Opa fuhr W 123, Bauer Franz auch, die meisten Taxler und natürlich unser spießiger Vermieter. Immerhin entschied sich Anton S. für einen 280 E mit Automatik, er war ja Bauunternehmer und musste nicht so wahnsinnig aufs Geld achten. Das Schönste daran: Der Sound des Reihensechszylinders ließ jedes Mal sanft die Scheiben erzittern, wenn die Limousine in die Garage fuhr. So etwas prägt.
Jugenderinnerungen an ein ganz besonderes Automobil hat wohl jeder. Dass die Mercedes-Mittelklasse bei vielen Menschen eine Rolle spielt, liegt an ihrer Verbreitung. Neben Käfer, Golf und Kadett machte sich ab 1976 der W 123 auf unseren Straßen so richtig breit.
Historie
Als Nachfolger des W 114/115 musste der W 123 ambitionierte Ziele erfüllen. Schließlich verkaufte sich der von 1968 bis 1976 gebaute Strich-Acht vorzüglich: Knapp zwei Millionen Autos gingen in die ganze Welt. Doch der W 123 war praktisch vom Start weg äußerst beliebt, wie die langen Lieferfristen belegen. Ähnlich wie beim Vorgänger waren die Kunden bereit, auf manche Modellvarianten jahrelang zu warten. Das schicke Coupé galt eine gewisse Zeit lang als das Auto mit der längsten Lieferzeit überhaupt.
Karosserie-Varianten
Der 123er ist anders und besonders, weil es ihn in vier Karosserievarianten und zwölf Motorisierungen gab. Weil ihn während seiner gut zehnjährigen Bauzeit von Ende 1975 bis Anfang 1986 nicht weniger als 64 zum Teil schrille Farben schmückten und weil er mit einer Stückzahl von 2.696.915 Exemplaren der erfolgreichste Mercedes aller Zeiten ist. In dieser Disziplin schlägt er seinen Nachfolger W124, von dem es neben dem Sternen-Dreiklang Limousine, Coupé und T-Limousine auch noch ein Cabriolet gab, um satte 113.545 Exemplare.
Die große Bandbreite bei der Karosserie macht den W 123 zu einem beliebten Oldtimer. Für den klassischen Viertürer spricht die pure Linie der typischen Mercedes-Limousine. Mit einem Radstand von 3.425 Millimetern gab es auch die um satte 63 Zentimeter gewachsene Langversion mit drei Sitzreihen, die nicht nur als Repräsentationswagen oder Taxi im Einsatz war, sondern häufig als Basis für Kranken- oder Leichenwagen diente. Das 85 Millimeter kürzere und 35 Millimeter flachere Coupé gefällt durch seine rahmenlosen Seitenscheiben und die fehlende B-Säule. Wie die Limousine ist auch der Zweitürer als Fünfsitzer zugelassen, doch der Platz auf dem mittleren Sitzkissen im Fond ist wirklich nur in Notfällen einem Erwachsenen zuzumuten.
Am praktischsten ist ohne Zweifel das T-Modell, der erste von Mercedes in Eigenregie gebaute Kombi. Anders als viele Modelle der Konkurrenz war das T-Modell schon damals als elegantes Vielzweckauto konzipiert und ließ sich mit zahlreichen Luxus-Extras wie der Veloursausstattung bis in den 523 Liter großen Laderaum veredeln. Die meisten Großkombis anderer Hersteller hatten hier noch nacktes Blech oder höchstens robusten Gummibelag zu bieten.
Passend zum gehobenen Status gab es im W 123 eine breite Motorenpalette vom Zweiliter-Diesel bis hin zum 185 PS starken Reihensechszylinder. Außerdem wurde ab Herbst 1980 ein Fünfzylinder-Turbodiesel mit 125 PS und serienmäßiger Automatik angeboten, der jedoch in Europa nur für das T-Modell zu haben war und wegen seines hohen Preises eine Rarität blieb.
Technik
Viele technische Komponenten steuerten andere Mercedes-Modelle bei, so etwa die Vorderachse, deren Konstruktion prinzipiell von der S-Klasse W 116 bekannt war. Der direkte Vorgänger W 114/115 wiederum lieferte die Schräglenker-Hinterachse und zum Modellstart die meisten Motoren.
Dennoch leistete der W 123 wichtige Beiträge speziell zur passiven Sicherheit, denn es gab ihn erstmals mit wegweisenden Technik-Optionen wie ABS, Airbag oder Gurtstraffer, die heute völlig selbstverständlich sind. Auch die Sicherheitslenksäule, die crashsichere Anordnung von Tank und Batterie sowie die nochmals optimierte Karosseriestruktur stellen erhebliche Fortschritte gegenüber dem Vorgänger dar.
Motoren
Während die ersten M-115-Benziner noch vom Strich-Acht übernommen wurden und weder besonders kultiviert noch sparsam liefen, gelten die im Juni 1980 eingeführten M-102-Vierzylinder als modern, kräftig und genügsam. Speziell die Einspritzversion mit 136 PS im 230 E reicht noch immer gut zum Mitschwimmen im Verkehr. Auch bei den Sechszylindern sollte man zu einem Einspritzer greifen, dem M 110 im 280 E, selbst wenn die anfällige Technik für Ärger sorgen könnte. Doch die Vergaser-Versionen M 123 und M 110 entwickeln einen übermäßigen Durst und sind nur für Wenigfahrer und Leute interessant, die sich mit der Justierung der komplizierten Gasfabrik auskennen. Alle Diesel gelten als anspruchslose, langlebige Gesellen. Weil die Vierzylinder jedoch nur sehr wenig Temperament entwickeln, ist der Dreiliter-Fünfzylinder OM 617 erste Wahl. Den 125 PS starken Turbodiesel gab es hierzulande nur im T-Modell.
Fahren
Im W 123 unterwegs zu sein, wird immer irgendwie vom "Ihr guter Stern auf allen Straßen"-Gefühl geprägt. Allein optisch ist der letzte Mercedes mit viel Chrom und Gummi meilenweit von der nachfolgenden Leichtbau-Generation W 124 entfernt. Diese Massivität überträgt sich sofort auf die Insassen und erzeugt Geborgenheit. Wenn dann noch ein lethargischer Vierzylinder-Saugdiesel mit 55 oder 60 PS hinter dem Stern auf dem Kühler vor sich hin nagelt, versteht man sofort, was "Entschleunigung" eigentlich bedeutet. Und: Das große Lenkrad lässt erst gar keine sportlichen Gedanken unter der Schädeldecke entstehen.
Dabei fährt sich der W 123 keinesfalls wie Alteisen, sondern erstaunlich handlich und übersichtlich. Wenn Servolenkung, Automatikgetriebe und vielleicht sogar eine Klimaanlage an Bord sind, ist so ein Mittelklasse-Benz überzeugend alltagstauglich.
Obwohl die ersten Exemplare schon 40 Jahre alt sind und selbst die letztgebauten ein H-Kennzeichen tragen könnten – der W 123 wirkt nicht wie ein Veteran. Womöglich liegt es an seinem zeitlosen Karosseriedesign, dem jegliche modischen Attribute fehlen. Die Mercedes-Mittelklasse war schon zu Lebzeiten ein im besten Sinne unauffälliges Automobil. Und allein wegen ihrer massenhaften Verbreitung – in zehn Jahren wurden knapp 2,7 Millionen gefertigt – hat man sich an ihren Anblick längst gewöhnt. Heute sollen in Deutschland nur noch rund 24.000 zugelassen sein. Weitaus mehr wurden wohl im Laufe der Zeit gen Nordafrika verschifft. Da freut man sich, wenn man mal einen zu Gesicht bekommt.
Karosserie-Check
Technik-Check
Ersatzteile
Preise
- Bei Einführung 1976
- 24.900 Mark
Schwachpunkte
- Kotflügel und Stehbleche
- Schweller u. Wagenheberaufn.
- Längsträger vorn
- Frontblech/Kühlertraverse
- Türböden, Gummidichtungen
- Radläufe, Endspitzen
- Hinterachsaufnahmen
- Nockenwellen, St.-Kette (M102)
- Zylinderkopf (M110)
- Vergaser 4A-1 (250, 280)
- Lenkgetriebe
- elektrisches Schiebedach