Das Attentat auf Philipp Scheidemann (SPD): „Der Feind steht rechts“ | Vorwärts
Geschichte

Das Attentat auf Philipp Scheidemann (SPD): „Der Feind steht rechts“

Am 4. Juni vor 100 Jahren begingen Rechtsterroristen ein Attentat auf Philipp Scheidemann (SPD). Er hatte 1918 die Republik ausgerufen. Immer wieder sollten politische Morde der Rechten die junge Demokratie erschüttern.
von Walter Mühlhausen · 3. Juni 2022
Aufruf zum Widerstand: Am 7. Juni 1922, drei Tage nach dem Anschlag, mahnt Philipp Scheidemann auf einer Großkundgebung vor dem Kasseler Rathaus zur Wachsamkeit gegenüber den Gefahren für die Demokratie.
Aufruf zum Widerstand: Am 7. Juni 1922, drei Tage nach dem Anschlag, mahnt Philipp Scheidemann auf einer Großkundgebung vor dem Kasseler Rathaus zur Wachsamkeit gegenüber den Gefahren für die Demokratie.

Am 4. Juni 1922 verübten Mitglieder der rechtsterroristischen Organisation Consul (OC) im Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe einen Anschlag auf den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann. Das Komplott vor 100 Jahren reihte sich in die Serie von Attentaten ein, die die Weimarer Republik schwer erschütterten. Zu den prominenten Opfern der rechten Gewalt zählten in der ersten Zeit die beiden KP-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sowie der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD).

Philipp Scheidemann rief die Republik aus

Scheidemann, der vormalige SPD-Vorsitzende (1917–1919) und erste Reichsministerpräsident (1919), stand vor allem durch die Ausrufung der Republik am 9. November 1918 im Visier von militanten antidemokratischen Kräften. Mit dieser Aktion am Berliner Reichstag hatte er das Tor zur Demokratie aufgestoßen. Für die rechtsextremen Republikgegner aber war dies nichts anderes als Landesverrat und fügte sich ein in die brunnenvergiftende Dolchstoßlüge.

Diese besagte, dass innere Unruhen, vor allem die von der Arbeiterbewegung getragene Revolution, schuld an der Kriegsniederlage seien. Bildlich umgesetzt: Die SPD habe dem tapfer kämpfenden Soldaten das Messer in den Rücken gerammt und so die Truppe um den sicheren Sieg gebracht. Damit machte man die Sozialdemokraten auch verantwortlich für den von vielen als Schmach empfundenen Versailler Friedensvertrag.

Attentat mit Giftsäure statt Pistolenkugeln

So sah sich Scheidemann, seit 1920 Oberbürgermeister seiner Geburtsstadt Kassel, einer perfiden Hetzkampagne ausgesetzt. Er wurde mit Mord bedroht. Der Drohung folgte am Pfingstsonntag 1922 die Aktion, als ihm bei einem Spaziergang mit einer Tochter und einer Enkelin zwei Mitglieder der OC Blausäure ins Gesicht spritzten – mit einem Klistierspritzball.

Denn für den „Novemberverbrecher“ war nach ihren „Ehrbegriffen“ eine „ehrenvolle“ Kugel viel zu schade. Scheidemann sank, vom Gift im Gesicht getroffen, zu Boden, konnte noch seinen Revolver ziehen und einige Schüsse abgeben, mit denen er die Attentäter, die ihre schussbereiten Waffen nicht einsetzten, in die Flucht schlug. Nur dank glücklicher Umstände überlebte er den Anschlag.

Gallionsfigur der Republik und der SPD

Das Attentat auf eine der Galionsfiguren der Republik und der SPD sollte wie die anderen Mordanschläge die junge Demokratie destabilisieren. Im Jahr zuvor war der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger im Schwarzwald erschossen worden. Ihn traf es, weil er im November 1918 anstatt der sich aus der Verantwortung stehlenden Militärs den als Knebel empfundenen Waffenstillstand unterzeichnet hatte.

Keine drei Wochen nach dem Anschlag auf Scheidemann ermordeten OC-Mitglieder Außenminister Walther Rathenau, der als Jude und Großindustrieller für die nationalistische Rechte die Symbolfigur der verabscheuten Republik darstellte. Bei der Trauerfeier im Reichstag prägte Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) den bald zum geflügelten Wort werdenden Satz: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt …, dieser Feind steht rechts.“

Scheidemann stellt klar: „Der Feind steht rechts“

Der eigentliche Urheber dieser Wendung war jedoch Philipp Scheidemann. Schon im Oktober 1919 hatte er vor dem Reichstag zur Wachsamkeit gegenüber den Gegnern der Republik aufgerufen: „Der Feind steht rechts.“

In dem Wissen um die Gefahr für die junge Demokratie gingen die Republikaner allerorten auf die Straße, allein in Kassel 40.000 am 7. Juni. Hier rief Scheidemann SPD und USPD, die sich 1917 über die Burgfriedenspolitik getrennt hatten, zur Einigkeit auf. Der Mahnruf sollte wenige Monate später in Erfüllung gehen.

Die wehrhafte Demokratie von Weimar

Und die Republik setzte sich zur Wehr: Mit den nach den Attentaten erlassenen Verordnungen zum Schutze der Republik 1921 und dem gleichnamigen Gesetz 1922 besaß man eine strafrechtliche Handhabe gegen antirepublikanische Treibereien und mit dem dann eingerichteten Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik ein Instrument gegen antidemokratische Attacken. Aber die Instrumente zur Verteidigung der Demokratie wurden nicht immer konsequent genutzt.

Die Anschläge auf Scheidemann und Rathenau beschleunigten den Annäherungsprozess von SPD und USPD. 1920 hatte sich der linke Flügel der USPD mit der KPD vereinigt und sich der Kommunistischen Internationale in Moskau unterworfen. Der Rest der USPD vereinigte sich dann im September 1922 auf dem Nürnberger Parteitag mit der SPD.

Die Regierungskoalition zerbricht

Eine der Folgen des Zusammenschlusses war allerdings die Sprengung der Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP unter Joseph Wirth. Obwohl die Regierung mit den Vertretern der alten Rest-USPD wieder eine Mehrheit im Parlament besaß, strebten die bürgerlichen Parteien eine Erweiterung der Regierung um die rechtsliberale DVP an, um gegenüber der erstarkten wiedervereinigten SPD ein Gegengewicht zu bilden. Das gelang nicht, sondern führte gar zum Ende des Kabinetts Wirth.

Es folgte die bürgerliche Regierung der sogenannten Fachleute unter dem Hapag-Direktor Wilhelm Cuno, die den Herausforderungen in der Existenzkrise des Folgejahres jedoch nicht gewachsen war. Die Republik drohte in den Abgrund zu stürzen, was von der Großen Koalition im Herbst 1923 gerade noch verhindert werden konnte.

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Autor*in
Walter Mühlhausen

war Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er lehrt als apl. Professor an der Technischen Universität Darmstadt.

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