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Politiker wurde lebensgefährlich verletzt: Lafontaine-Attentäterin endgültig in Freiheit entlassen
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Der Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine (Linke)
dpa/Oliver Dietze/dpabild Das Attentat auf Lafontaine ereignete sich am 25. April 1990.
  • FOCUS-online-Reporter

Gut 29 Jahre nach der beinahe tödliche verlaufenen Messerattacke auf den Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine hat die Justiz alle Bewährungsauflagen gegen die seinerzeit geistig verwirrte Angreiferin gelöscht – fortan kann die heute 73-jährige Adelheid Streidel ohne Führungsaufsicht ihr Leben fortführen.

Sie hätte ihn beinahe getötet. Als die Besucherin mit dem maskenhaft geschminkten Gesicht und den knallroten Lippen am 25. April 1990 dem SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine nach einem Wahlkampfauftritt in der Mülheimer Stadthalle das Fleischermesser in den Hals stach, verfehlte die Klinge die innere Halsschlagader des Politikers nur um Millimeter. Lafontaine überlebte, seine geistig verwirrte Angreiferin Adelheid Streidel wurde in der geschlossenen forensischen Abteilung der Klinik in Bedburg-Hau untergebracht.  

Gut 29 Jahre nach der Messerattacke hat die Attentäterin ihre Strafe verbüßt. Wie Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer auf Anfrage FOCUS Online jetzt mitteilte, sind sämtliche Bewährungsauflagen gegen die Delinquentin erloschen. Längst durfte Streidel das Pflegeheim nahe Bedburg-Hau verlassen, in dem sie unter falschem Namen lebte. Auch wurde die heute 73-Jährige aus der Führungsaufsicht entlassen.

Richter: Von Angreiferin geht kein Risiko mehr aus

Einen entsprechenden Beschluss hatte die zuständige Strafvollstreckungskammer in Kleve bereits im Juli 2019 gefasst, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Nach Angaben Bremers kamen die Richter zu dem Schluss, dass von der einstigen Attentäterin „kein Risiko mehr ausgeht, erneut Straftaten zu begehen“. Sie habe sich in der Bewährungszeit gut geführt, „so dass die Maßnahmen für beendet erklärt wurden“, berichtete der Kölner Behördensprecher.

Inzwischen jährte sich das Attentat auf den heutigen Politiker der Linkspartei zum 30. Mal. Im Prozess um den Messerangriff stellte sich seinerzeit heraus, dass die Attentäterin unter einer paranoiden Schizophrenie mit einem „geschlossenen Wahnsystem“ litt.  Eine Frau, die sich in krude Verschwörungstheorien verstrickte, um einen Rachefeldzug gegen Politiker zu führen.

„Ich wollte Herrn Lafontaine töten, damit ich vor Gericht gestellt werde", offenbarte die Arzthelferin aus Bad Neuenahr seinerzeit den Kölner Ermittlern. Jesus sei ihr erschienen und habe ihr die Hand geführt. Vor Gericht phantasierte die Angeklagte von „Menschentötungsfabriken“ in der Bundesrepublik, für die Politiker sich verantworten müssten. Letztendlich schickte das Gericht, die psychisch kranke Arzthelferin in den Maßregelvollzug der Klinik in Bedburg-Hau.

Streidel durfte kein Parlamentsgebäude mehr betreten

Erst nach 23 Jahren kam die Delinquentin unter strengen Bewährungsauflagen auf freien Fuß. Die Strafvollstreckungskammer Kleve befand seinerzeit, dass die Therapie in der geschlossenen Abteilung angeschlagen habe. Auch die verabreichten Medikamente hätten dazu geführt, dass die Gefahrenprognose positiv ausfiel. 

Allerdings verhängte das Gericht weitreichende Beschränkungen: Untergebracht in einem Pflegeheim musste Adelheid Streidel weiterhin eine ambulante Therapieeinrichtung aufsuchen. Auch legte die Kammer fest, welche Arzneien sie einzunehmen hatte. Zugleich wurde ihr ein gesetzlich bestellter Betreuer an die Seite gestellt.

Im Mai 2014 verschärfte das Gericht die Auflagen. Fortan durfte Streidel kein Parlamentsgebäude mehr betreten. Die Maßnahme folgte auf ihren Brief an einen Berliner Spitzenpolitiker.

Lafontaine erfuhr von Entlassung aus den Nachrichten

Die Nachricht von der damaligen Entlassung erfuhr ihr Opfer seinerzeit aus den Nachrichten. Dies sorgte für öffentliche Kritik an der Justiz, ist aber einem einfachen Umstand geschuldet: Laut Strafprozessordnung hätte Lafontaine einen Antrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft stellen müssen, ihn über das weitere Schicksal seiner Angreiferin auf dem Laufenden zu halten. Bis heute scheint der Politiker aber nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben. Nach Informationen dieser Zeitung hat die hiesige Justiz den 76-jährigen Saarländer nicht über die neue Freiheit seiner damaligen Attentäterin informiert. 

In einem seiner Bücher bekannte Lafontaine, wie sehr ihn die Messerattacke veränderte. „Ich hatte erfahren, wie wenig verlässlich Macht, Anerkennung und politischer Erfolg sind. Der Gedanke, mein Leben so einzurichten, dass ich mir bei einem plötzlichen Ende keine zu starken Vorwürfe machen müsste, ließ mich nicht mehr los.“ Im März 1999 trat der damalige SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister von all seinen Ämtern zurück und gründete später die Linkspartei mit. Lafontaine sprach von einer „Spätfolge des Attentats aus dem Jahre 1990“.

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