Rainer Bock: „Ich finde es toll, wenn mir Vorurteile um die Ohren gehauen werden“
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„Ich finde es toll, wenn mir Vorurteile um die Ohren gehauen werden“

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Der Schauspieler Rainer Bock.
Der Schauspieler Rainer Bock. © dpa/picture alliance/SvenSimon

Der Schauspieler Rainer Bock über Männerrollen, seine Sorge um die Freiheit - und warum er es für Unsinn hält, vom Recht des Stärkeren zu sprechen

Das Wetter ist schuld. Eigentlich hätte das Gespräch in einer Gastwirtschaft in München stattfinden sollen. Draußen, denn Rainer Bock möchte, was Covid-19 angeht, nichts riskieren. Aber dann regnet es in München in Strömen. Also doch ein Telefongespräch. Rainer Bock nimmt sich Zeit und spricht trotz des Mediums Telefon unmittelbar und persönlich.

Herr Bock, kaum ein Schauspieler kann in Rollen so beredt schweigen wie Sie. Wie machen Sie das?

Ich tu mich schwer, Rezepte der Schauspielkunst zum Besten zu geben. Erstens, weil ich sie nicht kenne, und zweitens, weil ich zu faul bin, mir welche auszudenken. Ich glaube, es hat etwas mit den unterschiedlichen Medien zu tun. Auf der Bühne kommen Sie mit dem Schweigen nicht weit. Da müssen Sie sprechen, und da müssen Sie verhältnismäßig ausagieren, damit Sie auch über die erste und zweite Reihe hinaus verstanden und wahrgenommen werden. Der Vorteil der Arbeit mit der Kamera ist natürlich, dass die Kamera in den Augen, in den Gesichtern der Darsteller lesen kann. Wenn da etwas geschrieben steht. Warum das bei mir offenbar funktioniert – das entnehme ich jetzt Ihren Worten – kann ich nicht sagen. Es hat vielleicht damit zu tun, dass ich kein uninteressantes Gesicht habe, und es hat vielleicht damit etwas zu tun, dass ich in der Situation versuche, das zu denken, was in der Situation auch wirklich stattfindet.

Die Figur, die Sie in „Exil“ spielen, wird in ihrer ganzen Tragik erst am Ende entschlüsselt. Entwickeln Sie sie auch von ihrem Ende her?

Ich wusste, worauf es hinauslaufen wird. Aber es ist wichtig, so wenig wie möglich vom Innenleben der Figur vorwegnehmend zu erzählen. Dass man versucht, ihr Geheimnis wirklich zu bewahren und nicht schon durch entsprechende Gestik und Blicke und Tätigkeiten etwas über ihre Geschichte zu verraten.

Sie spielen in „Exil“ einen Mann voller unterdrückter Wut. Ein Typus, der nicht allzu selten ist.

Ja, woran liegt denn das, dass es so viele menschliche Deformationen in unserer Gesellschaft gibt?

Das frage ich Sie.

Könnte es mit den Arbeitsprozessen zusammenhängen? Damit, dass so viele Menschen durch schlechte Arbeitsbedingungen sich selbst entfremdet werden? Warum gibt es so viele Menschen, die nicht wirklich glücklich sind im Beruf oder überfordert werden und dadurch im geschwächten Selbstbewusstsein empfänglicher und verletzlicher werden bei Angriffen gegen ihre Person durch Außenstehende? Es ist eine sehr intelligente Volte, dass der Regisseur Visar Morina, der auch das Drehbuch geschrieben hat, sich nicht nur auf das mit einem Migrationshintergrund verbundene Mobbing konzentriert, sondern auch die parallele Entwicklungsgeschichte einer deutschen Figur erzählt. Es kann wirklich jeden treffen.

Mobbing ist oft schwer greifbar, das macht die Betroffenen so hilflos.

Ich kenne durchaus Menschen, die sich erfolgreich gewehrt haben. Es ist immer die Frage, inwieweit man versucht, Menschen mit ins Boot zu nehmen, inwieweit man versucht, Solidarität einzuklagen. Die Gründe, das zu tun oder zu lassen, sind vielfältig. Es stehen Jobs auf dem Spiel, Familien. Ein Film kann in 90 Minuten nicht alles zeigen, aber „Exil“ spricht das Thema an, so bitter und so hart wie es ist, und tut das auf eine unaufgeregte Weise.

Haben Sie Mobbing selbst erlebt – etwa am Theater?

Es gibt kaum einen hierarchischer strukturierten Apparat als das Theater. Das ist vergleichbar mit dem Aufbau eines Klinikums von Chefarzt, Oberarzt und so weiter bis hin zur Putzhilfe. Da bleibt es nicht aus, dass man mit Mobbing konfrontiert wird. Ich hatte in den dreißig Jahren, in denen ich Theater gespielt habe, das Glück sehr homogener Ensembles. Es gab natürlich kleinere Reibereien und Konkurrenzrangeleien, auch größere Kämpfe bei den Proben, die aber immer inhaltlich-thematisch begründet waren. Mehr ist mir da nicht geschehen, wahrscheinlich habe ich einfach Glück gehabt.

Zur Person

Rainer Bock, 1954 in Kiel geboren, war nach dem Schauspielstudium mehr als dreißig Jahre lang an renommierten Bühnen wie dem Bayerischen Staatsschauspiel in München engagiert. Sein Kinodebut hatte er 2009 in Michael Hanekes Film „Das weiße Band“. Danach folgten Auftritte in „Inglourious Basterds“, „A Most Wanted Man“ sowie in Serien wie „Better Call Saul“ und dem TV-Film „Der Überläufer“.

2019 bekam er für die Rolle im Kinofilm „Atlas“, einem Gentrifizierungsdrama, in dem er einen Möbelpacker spielt, den Deutschen Schauspielpreis als Bester Hauptdarsteller. Im aktuellen Kinofilm „Exil“ spielt Bock einen undurchschaubaren Angestellten, dessen Geschichte sich erst am Ende enthüllt. Bock lebt mit seiner Frau, der Malerin Christina Bock, in München. Das Paar hat einen erwachsenen Sohn. (FR)

Wer gemobbt wird, wird oft noch psychologisierend einer Mitschuld bezichtigt.

Das ist die Philosophie des Rechts des Stärkeren. Wer sich nicht wehrt, hat verloren. Das ist natürlich ein Unding. Im Gegenteil: Eine Gesellschaft sollte so aufgebaut sein, dass die Starken die Schwachen stützen und ihnen helfen, stark zu werden, sich entwickeln zu können. Ich finde genau an diesem Punkt die Corona-Krise auch spannend. Man sieht, wie die Extreme hervorploppen – nicht aus dem Nichts. Dass es sie gibt, hat man gewusst. Es findet eine Entsolidarisierung statt, die ich ganz gruselig finde. Dabei hat es einmal solidarisch angefangen.

Die Teilnehmer sogenannter „Hygiene-Demos“ nehmen für sich den Begriff der Freiheit in Anspruch. Zu Recht?

Nein, da fasse ich mir wirklich an den Kopf. Es gibt so viele Dinge, wegen derer man seit Jahrzehnten hätte demonstrieren können, nichts ist passiert. Und auf einmal scheint die Freiheit irrsinnig eingeschränkt zu sein. Ich weiß, dass es ganz vielen ganz beschissen geht und auch gehen wird, das vergesse ich nicht. Das ist ja alles noch nicht zu Ende, und ich versuche auch in meinen Möglichkeiten, etwas für andere zu tun. Den Aufschrei „Wovon soll ich leben?“ – den verstehe ich allemal. Da müssen sich Politiker und vor allem die Wirtschaft etwas überlegen.

In der Filmbranche werden vor allem kleinere Produktionsfirmen in Not geraten. Was heißt das für einen Schauspieler?

Produktionen, die aus dem Mainstream herausfallen, werden noch mehr Probleme kriegen. Ich hoffe, dass Frau Grütters das registriert und diesen Produktionen helfen wird. Aber man wird nicht allen helfen können, das wird so sein. Und auch wir Schauspieler werden sicherlich mit einer dünneren Auftragsdecke zurechtkommen müssen. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass dieser Irrsinnsspuk bis Mitte nächsten Jahres vorbei oder in Griff zu kriegen ist, sei es, weil es ein Medikament gibt oder eine Impfung. Die Pandemie lehrt uns, wie fraglich unsere gesellschaftlichen Ordnungen aufgebaut sind. Man sieht, wie durch so ein Virus, das zwar gravierend ist, aber nun auch nicht pestartige Auswüchse hervorbringt – das darf man ja auch mal sagen, ohne gleich in die Corona-Leugner-Ecke gestellt zu werden – alles aus dem Gleichgewicht gerät. Das spricht nicht unbedingt für die Stabilität dieser Systeme. Politiker würden jetzt widersprechen und fragen: „Wieso, wir haben es doch im Griff, es ist doch stabil!“ Also – ich bin kein Weissager. Ich bin mit diesem Problem auch das erste Mal in meinem Leben konfrontiert, wie wir alle. Ich hoffe, dass wir das zeitnah bestehen und dass es Kompensationsmöglichkeiten genug gibt. Auf der anderen Seite sind wir ein sehr reiches Land. Es ist im Kleinen wie im Großen ein Verteilungsproblem und in dieser Situation erst Recht. Deshalb hoffe ich, dass sich die Staaten zusammentun, um neue Strukturen aufzubauen, dazu müssen aber auch die bereit sein, die zurzeit die Macht haben. So einfach ist mein Weltbild.

Es lässt immerhin Raum für Hoffnung…

Ja, auf jeden Fall. Ich glaube auch, dass ich das alles realistisch sehe und bis zu einem bestimmten Punkt beurteilen kann. Man ist ja wenigstens in der Lage, Informationen zu kriegen. Inwieweit man sie einordnen kann, ist eine andere Frage, aber man kann nicht sagen, dass wir informationslos vor uns hindämmern. Im Gegenteil, die Flut an Informationen ist ja das Problem und dass sich diese Informationen teilweise widersprechen. Aber ich glaube, dass man sich gedanklich eine Position zu Corona erarbeiten kann, die einen nicht in die Panik stürzen muss. Wobei es sicher Leute gibt, die nun sagen, „also, wenn du nicht einmal in eine Kneipe gehst, dann bist du ja schon panisch“. Aber das habe ich auch während der Influenza nicht gemacht, und so ist es mir gelungen, in den letzten Jahren keine Grippe zu kriegen. Ein gewisser Selbstschutz war mir immer wichtig.

Kommen wir wieder auf die Männer, die Sie spielen. Viele scheinen in einer Art „Körperpanzer“ zu stecken, ein Begriff, den Klaus Theweleit in seinen „Männerphantasien“ geschaffen hat, einem Kultbuch der späten Siebziger Jahre, die für Sie prägend waren. Hatte das Buch einen Einfluss auf Sie?

Nein, gar nicht. Und ich kann Ihnen da auch nicht ganz folgen. Die Figuren, die ich gespielt habe, empfinde ich alles andere als gepanzert. Sie mögen vielleicht nicht alles vor sich hertragen, aber die Durchlässigkeit und die Brüchigkeit dieser Figuren habe ich immer versucht darzustellen. Das war bei „Atlas“ genauso. Dieser Mann würde gar nicht aus seiner Lebensbahn herauskommen, wenn er nicht diese Luzidität hätte. Mich interessiert immer das, was unter irgendetwas verborgen liegt. Ich finde es auch immer ganz toll, wenn mir Vorurteile, gegen die ich auch nicht gefeit bin, so richtig schön um die Ohren gehauen werden. Das finde ich großartig. Wenn ich Entdeckungen mache bei Menschen, von denen ich ein bestimmtes Bild hatte, das sich auch schon zu verfestigen drohte, wenn das auf einmal völlig umgeworfen wird. Das ist das, was ich im Leben besonders spannend finde und eben auch an Figuren, die zu spielen sind. Aber ich weiß ja, worauf Sie anspielen, auf den Arzt in Michael Hanekes „Das weiße Band“, aber das sind ja Figuren, die auf eine ganz andere Charakteristik hin angelegt waren.

Männer sind unter Druck geraten, seit Frauen gleiche Rechte beanspruchen. Gerade in „Exil“ kann man auch deutlich sehen, wie Paare daran scheitern oder wachsen. Die von Ihnen gespielte Figur namens Urs ist in gewisser Weise der Typus des sich gedemütigt fühlenden Mannes. Denken Sie so etwas mit bei der Vorbereitung einer Rolle?

Nein, ich kann mir nicht die ganze Sozialisation einer Figur vor Augen halten, von Kindesbeinen an, um mir zu erklären, wie Urs dahin gekommen ist, wo er jetzt ist. Aber ich habe so viel Fantasie, Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, dass ich mit solchen Menschen konfrontiert worden bin. Und das, was ich in meinem eigenen Fundus dazu finde, das versuche ich, dieser Figur beizugeben.

In dem TV-Film „Mein Altweibersommer“ sah man Sie vor kurzem als Ehemann einer von Iris Berben gespielten Frau, die mit einem Wanderzirkus-Schausteller durchbrennt. Er wird verlassen – und dennoch bleibt die Liebe des Ehemanns bestehen.

Dieser Mann war eben auch überhaupt nicht gepanzert. Da wird jemand schwer verletzt und erkennt das auch, und dabei wartet er verletzt, aber verhältnismäßig ruhig ab, was geschieht. Er weiß, dass ausflippen, Vorwürfe machen, Enttarnung überhaupt nichts bringen würden. Er vertraut darauf, dass noch so viel Liebe vorhanden sein wird, dass sie zu ihm zurückkommt. Das empfinde ich als eine sehr positive Charaktereigenschaft. Denn Verletzungen in Zweierbeziehungen führen bei Männern oft zu drastischen Reaktionen. Sie sind nicht in der Lage, eine Veränderung mitzugehen, eine Veränderung zu akzeptieren, einer Veränderung die Gründe abzulauschen, die vielleicht bei ihnen selbst liegen könnten, um daraus für ihre eigene Entwicklung als Mensch und Mann Konsequenzen zu ziehen und neu auf die Situation zu blicken. Das ist auf Grund der männlichen Sozialisation der letzten paar hundert Jahre für viele sehr schwer. Die meisten Morde und Gewalttaten von Männern geschehen aus Beziehungsquälereien heraus.

Als Sie ein junger Mann waren, wurde die Welt noch in Softies und Machos unterteilt. In Männergruppen wurde gegen die eigene Erziehung in festen Rollenschemata angegangen. Kennen Sie das alles?

Ich bin natürlich ein Kind der Siebziger Jahre, meine Sozialisation hat Ende der Sechziger-, Anfang der Siebziger Jahre stattgefunden, und da herrschte ein ganz anderer Zeitgeist vor. Die Sexualität wurde neu entdeckt, das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen wurde neu definiert, die Emanzipation war dabei, sich zu äußern. Männergruppen, die sich zusammenfanden, habe ich damals immer für ein Feigenblatt gehalten, sie trafen sich, um herauszufinden, wie sie noch besser um Frauen konkurrieren konnten. Ich habe in den Jahren, in denen entscheidende Pfeiler gesetzt werden, was Beziehungen betrifft, mit schwulen Männern zusammengewohnt, und da habe ich einen ganz anderen emotionalen Umgang gesehen und gelernt.

Michael Haneke hat mir in einem Interview einmal gesagt, dass die meisten 68er-Eltern in der Erziehung ihrer Kinder gescheitert sind, gerade im intellektuellen und künstlerischen Milieu. Sie sind Vater eines Sohnes, ein passionierter, wie man in Interviews mit Ihnen lesen kann.

Ja, absolut. Es kann auch damit zu tun haben, dass unser Sohn ein Einzelkind ist und die Energie, das Interesse, die Liebe in dieses einzelne Menschenkind gegangen ist. Da war nichts erzwungen, es lief einfach sehr harmonisch. Es ist bis heute so, dass zwischen uns ein großes Vertrauen besteht, dass er alles mit uns besprechen kann. Nicht weil er niemanden sonst hätte. Aber es ist eben nicht nur ein Eltern-Sohn-Verhältnis, es ist auch eine sehr tiefe Freundschaft.

Interview: Christina Bylow

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