Daten, Diebe, Detektive

Deutschlands Steuerkrieg mit der Schweiz

Über Jahre hat Deutschland Steuer-CDs mit Kundendaten Schweizer Banken gekauft. Die Schweiz schlug unerbittlich zurück – gegen die Datendiebe und gegen deutsche Beamte. Ein Wirtschaftsdrama in fünf Akten.

von Jonas Seufert

22. März 2018

Mindestens zehn Jahre geht das so: Deutschland kauft für Millionen Euros Kundendaten aus der Schweiz – und nimmt damit Milliarden ein. Die Schweiz verfolgt die Datendiebe erbarmungslos – und macht auch vor deutschen Beamten keinen Halt. Und Politiker auf beiden Seiten toben. Am Ende ist eine Person tot, ein Geheimagent enttarnt und das Bankgeheimnis de facto gefallen. Mittendrin: Ein Steuerfahnder aus Wuppertal. Der Hintergrund zum deutsch-schweizer Steuerkrieg.

Prolog

Der Mann, bei dem alles zusammenläuft, ist ein Phantom.

Es gibt keine Fotos von ihm, dafür umso mehr Legenden, und ein einziges Interview. Man kann es ihm im Grunde auch nicht verübeln. Sein Erfolg hing ja davon ab, dass niemand wusste, was er tat. Und doch alle wissen sollten, wenn er wieder zugeschlagen hatte. Peter Beckhoff, 69 Jahre, Volljurist, Rentner seit Juni 2017.

Zuvor: Leiter des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal.

Beckhoff, das sei gleich am Anfang gesagt, will eigentlich kein Held sein. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber, diese Geschichte würde ohne ihn auskommen. Uneitel ist er, sagen viele, unprätentiös und wortkarg. Ein Steuerfahnder mit kurzem Bart und Hang zu langen Mänteln, der, wenn man ihn fragt, nur seinen Job gemacht hat. Leiter einer Art Eliteeinheit, der sich, wenn man andere fragt, furchtlos mit den Reichen und Mächtigen angelegt hat. Und sich dafür am Rand des Gesetzes bewegte.

Wenn man den Nachbarstreit um das Schweizer Bankgeheimnis als Wirtschaftskrieg bezeichnen will, dann ist Peter Beckhoff so etwas wie ein Frontsoldat. Es ist ein Krieg zwischen zwei Ländern, die eigentlich vieles verbindet: Ein Gebirge, eine halbwegs offene Grenze, eine Sprache. Und die doch über die Frage im Zwist liegen, was mehr zählt: Dass Reiche Steuern dort zahlen, wo sie ihr Geld verdienen. Oder dass ein Land mit dem Geld der Reichen selbst Geld verdienen kann.

Es trifft auch Prominente

In diesem Krieg werden deutsche Minister Daten-CDs kaufen, mit deren Hilfe sie Milliarden an Steuern einnehmen. Bekannte Persönlichkeiten werden über diese CDs stolpern: Der Ex-Postchef Klaus Zumwinkel etwa und sogar Beckhoffs einstiger Vorgesetzter, der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen. Die Schweiz wird Deutschland der Hehlerei bezichtigen. Sie wird Datendiebe erbarmungslos verfolgen. Es wird mehrere diplomatische Krisen geben und mindestens einen Toten.

Diese Geschichte handelt von Geheimagenten, Staatsanwälten und Bankern. Von Multimillionären, die möglichst viel von ihrem Geld behalten und möglichst wenig an den Staat abgeben wollen. Von Überzeugungstätern, die das verhindern wollen. Aber auch von kleinen Angestellten, die ihre Chance auf Millionen sehen.

Und von jenem Steuerfahnder aus Wuppertal, der Kette raucht und hinter vielen CD-Deals steckt: Peter Beckhoff. Wie viele Deals es waren? Hat er nicht gezählt. Wie viel Geld er dem Fiskus eingebracht hat? Interessiert ihn nicht.

Für Beckhoff endet diese Geschichte mit einem Gutschein zum Matterhorn. Sie beginnt aber in einem Zwergstaat gleich neben der Schweiz, im Fürstentum der Banken, mit einem tief gekränkten Träumer.

steuerkrieg schweiz: kapitel rache

Heinrich Kieber, der Mann der noch viele Nachahmer finden sollte, heißt heute nicht mehr Heinrich Kieber. Er lebt mit neuer Identität in einem Zeugenschutzprogramm, vielleicht in Australien, vielleicht woanders.

Kieber ist eine schillernde Persönlichkeit. Ein Eigenbrötler, hoch intelligent, aber auch emotional ungefestigt. Ein Schwätzer, der es mit dem Gesetz nicht besonders genau nimmt. Er hat gelogen. Und er ist wegen Betrugs und Nötigung verurteilt.

Glaubt man Heinrich Kiebers abenteuerlicher Geschichte, die er auf 652 Seiten aufgeschrieben hat, dann hatte seine Tat vor allem einen Grund: Rache. Rache am Herrscher, Seiner Durchlaucht Hans-Adam, Fürst von und zu Liechtenstein.

Kieber, heute 52, wächst ab seinem sechsten Lebensjahr im Heim auf, ohne Eltern. Die liechtensteinische Fürstin Gina kümmert sich um ihn. Ihr Tod im Jahr 1989 ist ein Schock für Kieber. Mit 16 haut er ab, reist quer durch Europa, heuert schließlich bei der Fluggesellschaft Swiss Air an.

Und Kieber macht einen Immobiliendeal in Barcelona, der sein Leben prägen wird. Angeblich lockt ihn deshalb 1997 sein damaliger Geschäftspartner nach Argentinien und foltert ihn. Der Streitpunkt: Offene Rechnungen. Er kommt frei und will, dass der Fall in Liechtenstein vor Gericht landet. Aber niemand glaubt ihm.

Kieber arbeitet für die Bank des Fürsten

Im Jahr 2000 bekommt Kieber einen Job bei der damaligen LGT Treuhand in Liechtenstein. Er soll die Kundendaten des Vaduzer Finanzunternehmens digitalisieren. Ausgerechnet die LGT Treuhand, die dem Fürstenhaus gehört. Ausgerechnet Kieber, der sich vom Fürsten Hans-Adam im Stich gelassen fühlt. Denn auch der unterstützt ihn nicht beim Kampf gegen seinen alten Geschäftspartner, obwohl ihn Kieber laut eigener Aussage mehrmals darum bittet. Kieber beschließt, seinem Glück etwas nachhelfen.

Er klaut eine Sicherungskopie mit den Kundendaten der Bank und erpresst damit den Fürsten. Kieber gibt schließlich die Daten zurück gegen das Versprechen, dass sein Fall ermittelt wird. Im Oktober 2003 wird er wegen schweren Betrugs verurteilt.

Er fühlt sich betrogen. Und er hat eine Sicherungskopie.

2006 geht er damit zum Bundesnachrichtendienst. Nach einigen Treffen zieht der die Steuerfahndung hinzu. Auf Kiebers Wunsch sollen es dieselben Fahnder sein, die sechs Jahre zuvor die Kundendaten des liechtensteiner Treuhänders Herbert Batliner ausgewertet haben. Die Daten waren der Staatsanwaltschaft Bochum anonym zugespielt worden und brachten dem Fiskus wohl fast 100 Millionen Euro ein. Damals zuständig: Die Steuerfahndung Wuppertal.

Peter Beckhoff, der knorrige Westfale, einsilbig und aufmerksam. Heinrich Kieber, der sprunghafte Träumer, aus dem die Worte sprudeln, wenn er redet. Die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Beckhoff notiert, es habe eine persönliche Vertrauensatmosphäre gegeben.

Kieber erinnert sich an eines der fünf bis sechs Treffen besonders gern: Bei einem langen Spaziergang am Ufer eines Berliner Sees doziert er über das kriminelle System der fürstlichen LGT Treuhand.

220 Millionen Euro für den Fiskus. 5 Millionen für Kieber

Am 12.06.2007 übergibt Kieber die Daten-DVDs persönlich an die Fahnder. 1.400 „Stiftungen“ deutscher Millionäre sind darauf verzeichnet. Ein halbes Jahr später werden im ganzen Land Ermittlungen beginnen. Über 600 Verfahren werden die Daten bringen, 200 Selbstanzeigen und mindestens 220 Millionen Euro für die deutsche Staatskasse.

Das prominenteste Opfer: Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, der seinen Job verliert, zwei Jahre auf Bewährung bekommt und eine Geldstrafe. Kieber selbst verdient bei dem Deal fünf Millionen Euro, ein Prozent des erwarteten Gewinns.

Peter Beckhoff hat mit dem Deal einen Scoop gelandet. Rein ökonomisch betrachtet ist er ein Rekordgewinn, so wie alle zukünftigen Deals auch. Und alle Bankangestellten, IT-Mitarbeiter und Dienstleister mit Zugriff auf Kundendaten wissen, dass sie auf einem Schatz sitzen. Vor allem aber wissen sie, an wen sie sich wenden müssen. Es wird nicht lange dauern, bis sich jemand meldet.

steuerkrieg schweiz: kapitel liebe

Sie sind ein ungleiches Paar.

Er, geboren 1983 im Iran, aufgewachsen in der Schweiz, Schulabbrecher, Sportschütze, Tenorstimme 1 im Männerchor „The Rychenbirds”, Stand by me, Liebling, mein Herz lässt dich grüßen, die Deutsche Messe. Und Mitarbeiter bei der Schweizer Bank Crédit Suisse.

Sie, geboren 1980 in Tschechien, Prostituierte in der Schweiz, zumindest bis zum Jahr 2006.

Er liebt sie, sie liebt sein Geld. Am Ende wird ein Mann sterben. Seine Liebe wird ihn ins Gefängnis bringen. Und Millionen Euro in die deutsche Staatskasse. Das ist die Geschichte von Sina L. und Lenka I.

Glaubt man Lenka I., haben sich beide 2006 auf Facebook kennengelernt. Von Beginn an sei Geld geflossen. Glaubt man Sina L., wollte er seiner Freundin ein besseres Leben ermöglichen, ohne Prostitution.

Die Haare wasserstoffblond und hochgegelt – Sina L. sieht nicht aus wie der übliche Schweizer Banker. Er handelt auch nicht so. Als Assistent von Kundenberatern der Crédit Suisse im Raum Zürich hat er Zugriff auf die bankinternen Systeme „Host“ und „Frontnet“. Und irgendwann im Jahr 2007 beginnt er nach Kunden aus Deutschland zu suchen. Angeblich weil er nach Spuren aus der Nazizeit sucht – und weil ihm etwas langweilig ist. Die Daten heftet er händisch ab und nimmt sie in seiner Aktentasche mit. Die lässt er eines Tages liegen, im Fitnesspark „Banane” in Winterthur.

Wenn zu der Liebe zwischen einer Prostituierten und einem jungen Banker noch der Zufall hinzukommt, kann das eine diplomatische Krise auslösen. Der Zufall in dieser Geschichte heißt Wolfgang U.

Wolfgang U., bis dahin ein flüchtiger Bekannter aus dem Fitnessstudio, findet Sina L.’s Aktentasche. Und Wolfgang U. verfolgt die Nachrichten. Der Ex-Postchef Zumwinkel wurde festgenommen, weil eine CD mit geheimen Kundendaten aus Liechtenstein in Deutschland aufgetaucht ist. Der Datendieb, erst später wird sich herausstellen, dass er Heinrich Kieber heißt, hat viel Geld dafür bekommen. Wolfgang U. weiß: Er kann der nächste sein.

Aus Sportfreunden werden Partner

Er kopiert die Daten und spricht Sina L. an. Niemand hat L. beim Kopieren der Daten gesehen. Ja, es gibt noch viel mehr Material. Wolfgang U. muss nicht lange im Internet suchen, bis er weiß, an wen er sich in Deutschland wenden muss: An die Steuerfahndung Wuppertal. Er bietet Sina L. einen Deal an. Pro 100 Millionen Schweizer Franken gelistetes Vermögen bekommt Sina L. 1.000 Schweizer Franken – vorerst.

Manches an dieser Geschichte klingt nach Filmplot. Oder scheint jedenfalls zu unwahrscheinlich für die Realität. Man kann es glauben, muss es aber nicht. Es ist Sina L.’s Version, die er den Schweizer Staatsanwälten erzählt. Die einzige Version, die es für diese Zeit gibt.

Sicher ist, dass Sina L. das ganze Jahr 2008 über Daten an Wolfgang U. übergibt. Am Ende wird Wolfgang U. 1.106 Datensätze verkaufen: Kontonummer, Namensbezeichnung, Adresse oder Telefonnummer, Geburtsdatum, Anlagesumme und das Datum der Kontoeröffnung. Insgesamt 1,22 Milliarden Euro Anlagevolumen. Wolfgang U. wird dafür 2,5 Millionen Euro erhalten.

Daran gemessen ist es ein schlechter Deal für Sina L. Aber der denkt vor allem an seine Freundin Lenka. Kauft ihr ein Auto und Kosmetika, bezahlt ihr Reisen nach Ägypten, Italien, Spanien. Später überweist er Geld für ein Haus in Tschechien. 320.000 Euro wird Sina L. am Ende insgesamt bekommen.

Wolfgang U., Spitzname „Duracelli”. Er liebt die Freiheit und er geht an Grenzen. Er taucht, fliegt Gleitschirm, läuft Marathon. Geboren 1968 im Tiroler Dorf Arzl, gelernter Maurer, LKW-Fahrer. Irgendwann geht er in die Schweiz, die nur eine gute Autostunde von seinem Heimatort entfernt beginnt. Er gründet eine Werbefirma, baut Webseiten, das Geld fließt. Aber die Gelegenheit auf ein ganzes Vermögen ist Anfang 2008 günstig.

Duracelli, der Profi

Im März 2008 fliegt U. zum ersten Mal nach Düsseldorf, um sich mit den Steuerfahndern zu treffen. Über ein Jahr später, am 28.5.2009, lernt er den Chefermittler persönlich kennen: Peter Beckhoff, das Phantom.

Sie treffen sich im Kronen Hotel in Stuttgart. U. notiert in seinem Kalender als Tarnung „Konzeptbsp. Für Waschmittel”. Beckhoff und seine Kollegen wollen zehn Prozent des Materials – und sie haben einen Extrawunsch: Informationen darüber, ob die Bank gezielt bei der Steuerhinterziehung hilft. U. bekommt, so notieren es die Ermittler, einen „Hinweis auf Mangel an Beihilfeaspekten”.

Und Wolfgang U. liefert. Zwei Monate später übergibt er an einem schwäbischen Bahnhof eine interne Powerpoint-Präsentation, die zu Ermittlungen gegen einige Schweizer Banken führt. Die Crédit Suisse wird sich später für 150 Millionen Euro aus den nervtötenden Ermittlungen freikaufen.

Insgesamt neunmal treffen sich die Wuppertaler Fahnder mit Wolfgang U. Beckhoff hält U. zwei Jahre lang hin, aber der bleibt cool. Er ist stets pünktlich, trägt auch in geschlossenen Räumen Kappe und Sonnenbrille. Kein Smalltalk. U. antwortet gezielt und nüchtern, manchmal ausweichend.

Beckhoff weiß nicht, ob er ihn sympathisch finden soll, notiert er später. Das Wissen um die Qualität der Daten verschaffe U. eine gewisse Überlegenheit, die ihm so noch nicht begegnet sei. Er mutmaßt sogar, Wolfgang U. könne Teil einer militärischen Einheit oder eines Geheimdienstes sein. Duracelli, ein Profi. So glaubt es zumindest der Chef-Fahnder.

Am Ende zahlt sich U.’s Coolness aus. Am 26.02.2010 meldet die Finanzverwaltung NRW per Pressemitteilung: Verhandlungen abgeschlossen, die Daten-CD liegt vor. Für den 2. März 2010 notiert Beckhoff die „Übergabe einer verkrypteten Haupttäterdatei” an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Jeden Ankauf machen die Fahnder öffentlich: Sie wollen Panik verbreiten, damit sich möglichst viele reuige Reiche selbst anzeigen. Die Schweiz protestiert – wie bei jedem CD-Kauf – heftig.

Und irgendwann in dieser Zeit schicken sie einen Privatermittler nach Deutschland, einen freiberuflichen Agenten, der Beckhoff ausspionieren soll. Erst sieben Jahre später wird er auffliegen.

Das Geld verrät Wolfgang U.

Wolfgang U. hat geliefert, jetzt sind die Steuerfahnder an der Reihe. Die 2,5 Millionen müssen U. erreichen, ohne dass die Schweizer Behörden Verdacht schöpfen.

Es wird scheitern.

Nachdem rund 900.000 Euro auf Wolfgang U.’s Konto bei einer österreichischen Sparkasse eingehen, macht die Bank eine Geldwäscheverdachtsmeldung. Zu allem Überfluss bestätigt der eingesetzte Notar, dass das Geld vom nordrhein-westfälischen Finanzministerium kommt und macht die Sparkasse so erst auf den Deal aufmerksam.

Wolfgang U. wird verhört – und nervös. Er schließt eine Lebensversicherung auf seine Freundin ab. Als er von österreichischen LKA-Beamten vernommen wird, schreibt er noch am selben Tag sein Testament. Mitte September, ein halbes Jahr nach dem Deal, wird Wolfgang U. festgenommen. Vierzehn Tage später, in der Nacht vom 28. auf den 29. September 2010 hängt er sich mit dem Fernsehkabel in seiner Zelle im Regionalgefängnis von Bern auf. Wolfgang U. wird 42 Jahre alt.

Die Schweiz aber lässt nicht locker. Sie will wissen, wer in Deutschland für die Ankäufe verantwortlich ist.

Und sie wird fündig.

Ausgerechnet eine deutsche Behörde liefert den Schweizern die Namen der Steuerfahnder. Im Frühjahr 2010 leitet die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft interne Dokumente der Steuerfahndung an Dutzende Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland weiter. Dort landen die Informationen in den Akten der Steuersünder – und sind für deren Anwälte einsehbar. Von da ist es kein weiter Weg zum Schweizer Bundesanwalt.

Das an sich wäre kein großes Problem, denn die Behörde benutzt stets Kürzel für ihre Fahnder: P1, P2 und P3. Allerdings findet sich in den Akten auch ein Vermerk des Oberstaatsanwalts: „Bei den mit P1, P2 und P3 bezeichneten Personen handelt es sich um RD R., Herrn W. und Herrn B.” Es dauert nicht lange bis die Schweizer Ermittler auf Peter Beckhoff stoßen.

Im März 2012 erlässt ein Schweizer Bundesanwalt Haftbefehl gegen Beckhoff und zwei Kollegen – wegen „Gehilfenschaft zu wirtschaftlichem Nachrichtendienst”. Sie sollen insbesondere Wolfgang U. zu ihren Taten angestiftet haben.

Die Jäger werden selbst zu Gejagten. Beckhoff ist in Deutschland sicher, aber er kann nicht mehr in die Schweiz reisen.

Beckhoffs Beschützer

Deutsche Politiker sind empört über den Haftbefehl, der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel fordert eine Sonderstaatsanwaltschaft für Schweizer Banken. Diplomatische Eiszeit.

Am lautesten aber ist Beckhoffs Chef. Ein „massiver Einschüchterungsversuch” sei der Haftbefehl, sagt Norbert Walter-Borjans, seit 2010 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.

Norbert, der Gnadenlose. Wenn Beckhoff der Frontsoldat in diesem Krieg ist, dann ist der Sozialdemokrat Walter-Borjans so etwas wie sein General. Er ist verantwortlich für den harten Kurs des Landes NRW gegen Steuersünder. Er nickt die CD-Deals ab und er vertritt die harte Linie nach außen. „Wir machen auch Hausbesuche” steht auf der Homepage seiner Steuerfahnder.

Walter-Borjans ist froh, dass er Haudegen wie Beckhoff unter seinen Fahndern hat. Er wird Beckhoff verteidigen, wann immer es nötig ist und die SPD auf Linie gegen Steuersünder halten. Am Ende wird Walter-Borjans selbst in der Schweiz angezeigt werden. Er wird Beckhoff begleiten bis zu seiner Rente im Sommer 2017, und kurz später abgewählt werden.

Und Beckhoff selbst? Macht seinen Job. Während alle anderen drohen, ermitteln, poltern und plärren, sagt er zum Haftbefehl: „Mach ich mir keinen Kopp drum.”

Aus einer unscheinbaren Liebe, gepaart mit einem großen Zufall, ist ein politischer Skandal geworden. Sina L., der verliebte Bankangestellte, kommt einen Tag nach U.’s Festnahme in Tschechien in Untersuchungshaft. Zwei Monate später wird er in die Schweiz ausgeliefert und gesteht. Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung und eine Geldstrafe von 3.500 Schweizer Franken, unter anderem wegen Verletzung des Bankgeheimnisses. Gelegentlich ist er danach noch bei seiner Freundin Lenka I. in Tschechien gesehen worden.

steuerkrieg schweiz: kapitel gerechtigkeit

Der 17. Januar 2011, Wolfgang U. ist vier Monate tot, ist Rudolf Elmers großer Tag. Und ausgerechnet heute ist sein Partner zu spät dran. Eine Stunde haben er und seine Mitstreiter die Journalisten schon hingehalten, als endlich Julian Assange auftaucht.

Elmer, der Banker mit der zerfurchten Stirn, ist keiner, der mit viel Pathos in der Stimme spricht. Aber als er Assange die zwei CDs übergibt, darauf angeblich eine Reihe weiterer Bankdaten, wird seine Stimme laut: „Ich übergebe diese CDs an Wikileaks.” Blitzlichtgewitter.

Seit Jahren versucht Elmer sich und seinem Kampf Gehör zu verschaffen. Dem Kampf gegen ein System, das er kriminell nennt. Bis jetzt hat es ihm mindestens so viel Ärger eingebracht wie Aufmerksamkeit. Doch an diesem Tag, in diesem engen Raum in London, vollgestopft mit Journalisten, hört ihm die Welt endlich zu. „Die systematische Hinterziehung von Steuern schadet der Gesellschaft”, sagt Elmer.

Für die einen ist Rudolf Elmer ein Held, für die anderen ein Verräter. Sicher ist: Er hat die Seiten gewechselt. Er hat einem System den Rücken gekehrt, das er jahrelang selbst am Laufen gehalten hat. Und das ihn gut dafür entlohnt hat. Er war kein einfacher Dienstleister in der Verwaltung, so wie Kieber. Keiner, der die Gelegenheit nutzte, so wie Wolfgang U. – Elmer hatte Karriere gemacht.

Wie aber wird aus einem erfolgreichen Banker ein Aktivist, der das Steuergeheimnis zerschlagen will? Wer ist Rudolf Elmer?

Ein Banker in der Karibik

Wer das verstehen will, muss von jener Pressekonferenz in London zurückreisen in das Jahr 2002, in ein unscheinbares Gebäude auf den Cayman-Inseln. Man wird Rudolf Elmer dort wiederfinden, mit denselben Knopfaugen, nur der Haarkranz braun statt grau. Sieben Jahre arbeitet er da bereits in der Filiale der Schweizer Bank Julius Bär in dem karibischen Steuerparadies. Zunächst als Chefbuchhalter, dann als Chief Operating Officer.

Seine Hauptaufgabe: Vermögen von Reichen verstecken, damit diese in ihren Heimatländern keine Steuern zahlen müssen. 40 Prozent des jährlichen Unternehmensgewinns wollen Elmer und seine Kollegen auf den Cayman-Inseln gemacht haben.

Dagegen wirken seine Methoden fast lächerlich. Elmer kann die Bank, wenn er will, von seinem Laptop aus führen. Jeden Tag macht er eine Sicherungskopie der Kundendatenbank und verwahrt sie zu Hause. Wenn ein Hurrikan über die Insel zieht, fliegt er die Daten weg. Damit sie nicht verloren gehen.

Elmer war immer ein loyaler Mitarbeiter. Vor seiner Zeit in der Karibik hat er für Julius Bär acht Jahre in der Schweiz gearbeitet. Doch er zweifelt an der Integrität seines Arbeitgebers. Er musste Erklärungen abgeben, die nicht der Wahrheit entsprachen, sagt er. Zudem habe er mitbekommen, dass die Bank sich mit kriminellen Kunden einlasse und Beihilfe zum Steuerbetrug leiste. Seit er das intern geäußert hat, steht in seinem Arbeitszeugnis der Vermerk „kritischer Denker”.

Als aus der Filiale auf den Cayman-Inseln Kundenakten verschwinden, muss Elmer einen Lügendetektortest machen. Er bricht den Test ab und wird im Jahr 2002, zwei Wochen vor Weihnachten und drei Wochen vor einer Wirbelsäulenoperation, von der Bank entlassen – nach 15 Dienstjahren.

Von der Verletzung zum Verrat

Elmer ist tief gekränkt. Und er fasst einen Plan. In mehreren Schritten legt er Kundendaten auf den Tisch – Daten, die er nach eigenen Angaben auf einem alten Band in einer Bananenkiste in seinem Haus gefunden hat. Erst konfrontiert er Bankkunden direkt, worauf Julius Bär Privatdetektive auf ihn und seine Familie ansetzt. Später schickt er Daten an die Schweizer Steuerbehörden und die Finanzzeitschrift „Cash”. Das bringt ihm die erste Untersuchungshaft ein, ein Monat in Zürich.

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Jonas Seufert

Jonas Seufert ist freier Journalist in Leipzig. CORRECTIV ist das erste spendenfinanzierte Medium in Deutschland. Als vielfach ausgezeichnete Non-Profit-Organisation stehen wir für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürger an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.

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Elmer fühlt sich in diesen Jahren verfolgt. Und er schlägt zurück. Er bedroht Mitarbeiter von Julius Bär und will der Bank Neonazis auf den Hals hetzen. Die Banker-Familie Bär ist jüdisch. Ganz genau scheint er es mit der Wahrheit nicht zu nehmen. 2008 veröffentlicht Wikileaks zum ersten Mal Daten von Elmer – darunter auch einen offensichtlich gefälschten Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Schweizer Behörden ermitteln gegen ihn, sein ehemaliger Arbeitgeber geht gegen ihn vor, viele Medien trauen ihm nicht. Das einzige was Elmer jetzt helfen kann, ist mehr Aufmerksamkeit, Interesse auch an seinem persönlichen Schicksal.

Das Datum der Pressekonferenz in London ist kein Zufall. Zwei Tage später steht das Urteil in einem Prozess gegen ihn an. Wegen mehrfacher vorsätzlicher Verletzung des Bankgeheimnisses, mehrfacher versuchter Nötigung und versuchter Drohung wird er zu einer Geldstrafe von 7.200 Schweizer Franken verurteilt.

Er verlässt das Gericht als freier Mann – bis er in der Tiefgarage seiner Wohnung ankommt. Dort nehmen ihn Polizeibeamte fest. Dieses Mal wird er sechs Monate in Untersuchungshaft bleiben. Wegen der CD-Übergabe zwei Tage zuvor in London.

Elmer ist eine öffentliche Person. Er ist aber genauso ein Stratege im Hintergrund. Immer wieder wendet er sich an deutsche Steuerbehörden. Dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück schreibt er 2009 einen Brief. Er will Daten liefern gegen die Aufnahme im Zeugenschutzprogramm. Steinbrück antwortet nicht. Auch von Fahndern in Hamburg und Frankfurt ist er enttäuscht.

Im Januar 2010 sagt er bei der Düsseldorfer Steuerfahndung aus. Sie haben Fragen zu den Daten, die Elmer 2008 auf Wikileaks gestellt hat. Es sind die richtigen Fragen, Elmer fasst Vertrauen. „Ich hatte das Gefühl, die wissen, was sie wollen”, sagt er. „Als Steuersünder möchte ich denen nicht begegnen.” Mit einem Fahnder ist Elmer sogar per Du, was dem Beamten später Probleme mit seiner Behörde bringt.

Elmer sagt, er sei Peter Beckhoff nie begegnet. Aber er ist zögerlich mit Namen. Er will die Fahnder schützen, auch heute noch, auch wenn sie schon in Rente sind oder tot. Nur so viel: Die Beamten, die Elmer traf, hatten eine Verbindung zu Beckhoff.

Vom Verrat zur Überzeugungstat

Anfang 2010 übergibt Elmer eine Reihe an Daten. Sie treffen sich im Raum Nürnberg, wo Elmer eine Kopie der Steuer-CD im Safe einer Sparkasse deponiert hat – angeblich bis heute. Die Ermittler ziehen sich vor Ort eine Kopie auf ihren Rechner. „Geld war nie ein Thema mit den Düsseldorfern”, sagt Elmer. Zu keinem Zeitpunkt hätten diese ihm eine Bezahlung angeboten. Elmer will auch kein Geld. Er will längst mehr. Das System zerschlagen.

Doch das System schlägt beharrlich zurück. Im Jahr 2014, während Elmer sich eigentlich in der Psychatrie behandeln lässt, wird er wegen der Pressekonferenz mit Wikileaks zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Sommer 2016 wird er in einem Berufungsverfahren zwar vom Hauptanklagepunkt – der Verletzung des Bankgeheimnisses – freigesprochen. Aber das Verfahren geht vor das Bundesgericht.

Von der Kränkung zum Verrat. Vom Verrat zur Überzeugungstat. So könnte man Rudolf Elmers Weg beschreiben. Es geht ihm heute gut, sagt er. Auch wenn ihm keine Bank mehr einen Job geben will. Auch wenn er bald vielleicht doch ins Gefängnis muss. In ein bis zwei Monaten, so schätzt er, wird das Schweizer Bundesgericht entscheiden. Rudolf Elmer ist jetzt Hausmann und Aktivist.

Wikileaks hat nach der Übergabe in London nie Daten veröffentlicht. Fragt man Rudolf Elmer, waren auch gar keine Daten auf der CD. „Da müsste man ja ein Dummkopf gewesen sein.” Zu hoch das Risiko, dass die Polizei ihn vor Ort verhaftet. Er hätte die Daten Wikileaks auf anderen Kanälen zukommen lassen.

Aber was war auf den CDs? Laut Elmer waren es zwei Musikdateien. Trommelwirbel, das Keyboard setzt ein, dann singt eine tiefe Männerstimme: „The Whistleblooo-wer!”

steuerkrieg schweiz: kapitel gier

Als Lutz Otte am 24. Juli 2012 sein Büro betritt, weiß er noch nicht, dass es sein letzter Arbeitstag sein wird. Er wusste, dass die Bank Julius Bär früher oder später dahinter kommen würde, was er getan hat. Aber dass es so schnell geht, hat er nicht gedacht.

Wieder Julius Bär. Diesmal sitzt das Leck in Zürich, nicht in der Karibik. Es ist ein Deutscher, wuchtig, bärtig, IT-Spezialist.

Kurz nachdem Otte den schnöden Verwaltungssitz der Bank am Rande der Stadt erreicht, weit weg von den vornehmen Filialen im Zentrum, wird er zum Chef der IT-Abteilung zitiert. Polizisten in Zivil kommen herein, der Staatsanwalt. Sie legen ihm Handschellen an, Untersuchungshaft.

Man kann vielen Datendieben unterstellen, dass es ihnen eigentlich ums Geld ging: Wolfgang U., Sina L., auch Heinrich Kieber. Aber Lutz Otte ist der einzige, der das offen zugibt. Otte ist Unternehmer, der Diebstahl war ein Geschäft.

Und als er das Geschäft einfädelt, im Sommer 2011, weiß er, dass er sich beeilen muss. Es könnte sein, dass die Ära der CD-Deals bald zu Ende geht. Und wenn er Pech hat, steht er mit einem Datensatz da, den niemand mehr haben will. „Ich überlege noch, ob wir die besprochene Aktion machen – jetzt oder nie mehr,” schreibt Otte im August 2011 an seinen Partner. Sie entscheiden sich für jetzt.

Ein gescheiterter Vertrag

Otte steht unter Zeitdruck, denn es soll bald ein Abkommen geben. Deutschland und die Schweiz verhandeln schon lange miteinander. Deutschland will Steuergeld, so viel wie möglich. Die Schweiz will ihre Ruhe. Endlich keine CD-Deals mehr, keine tobenden Politiker und düpierte Bankmanager, keinen Medienrummel. Das Kerngeschäft der Schweiz ist die Diskretion. So gesehen sind die Schlagzeilen der letzten Jahre ein einziges Fiasko.

Ende September 2011 unterzeichnen Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Schweizer Kollegin Eveline Widmer-Schlumpf ein Abkommen, das beide Staaten zufriedenstellen soll. In Deutschland muss es allerdings noch durch den Bundesrat. Und da hat die SPD zusammen mit den Grünen die Mehrheit, und nicht Schäubles CDU. Dieselbe SPD, zu der auch Walter-Borjans gehört, Beckhoffs unerbittlicher Chef.

Schäubles Deal: Vorhandenes Geld in der Schweiz soll mit 19 bis 34 Prozent nachversteuert werden. Für die Zukunft soll derselbe Steuersatz wie in Deutschland gelten. Zehn Milliarden Euro verspricht sich Schäuble allein durch die Besteuerung der Altvermögen. Im Gegenzug verpflichtet sich Deutschland, keine Daten mehr zu kaufen.

Aber es gibt ein Problem: Die Anleger sollen unerkannt bleiben.

Für die SPD ist das undenkbar. Über ein Jahr wird Schäuble mit den Sozialdemokraten streiten. Er wird den Steuersatz für Altvermögen erhöhen, den SPD-Ländern sogar Geld vom Bund bieten. Aber er wird die Schweiz nicht überzeugen, die Identität ihrer Kunden preiszugeben.

Während all das passiert, wird die Schweiz toben, weil Deutschland weiter CDs kauft. Deutschland wird toben, weil die Schweiz Haftbefehle für Peter Beckhoff und Kollegen ausstellt. SPD-Chef Gabriel wird das Abkommen einen „Persilschein für Schweizer Banken” nennen. Und nach all dem Hin und Her wird das Abkommen Ende 2012 am Widerstand von SPD und Grünen scheitern.

Aber davon weiß Lutz Otte ein Jahr vorher, im Oktober 2011, noch nichts. Er braucht Daten – und er braucht sie schnell. An seinem Rechner im Großraumbüro kann der Programmierer keine USB-Sticks anschließen, keine CDs brennen. Aber er kann Emails senden. In einem Zeitraum von zwei Monaten schickt er sich Daten von bis zu 80.000 Kunden aus der ganzen Welt auf seine private Mailadresse, getarnt als Bilddateien. In die Betreffzeilen der 15 Mails schreibt er oft „hinundweg”. Später wird er knapp 3.000 deutsche Datensätze, diejenigen über 100 000 Euro, verkaufen können.

Otte ist selbst auf der Flucht

Otte will nicht nur Geld. Er braucht es auch. Denn diejenigen, denen er seine Daten liefern will, sind auch hinter ihm her. Otte war früher Unternehmer in Deutschland. Und er hat Steuerschulden: Eine alte Sache, falsche Abrechnungen, es geht um eine Million Euro. In der Schweiz wähnt er sich vor den Behörden sicher. Aber die deutschen Fahnder sitzen ihm weiter im Nacken: Hausdurchsuchungen, Bescheide, rechtliche Auseinandersetzungen. Später wird er dem Staatsanwalt sagen, dass er von dem Geld für die Daten seine Steuerschulden beglichen habe.

Mitte November 2011 hat Lutz Otte die Daten aus der Bank geschafft, aber er ist noch nicht am Ziel. Er braucht einen Mittelsmann. Jemand, der die Daten für ihn vertickt. Otte findet ihn beim Golfen. Eine lose Bekanntschaft, die sich während einiger Turniere in der Schweiz ergab. Harry M., so soll er hier heißen, ist ausgerechnet pensionierter Steuerfahnder. Spezialgebiet: Künstler und Sportler. Irgendwann im Sommer 2011 beschließen sie, Partner zu werden.

Als Otte die Daten beisammen hat, schreibt M. eine Email an das Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen. Betreff: „Steuer-CD Schweizer Bank”. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Die Steuerfahndung Münster übernimmt. Otte will drei Millionen Euro, aber die Qualität der Daten ist schlecht. Emails gehen hin und her, immer wieder Anrufe, es wird gedealt wie auf dem Basar.

Am Ende bekommt Otte, so sagt er es zumindest selbst, 1,1 Millionen Euro in bar. Harry M. will sich da nicht festlegen.

Mal sind es 600.000 Euro, mal eine Million. M. übergibt das Geld bei zwei Treffen im Raum Berlin. Otte wird später gerne sagen, dass er sich ein bisschen gefühlt habe wie Dagobert Duck, mit den ganzen Scheinen.

Wer hat wen angesprochen?

Wie viel von dem Geld Harry M. bekommt, darüber streiten sie bis heute. Vor allem aber darüber, wer die Idee hatte. Wenn Lutz Otte sich an Harry M. gewandt hat, dann war es einfach ein weiterer Daten-Deal. Business as usual. So sagt es Harry M.

Hat aber Harry M., der Steuerfahnder a.D., Lutz Otte angesprochen, dann macht sich Deutschland verdächtig, gezielt für Datendiebstähle geworben zu haben. Und das hat Potential für eine diplomatische Krise. So sagt es Otte zunächst, dann will er sich nicht mehr genau erinnern. Harry M. sagt, Otte zu helfen sei im Namen der Steuergerechtigkeit korrekt gewesen. Viel lieber aber will er seinen Ruhestand genießen.

Lutz Otte wird in der Schweiz für den Datendiebstahl verurteilt: 36 Monate Haft, die Hälfte zur Bewährung. Anderthalb Jahre sitzt er im Gefängnis. Ob er die Steuerschuld von dem Geld wirklich beglichen hat, darüber spricht er nicht. Er lebt aber jetzt, so sagt er, in Mecklenburg-Vorpommern.

steuerkrieg schweiz: kapitel vergeltung

Oktober 2017. Der Mann, der in Frankfurt am Main auf der Anklagebank sitzt, sieht aus wie ein Frührentner, nicht wie James Bond. Das graue Haar gescheitelt, Vollbart, beige Jacke, schlabbriges Hemd. Und doch soll Daniel M. eine Art Schweizer James Bond gewesen sein, ein Geheimagent, der auf deutschem Boden spionierte.

Eigentlich war es ruhig geworden im deutsch-schweizer Steuerkrieg. Der letzte CD-Ankauf liegt wohl schon einige Zeit zurück. Auch Peter Beckhoff befasst sich nicht mehr rund um die Uhr mit reichen Deutschen, die ihr Geld in der Schweiz verstecken. Er ist an einem anderen, nicht weniger brisanten Thema dran: Cum-Ex-Geschäfte. Bis zu 32 Milliarden Euro könnte der deutsche Staat verloren haben, weil sich Unternehmen und ihre Partner eine einmal gezahlte Steuer mehrmals haben erstatten lassen.

Es gibt in diesem Krieg zwischen Deutschland und der Schweiz ja auch, wenn man so will, einen Friedensvertrag. Im Jahr 2015 hat die Schweiz beschlossen, sich an einem automatischen Informationsaustausch zu beteiligen.

Eine internationale Vereinbarung, aufgrund derer Staaten Bankinformationen miteinander teilen. Ab Ende 2018 soll die Schweiz steuerrelevante Bankdaten mit Deutschland, der EU und weiteren Staaten austauschen. Viele sagen deshalb, das Bankgeheimnis sei de facto gefallen. Auch wenn es viele Ausnahmen gibt.

Festnahme in Frankfurt

Aber dann verhaften Ermittler des Bundeskriminalamts am 28. April 2017 einen Schweizer im Hotel „Roomers” in Frankfurt am Main. Daniel M., 54 Jahre, geboren in Balsthal im Kanton Solothurn. Er war Polizist in Zürich, dann Sicherheitsbeauftragter bei der Schweizer Bank UBS, seit 2010 ist er Privatermittler. Der Verdacht gegen ihn: geheimdienstliche Agententätigkeit.

Wenn dem so ist, dann hätte die Schweiz in diesem Krieg mit bisher ungeahnten Waffen gekämpft. Sie hätte nicht nur Haftbefehl gegen die Steuerfahnder erlassen. Sie hätte auch einen freiberuflichen Spitzel auf Beckhoff und Kollegen angesetzt.

Denn Daniel M. soll zwischen 2012 und 2015 eine Liste mit Informationen zu Ermittlern der Wuppertaler Steuerfahndung vervollständigt haben. Er nennt das: Sudoku machen. Vor allem aber soll er einen Maulwurf in der Steuerfahndung platziert haben.

Wenn das stimmt, kann man das als Schweizer Gegenangriff werten. Aus Sicht der Schweiz sind Beckhoff und sein Team Kriminelle. Hehler, die potentielle Diebe zu Straftaten anstiften. Machen sie dafür gezielt Werbung? Oder kommen die Diebe von alleine?

Die Frage ist für die Schweiz entscheidend. Deutsche Politiker sagen immer wieder, dass niemand die Datendiebe gezielt anspricht. Sie würden die Daten von sich aus anbieten. Die Schweiz aber will das Gegenteil beweisen.

Hat Werner Mauss den Hinweis gegeben?

Die Umstände, die zu Daniel M.’s Enttarnung führten, klingen bizarr. Vielleicht auch, weil eine weitere schillernde Persönlichkeit verwickelt ist: Werner Mauss. Mauss ist ebenso wie Daniel M. Privatdetektiv und Geheimagent und soll Dutzende Aufträge von der Bundesregierung und Polizeibehörden bekommen haben, unter anderem für die Befreiung von Geiseln. Und Mauss soll angeblich Daniel M. beauftragt haben, Steuerdaten aus der Schweiz zu stehlen.

Die Berner Polizei nimmt M. im Jahr 2015 fest, doch der präsentiert eine ganz andere Geschichte: In Wahrheit sei er für den Schweizer Geheimdienst tätig und spioniere die deutschen Steuerfahnder aus.

Da die Berner Justiz das Verfahren gegen Daniel M. auf Mauss ausweitet, bekommt auch er Akteneinsicht in das Verfahren in der Schweiz. Später landet Daniel M.’s Aussage beim Generalbundesanwalt in Deutschland. Mauss bekommt in einem Verfahren, das er wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe am Hals hat, eine überraschend milde Strafe – aus Respekt vor seiner Lebensleistung, sagt der Richter. Und Daniel M. landet in Untersuchungshaft.

Daniel M.’s Anwälte handeln während des Prozesses im Oktober 2017 einen Deal aus. M. gesteht, dass er Beckhoff und Kollegen bespitzelt und dafür auch Geld vom Schweizer Geheimdienst bekommen hat. Im Gegenzug kommt er mit einer Bewährungsstrafe von 22 Monaten und einer Geldstrafe von 25.000 Euro davon. Er wird wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verurteilt. Es war also ein Gegenangriff.

Ein Schweizer, verurteilt wegen Spionage in Deutschland. Wenn nun also die Schweiz drei Deutsche wegen Wirtschaftsspionage in der Schweiz anklagt, dann kann man darin eine Reaktion auf den Fall Daniel M. sehen. Es wäre eine Retourkutsche.

Ob Daniel M. wirklich einen Maulwurf in der Steuerfahndung Wuppertal platziert hat, kommt nicht ans Licht. Peter Beckhoff jedenfalls glaubt nicht daran. „Wir haben unsere Arbeit immer so gemacht, wie wir wollten”, sagt er der Süddeutschen Zeitung. „Ohne den Eindruck zu haben, ausspioniert zu werden.”

steuerkrieg schweiz: kapitel epilog

An Peter Beckhoffs letztem Arbeitstag sitzt Daniel M. noch in der JVA Mannheim in Untersuchungshaft. Einige Male hat Finanzminister Walter-Borjans den Vertrag seines besten Mitarbeiters schon verlängert. Er will nicht auf ihn verzichten, auch wenn Beckhoff schon seit drei Jahren in Pension sein sollte. Doch irgendwann, genauer gesagt nach 38 Dienstjahren und im Juni 2017, ist Schluss. 14 Jahre war Beckhoff Wuppertaler Chef-Fahnder.

Elf Datensätze – es waren ja in Wirklichkeit selten CDs – hat das Land Nordrhein-Westfalen gekauft. 19 Millionen Euro hat es dafür ausgegeben – und 126 mal so viel eingenommen. Knapp 2,4 Milliarden Euro haben die Strafverfahren gegen Steuerhinterzieher, aber auch die Geldbußen für Banken und die Flut von Selbstanzeigen eingebracht. Deutschlandweit sollen es bis zu sieben Milliarden Euro sein. Glaubt man Peter Beckhoff, dann hat er in seiner Amtszeit mehr als 100 Angebote mit Kundendaten bekommen. Sei aber viel Blödsinn dabei gewesen, sagt er im Interview.

Peter Beckhoff bekommt viel Lob für seine Arbeit. Aber er hat sich auch in Deutschland nicht nur Freunde gemacht. Es gibt Neider. Es gibt Behördenmitarbeiter, die stöhnen, wenn er Anfragen stellt, weil das so viel Aufwand bedeutet. Es gibt Menschen, denen missfällt, dass sich ein deutscher Beamter mit den CD-Käufen am Rande des Gesetzes bewegt. Es gibt immer noch den Haftbefehl aus der Schweiz.

Und doch ist der schnörkellose Peter Beckhoff, der in einem bescheidenen Mehrfamilienhaus wohnt, das Klingelschild aus abgewetztem Metall, wahrscheinlich Deutschlands erfolgreichster Steuerfahnder.

Eine Party und ein Gutschein zum Matterhorn

Ein Mensch wie Beckhoff, denkt man sich, will zu seinem Abschied keine Party. Es hat sie wohl trotzdem gegeben. Die Kollegen haben den Raum mit Schweizer Fahnen dekoriert, schließlich haben auch Finanzbeamte Humor. Und sie schenken Beckhoff einen Gutschein: Ihr Chef soll endlich mal Urlaub machen, am Schweizer Matterhorn.

Doch am Ende, man muss es wohl so sagen, ganz am Ende haben sie Peter Beckhoff doch noch in die Suppe gespuckt. Es hat mit seiner Nachfolge zu tun. Beckhoffs Posten hat seine Stellvertreterin übernommen – vorübergehend zwar, aber sie will Chefin bleiben. Und sie ist eine Vertraute. Gleiche Schule, gleiche Methoden.

Ein paar Wochen nach Beckhoffs Abschiedsparty sind Landtagswahlen in NRW. Danach ist Norbert Walter-Borjans nicht mehr Finanzminister. Sein Nachfolger von der CDU sagt, er will so weitermachen wie bisher – und macht ein halbes Jahr später jemanden von außen zum Chef der Steuerfahndung Wuppertal. Man munkelt in Düsseldorf, die Zeit der radikalen Methoden sei vorbei.

Beckhoffs Vertraute ist frustriert. Und sie arbeitet jetzt für Deloitte. Sie soll die Buchprüfer „insbesondere bei der rechtssicheren Umsetzung steuerlicher Vorgaben in der Finanzwirtschaft” unterstützen. Es fühlt sich an wie ein Seitenwechsel.

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