Lange zog es die Bundesregierung nicht einmal in Erwägung, nun wird es doch passieren: Etwa 40 Marder-Schützenpanzer sollen aus den Beständen der Bundeswehr an die ukrainische Front geschickt werden. Die sogenannte „Panzerwende“ erfolgte kurz nachdem Frankreich und die USA die Lieferung ihrer Schützenpanzer angekündigt hatten – und nachdem sich Kanzler Olaf Scholz immer wieder gegen deutsche „Alleingänge“ ausgesprochen hatte.
Stimmen aus der FDP und den Grünen fordern in einem nächsten Schritt auch die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern. Auch die polnische Regierung will das, muss aber auf die Genehmigung des Herstellerlandes warten, also Deutschland. Wird auch hier der Sinneswandel kommen? Und wird die Panzerlieferung der Ukraine überhaupt im Kampf gegen Russland nützen?
Das diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen, darunter dem ehemaligen US-Admiral und Oberbefehlshaber der Nato in Europa, James G. Stavridis. Ebenfalls eingeladen waren CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen und die Juso-Vorsitzende Julia Rosenthal. Außerdem kamen die ZDF-Auslandsreporterin Katrin Eigendorf, der „Spiegel“-Reporter Matthias Gebauer und die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff zu Wort.
Ex-Nato-Oberbefehlshaber Stavridis schaltete sich aus Florida in die Runde, im Hintergrund waren ein Globus zu sehen, ein Bild der verstorbenen Queen und ein „Schiffe versenken“-Spiel. Die Lieferung von Panzern sei „von kritischer Wichtigkeit“, sagte Stavridis, da man davon ausgehe, dass Russland eine erneute Mobilisierung mit zusätzlichen Truppen im Frühjahr plane. „Die sind zwar nicht besonders gut ausgebildet“, fügte er hinzu. „Aber die Quantität wird sich dann von selbst in eine Qualität übersetzen.“
Stavridis lobte die Bemühungen von US-Präsident Joe Biden, den transatlantischen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Es brauche auch weiterhin eine „einheitliche Anstrengung“, die defensiven Fähigkeiten der Ukraine auszubauen, ohne dabei Schläge auf russisches Territorium zu ermutigen. Dazu würden auch Kampfflugzeuge gehören, denn in der Luft sei Putin derzeit noch stärker als auf dem Boden.
„Ich denke schon, dass die Ukraine Kampfflugzeuge braucht“, sagte Stavridis. Er denke an MiG-29-Kampfjets aus Polen, die die Ukrainer zu bedienen wüssten und die direkt geliefert werden könnten. „Die könnten dann unterstützt werden durch F-16 von den Vereinigten Staaten.“
Einen militärischen Sieg der Ukraine mitsamt der Vertreibung der russischen Truppen hält Stavridis für unrealistisch. Vor allem aber auf die Entschlossenheit der Ukrainer müsse man weiterhin setzen, sagte er: „Wenn die russischen Soldaten sich umdrehen, wen sehen sie da? Sie sehen einen Diktator in Moskau. Sie sehen eine Invasion, die das Völkerrecht gebrochen hat. Sie sehen schlechte Generäle, und sie sehen eine nicht besonders effektive Logistik.“
Die Ukrainer hingegen würden durch ihre Familien, ihre Städte und ihren Zusammenhalt gestärkt. Das müsse man durch weitere Waffenlieferungen fördern, „damit sie dann auch letztlich irgendwann auf glaubwürdige und starke Art und Weise in Verhandlungen gehen können“.
Auch ZDF-Reporterin Eigendorf betrachtete die Lage der Ukrainer kritisch. Im Moment führe das Land einen „Überlebenskampf“, sagte sie, es gehe dabei nicht mehr um Fragen wie die Rückeroberung der Krim. Als Journalistin sei sie vor Kurzem an der Front gewesen, dort habe sie beobachtet, dass ukrainische Soldaten mit Kalaschnikows aus Schützengräben heraus geschossen hätten: „Da fühlt man sich ja wirklich an den Ersten Weltkrieg erinnert, also ,Im Westen nichts Neues‘“, sagte sie. „Da braucht man gar nicht in die Kinos zu gehen.“
Man müsse „beherzter“ Waffen liefern, fordert die ZDF-Journalistin
Die Ukrainer seien frustriert über das Ausmaß der Waffenlieferungen aus dem Westen, obwohl sie bereits von ihren „Maximalforderungen“ abgesehen hätten. „Wir müssen mal ein Kriegsziel definieren“, sagte Eigendorf. „Welche Stellung will denn der Westen in diesem Krieg einnehmen?“ Im Idealfall müsse das Ziel sein, Russland an der aktuellen Art der Kriegsführung zu hindern – dafür müsse man aber deutlich „beherzter und viel klarer“ Waffen liefern und sowohl den Boden als auch den Luftraum sichern, schloss sie sich Stavridis an.
Die Juso-Vorsitzende Rosenthal verteidigte den Kurs der Bundesregierung: Die gemeinsame Entscheidung mit Frankreich und den USA sei gemäß der sich verändernden Situation an den Fronten gefallen. Die Sorge vor einer atomaren Eskalation solle man nicht nur als „Hirngespinst einiger SPD-Politikerinnen“ abtun.
Das gelte auch bei einer möglichen Lieferung von Leopard-Kampfpanzern, denn auch das bedürfe einer Abwägung, sagte Rosenthal: „Mein Verständnis von Abstimmungen ist nicht, dass Dinge in der Presse kommuniziert werden, sondern ich glaube, Abstimmung verläuft vor allem so, dass man sich miteinander berät und dann gemeinsam agiert.“
CDU-Politiker Norbert Röttgen kritisierte das: „Den Vorwand des Alleingangs, den wir angeblich ausschließen wollen, den glaubt ja keiner. Es ist der Alleingang des Kanzlers, etwas zu verweigern.“ Die Regierung habe nur entschieden, den Marder zu liefern, weil der französische Präsident Emmanuel Macron vorangegangen sei und Druck auf Deutschland aufgebaut habe. Die Lieferung der Schützenpanzer sei nun die Öffnung eines Tors, die so viel Druck erzeugen würde, dass in wenigen Wochen auch die Lieferung des Leopard-Panzers beschlossen würde, prophezeite Röttgen.
Es sei „ungünstig“, dass Macron nach einer gemeinsamen Abstimmung „vorgeprescht“ sei, entgegnete Rosenthal. Trotzdem habe sich die Bundesregierung stets verpflichtet, „kontinuierliche Solidarität“ zu leisten. Deutschland halte dabei immer noch daran, keine „Alleingänge“ zu wollen. Auf Nachfrage Illners lobte Rosenthal die Arbeit von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die immer wieder in die Kritik geraten war.
Die deutsche Unterstützung sei nicht immer effektiv
Eine stärkere europäische Lösung begrüßte auch „Spiegel“-Reporter Gebauer. Olaf Scholz müsse jetzt versuchen, die europäischen Staaten so diskret wie möglich an einen Tisch zu bringen, um öffentliche Debatten zu verhindern, sagte er. Polen benutze nämlich Diskussionen wie die um den Leopard als „Trigger“. Dem stimmte auch die Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Nicole Deitelhoff, zu. Es sei aber ermüdend, die Frage zu debattieren, ob die Bundesregierung „die ganze Zeit auf der Bremse“ stehe.
Faktisch sei Deutschland schließlich neben den USA einer der stärksten Unterstützer der Ukraine. Die deutsche Unterstützung sei bloß nicht immer effektiv. Auch Gebauer betonte, dass 40 Panzer an einer langen Front wenig bewirken würden. Zudem mangele es auch erheblich an technischer Ausrüstung. Man müsse sich jetzt schon vorbereiten und mit der Industrie absprechen, welche Lieferungen möglich wären – für den Fall, dass man doch noch einmal eine Wende beschließt.
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