gegen Hitler.

In Nürnberg, beim Wilhelmstraßen-Prozess gegen die deutschen Diplomaten, ist der junge Jurist für den Vater, ehemals Staatssekretär unter Hitlers Außenminister Ribbentrop, in die Bresche gesprungen als Hilfsverteidiger:

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Die Rede zum 8.Mai 1985, nach 40 Jahren Wanderung der Deutschen durch die Wüste, konnte nur einer halten, der um die Verführungen und Verstrickungen der Tyrannei nicht nur aus Büchern wusste, sondern auch aus familiärer Nähe.

In die Politik kam der Wirtschaftsjurist über Industrieverbindungen und die Laienbewegung der evangelischen Kirche als, wie das abweisende Wort unter Insidern lautet, Seiteneinsteiger.

Kritik am Kanzler und am Parteienstaat

Dass Helmut Kohl den eigenwilligen Abgeordneten forderte und förderte – nicht zuletzt durch Verschaffung eines Mandats zum Bundestag – hat diesen nicht zu besonderer Zuneigung bewegt: nicht in der Kritik am Kanzler, nicht in der am Parteienstaat.

Allerdings: Als die CDU/CSU-Fraktion über die „neue Ostpolitik“ der sozialliberalen Bundesregierung sich fast zerlegte, hat Weizsäcker Kante bewiesen und Kohl darin unterstützt, einen konstruktiven Kurs zu finden und die Machtchance zu wahren. Als der Kanzler ihn in Berlin halten wollte, als Regierenden Seelendoktor für die geteilte und abgeschnittene Stadt, hat Weizsäcker Ego gezeigt und auf seinem eigenen Entwurf bestanden.

Weizsäckers Hellsicht auf den Parteienstaat und dessen krakenhaftes Ausgreifen war unnachsichtig, jedenfalls durch Dankbarkeit ungetrübt. Herkunft und Lebenserfahrung, Weltkrieg und zivile Karriere – das gab Distanz, mehr als bei allen Vorgängern und Nachfolgern. Der Anzug des Bundespräsidenten war für ihn geschneidert – in der allgemeinen wie in der eigenen Meinung.

Der erste Bundespräsident Theodor Heuss war unverkennbar süddeutscher Liberaler, ein Honoratior direkt aus dem 19.Jahrhundert. Heinrich Lübke repräsentierte das katholische, landverbundene Kleinbürgertum und zahlte, als ihm die Taktiken der Politik die zweite Amtszeit aufzwangen, Tribut an die Hinfälligkeit der menschlichen Natur.

Gustav Heinemann verstand sich als Praeceptor Germaniae, sauertöpfischer Mahner an Deutschlands verpasste Chancen, Vorläufer der sozialliberalen Koalition. Walter Scheel bleibt als Treiber der neuen Ostpolitik im Gedächtnis, aber auch als jovialer Freigeist. Karl Carstens war immer der hohe Beamte, Staatsrechtsprofessor und, obwohl er sich mühte, wenig nahbar.

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Und dann kam 1984 Richard von Weizsäcker, Württemberger aus Berlin, umgab sich mit dem begabtesten Stab, den ein Bundespräsident je aussuchte, sprach mit Gerechten und Ungerechten und ging daran, das Amt neu zu definieren zwischen der Ohnmacht, welche die Verfassungsväter, eingedenk der Weimarer Katastrophe, ihm eingepflanzt hatten, und der Autorität, die ihm innewohnt und die Weizsäcker aufbaute wie ein magnetisches Feld.

Charisma ist das Wort

Die zweite Amtszeit kam wie von selbst: Charisma ist das Wort, und es dauerte über die acht Jahre hinaus. Dabei war Weizsäcker in Machtdingen zu klug und zu erfahren, es jemals auf offenen Konflikt ankommen zu lassen.

Was blieb und was bleibt? Weizsäcker hat dem Kanzler Idee und Verteidigung des großen Geschichtsprojekts Deutsches Historisches Museum in Berlin überlassen ebenso wie das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Und doch hat der welt- und wortgewandte Freiherr den Deutschen geholfen, mehr als jeder andere, die Vieldeutigkeit ihrer Geschichte anzunehmen, Selbstbewusstsein zu entwickeln und in europäischen Horizonten patriotisch zu denken. Mit der Macht hat er sich, als er sie haben konnte, nur behutsam, auf Probe und Distanz eingelassen. Er verstand, dass es der Geist ist, zuerst und zuletzt, der die Materie treibt.

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