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Otto Graf Lambsdorff, der fröhliche Unbequeme

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Abschied von einem großen Liberalen, der die Bundesrepublik mit geprägt hat: Otto Graf Lambsdorff ist tot, Wirtschaftsminister unter einem SPD- und einem CDU-Kanzler. In Erinnerung wird sein Eintritt für einen schlanken, sozialpolitisch nüchternen Staat blieben, aber auch seine Verwicklung in die Flick-Parteispendenaffäre.

Zu den großen alten Männern, die im Licht allseitiger Anerkennung glänzen, gehörte er nicht.

Obwohl Otto Graf Lambsdorff im vergangenen Jahrzehnt nicht mehr die liberale Hassfigur war, als die er so lange gegolten hatte, erreichte er doch nicht die Popularität, in der sich heute etwa Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker sonnen. Das hatte mit seiner Art und mit der Partei, der FDP, zu tun, der er seit 1951 angehörte. Er war nicht bequem, er wollte es nie allen recht machen.

Und obwohl er als Politiker einer kleinen Partei, die mehrfach am Rande des Untergangs stand, den Kampf um Stimmen und Anerkennung zu führen wusste, scheute er sich nie, im Zweifel auch recht alleine dazustehen.

Er konnte harsch sein, und er hat mit seinen Urteilen nicht hinter dem Berg gehalten. Deswegen hielt man ihn oft für kalt und unterstellte ihm einen Hang zur Rücksichtslosigkeit. In Wahrheit war er ein Mann mit Überzeugungen. Er konnte und wollte sie nie zur Disposition stellen.

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Otto Friedrich Wilhelm Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff entstammte einer sehr alten Adelsfamilie aus dem Westfälischen, die aber seit Jahrhunderten auch über einen breiten Zweig im Baltikum verfügte – ein Außenminister des Zaren war darunter.

Adel: Das ist im verbreiteten Verständnis eine Sache der angeborenen Privilegien und scheint nicht zur Idee des Liberalismus zu passen, der ja ein Kind der modernen Freiheitsidee ist.

Lambsdorffs Lebensweg zeigt, dass beides doch zusammengehen kann. Am 20. Dezember 1926 als Sohn des Kaufmanns Herbert Graf Lambsdorff geboren, wuchs Otto Graf Lambsdorff in Berlin auf. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs wurde er Soldat und verlor bei einem Tieffliegerangriff in Thüringen das linke Bein.

1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, studierte er in Bonn und Köln Rechts- und Staatswissenschaften, wurde Anwalt, promovierte und arbeitete erst im Kreditgewerbe, dann als Anwalt in mehreren Kanzleien.

Es war, wenn man so will, eine rheinisch-kapitalistische Karriere. Er gehörte, etwas älter als die Flakhelfer-Generation, zu denen, die die Republik aufbauten und die das mit Eifer, aber ohne ideologischen Überschwang taten.

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Seine Überzeugungen hielt er heilig, trug sie aber nicht auf den Lippen. Er war Teil jener Aufbaugeneration, der – nach den ideologischen Exzessen der Nazizeit – Nüchternheit über alles ging.

Schon lange an der Basis der FDP tätig, begann seine eigentliche politische Laufbahn Anfang der Siebzigerjahre, 1972 kam er in den Bundestag – dem er bis 1998, bis zum Ende der Regierung Kohl, angehören sollte.

Es war die sozial-liberale Zeit, eine Zeit des sozialen und sozialdemokratischen Überschwangs. Lambsdorff hat den sozialpolitischen Expansionismus dieser Jahre von Anfang an mit Widerwillen verfolgt – und er hat schon damals keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich einen schlanken, sozialpolitisch nüchternen Staat wünscht und in der SPD in diesem Punkt einen schwierigen Partner sah.

Schnell warf er sich auf die Wirtschaftspolitik, wurde sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion und folgerichtig im Jahre 1977 Wirtschaftsminister.

In der Koalition aus SPD und FDP sah er kein Projekt, und als Skeptiker hatte er – aller Sympathie für Helmut Schmidt zum Trotz – kein Vertrauen in die Haltbarkeit der Regierung mit einer Partei, die wirtschaftliche Vernunft und Sparsamkeit für Tugenden von vorgestern hielten.

Er war in der Tat der Mann, der mit seinem wirtschaftspolitischen Mahnpapier im September 1982 das Ende der sozial-liberalen Koalition wohl bewusst einläutete.

Das war, rückblickend betrachtet, nicht „Verrat“, sondern nüchternes Kalkül – ein Kalkül, dem der Aufschwung der Achtzigerjahre Recht gab. Lambsdorff blieb Wirtschaftsminister unter dem neuen Bundeskanzler Helmut Kohl – bis zur Flick-Parteispendenaffäre.

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Sie kostete ihn 1984 das Ministeramt. Der Vorwurf: Als Gegenleistung für eine Parteispende von 135.000 D-Mark an die FDP habe Lambsdorff einen Steuernachlass für den Flick-Konzern durchgesetzt.

Lambsdorff verlor seine Immunität. Der Prozess zog sich vier Jahre lang hin und wurde zu einem großen Showdown der späten Bundesrepublik.

Zwei Bürger der Extraklasse, Lambsdorff und der damals noch den Grünen angehörende Otto Schily, der in Volkstribunenart auftrat, standen sich gegenüber, beide von gleicher Schärfe. Für die linksliberale Öffentlichkeit war es der letzte große Kasus, an dem zu beweisen zu sein schien, dass die Wirtschaft eben doch nichts Freies hat, sondern das Monster ist, an dessen Fäden der politische Betrieb hängt.

Zwar wurde 1986 der Anklagepunkt der Bestechlichkeit fallen gelassen – 1987 wurde Lambsdorff lediglich wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt – doch der Eindruck blieb: Die FDP ist eine so wirtschaftsnahe Partei, dass sie bereit ist, im Zweifel sich über das Gesetz hinwegzusetzen.

Wie später auch Helmut Kohl in einer anderen Affäre tat Otto Graf Lambsdorff nicht genug, diesen Eindruck zu widerlegen. Und darin kam auch eine Seite des rheinischen Kapitalismus zum Vorschein. Seine Partei indes ließ den „Marktgrafen“, wie Herbert Wehner ihn zu nennen beliebte, nicht fallen.

Nur vier Jahre nach seinem Rücktritt als Wirtschaftsminister wurde er, als Nachfolger der Frohnatur Martin Bangemann, Vorsitzender der FDP, was er bis 1993 blieb, als ihm Klaus Kinkel im Amt folgte.

Er brachte Ordnung in die zerfasernde Partei, und er engagierte sich nach 1989 ganz besonders stark für den Prozess der Vereinigung der FDP mit der liberaldemokratischen Partei der DDR. Und da zeigte sich, dass er viel mehr als einer war, der nur ans Wirtschaftliche dachte: Die Vereinigung war ihm eine – patriotische – Herzensangelegenheit, die er mit der ihm eigenen Entschlossenheit betrieb.

Nur selten, dann aber sehr auffällig, war ihm das Pathos der Situation anzumerken. 1993 mit Selbstkritik vom Amt des Parteivorsitzenden zurückgetreten, ernannte ihn – ein besonderes Zeichen der Anerkennung – Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 zum Beauftragten der Bundesregierung, der die Entschädigung für die überlebenden Zwangsarbeiter der NS-Zeit aushandeln sollte.

Lambsdorff war hier ein zäher Verhandler – zum ersten Mal wurde für eine breite Öffentlichkeit sichtbar, dass Lambsdorff einer mit einem sicheren moralischen Kompass war. Die deutsche Schuld war für ihn etwas, das sein Leben geprägt hatte, mit Leidenschaft setzte er sich für die Entschädigung der von Deutschen Ausgebeuteten, Verschleppten und Gequälten ein.

Und behielt doch die Staatsräson einer Republik im Auge, die auch auf ihre Kasse achten muss. Hier machte er – unter den Augen einer zustimmend verwunderten Öffentlichkeit – deutlich, welche Kraft in der liberalen Kombination von wirtschaftlicher Vernunft und praktischer Moral stecken kann.

Auch später hat er sich – von 1995 bis 2006 Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung – nicht aus den öffentlichen Debatten zurückgezogen. Immer wieder hat er gemahnt, dass auch eine Demokratie zu großen, ja radikalen reformerischen Schritten fähig sein könne und müsse.

Er hing leidenschaftlich der urliberalen Überzeugung an, dass es auch in hochkomplexen Gesellschaften möglich sein muss, von Einzelnen und seiner Kraft auszugehen. Auch biografisch wusste er, dass man den Menschen etwas zutrauen kann und es gut ist, das zu tun.

Obwohl ihm Momente der Resignation nicht fremd waren, hat der evangelische Christ unverdrossen und in Lutherscher Haltung des Bäumchen-Pflanzens für die liberalen Ideen gestritten, von denen er genau wusste, dass sie in Deutschland nie eine große Chance hatten und fast immer als sozial kalt missverstanden wurden.

Als ich ihn vor drei Jahren interviewte, sagte er auf die Frage, ob er es nicht müde werde, für eine in Deutschland offensichtlich nicht mehrheitsfähige Idee zu kämpfen: „Nein, müde bin ich es nicht geworden. Das ist nicht meine Art. Wer sich für eine freiheitliche Gesellschaft und eine liberale Wirtschaftsordnung einsetzt, wird immer kämpfen müssen. An meiner Fröhlichkeit kann das aber nichts ändern.“

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