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FOCUS Magazin | Nr. 44 (2022)
Realpolitik oder grüne Träume?: Der Hafen-Deal und die Eiserne Seidenstraße: Willkommen im China-Dilemma
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Das chinesische Container-Frachtschiff COSCO Shipping Leo liegt im Hamburger Hafen.
Markus Scholz/dpa/Archivbild Der Deal soll stehen: Das chinesische Unternehmen COSCO bekommt eine Minderheitsbeteiligung an einem Terminal im Hamburger Hafen.

Die Diskussion um Pekings Beteiligung am Hamburger Hafen zeigt, wie schwierig es ist, sich aus Abhängigkeiten zu befreien. Und vor welchen entscheidenden Weichenstellungen die deutsche Chinapolitik steht.

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Wenn Annalena Baerbock über ihren moralischen Kompass spricht, untermalt sie das gerne mit persönlichen Erlebnissen. Wie neulich beim Parteitag der Grünen, als die Außenministerin von der erschütternden Begegnung mit einer Überlebenden des Warschauer Aufstandes berichtete und ihrer Achtung vor der Würde aller Menschen.

Oder wie vor ein paar Monaten, als sie den südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu zitierte mit den Worten: „Wer sich in Situationen der Ungerechtigkeiten neutral verhält, nimmt die Position des Unterdrückers ein.“

Moral und Werte. So versteht Baerbock die neue deutsche Außenpolitik unter ihrer Ägide. Damit begründet sie, warum sie die Ukraine bedingungslos unterstützt und Russland konsequent verurteilt. Manchmal klingt die Grünen-Politikerin dabei eher wie eine Menschenrechtsaktivistin, die mit den Autokraten dieser Welt am liebsten abrechnen würde. Deutschland, betont sie immer wieder, müsse für seine Haltung weltweit einstehen und Position beziehen, auch wenn es schwierig werde.

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Deutschland muss Lehren aus Russlandpolitik ziehen

Wie schwierig, das zeigt die seit Tagen anhaltende Diskussion um eine Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Hamburger Hafenterminal. Sechs Ministerien, darunter das Auswärtige Amt und das grün geführte Wirtschaftsministerium, lehnten die Beteiligung ab. Kritik übten auch sonst so auf Freihandel pochende Liberale wie die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Tenor: Deutschland müsse Lehren aus der Russlandpolitik ziehen und dürfe sich von einem immer diktatorischer regierten Land wie China nicht noch abhängiger machen.

Erst nach einem Machtwort des Kanzlers winkte das Bundeskabinett am Mittwoch eine Kompromisslösung durch. Die Chinesen dürfen nun nicht 35 Prozent, sondern lediglich 24,9 Prozent des Terminals übernehmen. Politische Beobachter in Berlin spöttelten, Scholz wolle Xi Jinping bei seinem Antrittsbesuch in China in der kommenden Woche wohl ein Begrüßungsgeschenk überreichen.

Beim Hamburger Hafen geht es um zukunftsweisende Fragen

Doch so einfach ist es nicht. Bei der teils hysterisch geführten Diskussion geht es längst nicht nur um den kleinsten Hamburger Hafenterminal. Es geht um grundsätzliche, zukunftsweisende Fragen. Wie will Deutschland überhaupt mit autoritären Regimen umgehen? Kann es sich die Exportgroßmacht leisten, Menschenrechte über wirtschaftliche Interessen zu stellen? Es geht um Realpolitik oder grüne Träume – und ein Dilemma: Deutschland wird sich immer häufiger zwischen Werten und Wohlstand entscheiden müssen.

Witz aus dem Kanzleramt

Wie im Fall Hamburg. Der Hafen ist das Herzstück der Hansestadt, sein ganzer Stolz, Quelle seines Wohlstands, und zu dem trägt die China Ocean Shipping Company (Cosco) einen erheblichen Teil bei. Fast die Hälfte des Umschlags stammt aus China. Doch Cosco, eine der größten Reedereien der Welt, ist kein Handelspartner wie jeder andere. Das Staatsunternehmen ist ein Machtinstrument der Kommunistischen Partei Chinas, sein Vorstandschef ist zugleich Parteisekretär. Groß ist daher die Angst, Cosco könne beispielsweise über seine Beteiligung an sensible Daten gelangen.

Melis Sekmen, grüne Bundestagsabgeordnete und gerade mit dem Wirtschaftsausschuss in den USA unterwegs, sieht das Geschäft „sehr kritisch“. „Wir führen hier viele Gespräche, um unsere transatlantischen Beziehungen zu stärken und damit andere Abhängigkeiten abzubauen. Die Nachricht aus dem Kanzleramt kam dann doch wie ein schlechter Witz.“

Forderung nach Europäischen Regelungen

Nils Schmid dagegen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kann mit dem Kompromiss gut leben. Unter einer Bedingung. „Wenn ausgeschlossen ist, dass Cosco Zugriff auf Geschäftsdaten von Mitbewerbern bekommt.“ Sozialdemokraten wie Schmid geht es um die Arbeitsplätze.

Angeblich war an der Elbe eine chinesische Drohung stets präsent, ohne dass sie offen ausgesprochen wurde: Sollte Hamburg die Zustimmung verweigern, werde man Fracht gen Rotterdam, Antwerpen oder Bilbao verlagern – Häfen, an denen Cosco ebenfalls beteiligt ist.

Schmid fordert daher europäische Regeln, wie in Häfen und andere Infrastruktur investiert werden darf. „Sonst kann China die Europäer gegeneinander ausspielen.“ Dass China dies versucht, wissen die Europäer seit Jahren. Auf einen gemeinsamen Nenner, welche kritische Infra- struktur wie geschützt werden könnte, kamen sie jedoch nie. Zu unterschiedlich waren die Interessen. Griechenland beispielsweise verweist auf den mit chinesischer Hilfe prosperierenden Hafen Piräus.

Rückzug von Cosco aus Duisburg

Der Hamburger Hafen ist jedoch nicht der einzige, in den Cosco investiert hat. In Deutschland gibt es kaum einen Ort, an dem der Einfluss Chinas sichtbarer ist als in Duisburg. In der Stadt im Ruhrpott endet die sogenannte Eiserne Seidenstraße. Seit 2020 kommen pro Woche bis zu 60 Güterzüge aus den Industrieregionen Chinas hier an.

Noch im März hatten die Duisburger unter dem Takt von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, „Eins, zwei, drei!“, den symbolischen ersten Spatenstich für einen neuen Containerumschlagplatz gefeiert. Ebenfalls bei der Schaufeltruppe dabei: der Grünen-Politiker Oliver Krischer, im Frühjahr noch Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium, heute Verkehrsminister in NRW.

China verfügt über gigantisches Vergeltungspotenzial

An der Gesellschaft für das neue Terminal ist – oder man muss jetzt wohl sagen war – Cosco mit 30 Prozent beteiligt. Inzwischen ist der Staatskoloss, von der Öffentlichkeit unbemerkt, ausgeschieden. Warum? Gab es vielleicht eine Intervention aus Peking? Die Partner hätten Stillschweigen über die klandestine Scheidung bewahrt, teilte ein Sprecher des Hafenbetreibers mit.

Nach Meinung des Außenpolitikers der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, ist es die Summe der Abhängigkeiten, die den Deutschen Sorgen bereiten sollte. Wenn es zum Konflikt zwischen China und Taiwan komme, müsse Deutschland erhebliche Sanktionen des Westens gegen China mittragen.

China hätte dank seiner Unternehmensbeteiligungen und als wichtiger Absatzmarkt für deutsche Unternehmen ein gigantisches Vergeltungspotenzial. „Wenn wir unsere wirtschaftliche Abhängigkeit nicht reduzieren“, sagt Röttgen, „wird Deutschland im Konfliktfall zwischen den USA und China zerrieben und wirtschaftlich enorm geschwächt.“

Deutschland kommt nicht so leicht aus Abhängigkeiten heraus

Doch die Abhängigkeiten zu verringern, das ist leichter gesagt als getan. Denn sie sind sehr unterschiedlich verteilt. Wichtige Rohstoffe für die Produktion von Schlüsseltechnologien bei der Energiewende, für Windturbinen und Elektromotoren etwa, stammen aus China. Bei sieben von neun kritischen Rohstoffen ist China unter den Top 5 der wichtigsten Handelspartner.

Und etwa die Hälfte der deutschen Industrieunternehmen gibt an, sie sei stark auf chinesische Vorleistungen angewiesen, sagt Lisandra Flach vom Ifo-Institut in München. 50 Prozent dieser Unternehmen zögen daraus Konsequenzen und wollten die Abhängigkeit verringern. Sie suchten vor allem Zulieferer in der EU, um ihre Lieferketten stärker zu diversifizieren.

Die Osteuropäer drängen in der EU auf eine wesentlich striktere Chinapolitik

Bei Rohstoffen wird es jedoch deutlich schwerer, sich aus Abhängigkeiten zu befreien, weil es sie nun einmal nicht überall gibt – oder sie in nichtdemokratischen Ländern gefördert werden. „Kurzfristig ist eine Entkopplung vom chinesischen Markt für Deutschland keine Lösung“, sagt Flach. „Wäre das Land dazu gezwungen, wäre das aufgrund der Bedeutung von China sowohl als Zulieferer wie auch als Zielmarkt für deutsche Produkte und Unternehmen ein massiver Schlag.“

Während manche Unternehmen bereits aus eigenem Antrieb neue Märkte suchen, halten insbesondere große Konzerne an ihren teils ambitionierten Zielen in China fest. Der Chemiekonzern BASF zum Beispiel baut dort bereits einen zweiten Verbundstandort, einen gigantischen Industriepark, in dem das Abfallprodukt der einen Produktionsanlage als Rohstoff für die nächste genutzt wird. Es geht um eine Investition von zehn Milliarden Euro.

Was passiert wenn China Taiwan überfällt?

Der Konzern begründet den Schritt so: Schon heute steht China für 45 Prozent des Welt-Chemiemarktes – BASF hingegen macht als weltweit größter Chemiekonzern in China erst 15 Prozent seines Umsatzes. „Wir sind als BASF dort heute also eher unterinvestiert“, sagt eine Sprecherin.

Als im Sommer bei BASF die Entscheidung über den nächsten Bauabschnitt in China anstand, soll es darüber im Vorstand Diskussionen gegeben haben. Das Leitungsgremium stand offenbar nicht mehr voll hinter dem Entschluss von BASF-Chef Martin Brudermüller. So zumindest berichtet es das „Manager Magazin“. Offen lässt der Konzern gegenüber FOCUS, ob es einen Notfallplan gibt für den Fall, dass China Taiwan überfällt.

Doch kaum eine Branche ist so abhängig von China wie die deutsche Autoindustrie. BMW etwa verkauft dort ein Drittel seiner Autos. Und wenn es nach dem Vorstand geht, sollen es noch mehr werden, „Unsere Prämisse: Die Produktion folgt dem Markt“, heißt es intern. Deshalb soll vor allem der Elektro-Mini künftig nicht mehr in Oxford gebaut werden, wo man sich auf die Verbrennermodelle konzentrieren will, sondern in China, wo der Elektroboom anhält.

Politische Folgen mitdenken

Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Falle Chinas allerdings durchaus bereit ist, Nein zu sagen, zeigt das Beispiel Volkswagen. Der Bund verwehrte dem deutschen Autobauer im Frühjahr eine Verlängerung bereits bestehender Garantien für China und erklärte das mit „menschenrechtlichen Gründen“. Die Folge: VW kann zwar weiter in China investieren, muss die Risiken nun aber alleine tragen.

Geht es nach den Grünen, muss sich die Wirtschaft künftig möglicherweise auf weitere solcher Entscheidungen einstellen. Unternehmen müssten begreifen, dass Kostenersparnis nicht das einzige Kriterium beim Handel sein könne, sagt ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. „Sie müssen politische Implikationen mitdenken.“

Keine Deals mehr mit China?

Unterstützung für eine striktere Chinapolitik kommt dabei aus Teilen der EU. Beim letzten EU-Gipfel diskutierten die Staatsund Regierungschefs fast drei Stunden über die Chinastrategie. Ohne Ergebnis. Insbesondere die Osteuropäer zeigten sich nachher enttäuscht von der Haltung der Bundesregierung. Sie drängen darauf, die EU möge wie die USA China nicht mehr nur als Handelspartner, sondern als strategischen Rivalen und potenziellen Gegner betrachten.

„Es ist sehr wichtig, dass wir keine einzelnen Deals mit China mehr machen“, sagte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Und selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mahnte, die EU brauche neue Spielregeln, Europa dürfe nicht länger wie ein offener Supermarkt für ausländische Käufer sein.

Kein einfacher Trip für Scholz

Der Antrittsbesuch bei „Kaiser“ Xi Jinping wird für Kanzler Scholz also kein einfacher Trip. Schließlich steht weder die europäische noch die deutsche Linie in der Chinapolitik fest. Was wird er Xi also sagen? Wird er vor einem Taiwan-Abenteuer warnen? Wird er die Aufhebung von Sanktionen gegen Abgeordnete des europäischen Parlaments fordern?

„Deutschland unterschätzt oft seine Bedeutung“, sagt der australische Ex-Premier und Sinologe Kevin Rudd, der Xi auch von eigenen Begegnungen kennt. „Die Stimme Deutschlands zählt. Wenn der Kanzler nach China fährt, sollte er wissen, welche Bedeutung seine Worte haben.“ Wird der Kanzler also nur über gleiche Marktbedingungen für chinesische und europäische Unternehmen sprechen?

Willkommen in der Realpolitik

Die Wirtschaft, sagte Annalena Baerbock übrigens im September, könne es sich nicht leisten, nach dem Business-zuerst-Credo zu handeln, ohne dabei langfristige Risiken zu betrachten. Ein paar Wochen später, auf dem Parteitag der Grünen, versuchte sie, die Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien zu rechtfertigen, in ein Land, das reihenweise die Todesstrafe verhängt und einen brutalen Krieg im Jemen führt.

„Es sei ihnen unheimlich schwergefallen, „dem Robert und mir“. Sie könnten nicht einfach sagen: „Schwupps, der Altvertrag ist weggezaubert, sondern der ist da.“ Willkommen in der Realpolitik!

Von E. Bonse, G. Dometeit, M. Etzold, J.-P. Hein, C. Neuhaus, F. Reich, P. Steinkirchner, T. Tum a

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