Willy Brandt und seine vier Kinder Ninja, Peter, Lars und Matthias

Die Kinder

Viermal wird Willy Brandt in seinem Leben Vater. Seine Kinder müssen von früh auf damit zurecht kommen, dass er als Spitzenpolitiker häufig von zu Hause weg ist und nur wenig Zeit mit ihnen verbringen kann. Die familiären Beziehungen sind geprägt von wechselnden Phasen der Nähe und der Distanz.

Mit den daraus entstehenden Belastungen und mit der Tatsache, dass Brandt eine politische Jahrhundertgestalt ist, gehen seine Tochter und seine drei Söhne jeweils unterschiedlich um. Alle vier legen Wert darauf, beruflich auf eigenen Füßen zu stehen und unabhängig vom prominenten Vater zu sein. Trotz mancher Konflikte bleibt aber das Gefühl der gegenseitigen Verbundenheit und Wertschätzung in der Familie erhalten.

Ninja Frahm

Das erste Kind von Willy Brandt ist die Norwegerin Ninja Frahm. Als ihre Mutter, Carlota Thorkildsen, sie am 30. Oktober 1940 in Oslo zur Welt bringt, wohnt ihr Vater schon seit einigen Monaten in Schweden. Dorthin ist Brandt nach der deutschen Besetzung Norwegens geflohen.

Mutter und Tochter kommen im Frühjahr 1941 nach Stockholm. Kurz darauf heiraten die Eltern. Der amtliche Name der jungen Familie lautet Frahm, unter dem Willy Brandt in Lübeck aufgewachsen und auf den 1940 sein norwegischer Pass ausgestellt worden ist. Ninja behält auch später diesen Nachnamen.

Nach der Trennung und Scheidung von Carlota Thorkildsen bemüht sich Willy Brandt sehr darum, in engem Kontakt mit seiner Tochter zu bleiben. Er schreibt dem Mädchen, das seit 1945 mit der Mutter wieder in Norwegen lebt, regelmäßig liebevolle Briefe. In ihrer Kindheit und Jugend verbringt Ninja stets die Sommerferien beim Papa und dessen zweiter Ehefrau Rut in Berlin. Sie versteht sich gut mit ihrer Stiefmutter und ihren Halbbrüdern und gehört wie selbstverständlich zur Familie. Später trifft man sich immer wieder in Norwegen, wo die Brandts bis in die 1970er Jahre fast jedes Jahr Urlaub machen.

Ninja besteht 1959 das Abitur, wird dann Lehrerin und leitet später eine Montessori-Schule. Sie heiratet den Bauingenieur Knut Kringstad und bekommt 1983 und 1984 zwei Töchter. Vor allem zur jüngsten Enkelin Janina entwickelt der Großvater Willy ein inniges Verhältnis. Ninja Frahm lebt heute in Oslo.

Peter Brandt

Der älteste Sohn von Willy und Rut Brandt wird am 4. Oktober 1948 während der Berliner Blockade geboren und wächst in West-Berlin auf. Wie später auch seine jüngeren Brüder genießt Peter Brandt eine relativ liberale Erziehung. Die Eltern lassen ihren Kindern Freiraum zur persönlichen Entfaltung, geben ihnen aber auch Orientierung.

Trotz der häufigen Abwesenheit des Regierenden Bürgermeisters von zu Hause hat Peter nach eigenem Bekunden in seiner Kindheit nicht das Gefühl, etwas zu vermissen. Wenn Willy Brandt Zeit für ihn und seinen jüngeren Bruder Lars hat, spielen sie gemeinsam Gesellschaftsspiele, rudern auf dem Schlachtensee, machen Ausflüge innerhalb Berlins und ins Umland oder besuchen ein Museum. Gelegentlich fahren sie auch nach Ost-Berlin.

Wie einst der Papa, engagiert sich Peter schon in jungen Jahren politisch. 1963 tritt er den „Falken“ bei, der Jugendorganisation der SPD. Doch die Politik der Sozialdemokraten, die er von weit links kritisiert, gefällt dem Jungen bald immer weniger. 1968 verlässt er die Falken und gründet eine eigene trotzkistische Organisation mit Namen „Spartacus“. Heftige Konflikte mit Vater Willy sind die Folge, der seine Politik durch den Sohn in Frage gestellt sieht. Mutter Rut muss des Öfteren zwischen beiden vermitteln und erinnert ihren Mann dabei auch an dessen eigene linkssozialistische Jugendzeit.

Als Willy Brandt Ende 1966 Außenminister der Großen Koalition wird und die Familie kurz darauf nach Bonn umzieht, bleibt Peter in Berlin. Dort macht er 1968 das Abitur. Für großen Wirbel sorgt seine Beteiligung an den Protesten der Außerparlamentarischen Opposition (APO), die vor allem gegen den Vietnamkrieg der USA, die Notstandsgesetze der Großen Koalition und den Springer-Verlag auf die Straße geht. Obwohl er stets friedlich demonstriert und Gewalt entschieden ablehnt, wird Peter Brandt 1968 wegen der Teilnahme an unerlaubten Demonstrationen in West-Berlin festgenommen und angeklagt. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt den 19-Jährigen zu einem Arrest von zwei Wochen, der in der Berufungsinstanz in eine Geldstrafe umgewandelt wird.

Teile der Medien, der Öffentlichkeit und sogar einzelne Parteimitglieder werfen dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt damals vor, seinen Ältesten nicht richtig erzogen zu haben. Trotz der gravierenden politischen Differenzen in seiner Familie kommt es dem Vater aber nie in den Sinn, den Sohn zu maßregeln oder zu bestrafen.

Seine trotzkistische Phase lässt Peter Brandt im Laufe der 1970er Jahre hinter sich. Von 1980 bis 1985 ist er Mitglied der Alternativen Liste, wie die Grünen in West-Berlin heißen. In den 1990er Jahren wird er Mitglied der SPD. Nach dem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Promotion 1973 arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität Berlin. Der Historiker habilitiert sich 1988 und ist von 1990 bis 2014 Professor für Deutsche und Europäische Geschichte an der Fernuniversität Hagen. Zu den Schwerpunkten seiner Forschungsarbeit und seinen Veröffentlichungen zählen nicht zuletzt die Geschichte der Arbeiterbewegung und die „Deutsche Frage“.

Das Verhältnis der Linken zur Nation und zur Wiedervereinigung Deutschlands, für die er sich schon in den 1980er Jahren einsetzt, bewegt Peter Brandt besonders. Manches Gespräch mit seinem Vater, zu dem der Kontakt nie abreißt, kreist um dieses Thema. Das wird auch in dem 2013 veröffentlichten Buch „Mit anderen Augen“ deutlich, in dem er aus der Sicht sowohl des Historikers als auch des Sohnes auf den Politiker und Privatmann Willy Brandt blickt.

Peter Brandt gehört zahlreichen Gremien an, u. a. der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, dem Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Kuratorium der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung sowie dem Vorstand der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er lebt mit seiner Ehefrau Antonia Brandt in Berlin und hat zwei Kinder. Aus seiner ersten Ehe mit Gabriele Brandt stammt die 1983 geborene Tochter Karoline, aus der zweiten Ehe der 1986 geborene Sohn Anton.

Lars Brandt

Der zweite Sohn des Ehepaars Brandt wird am 3. Juni 1951 geboren. Wie sein Bruder Peter wächst Lars Brandt als waschechter Berliner auf. Widerstrebend macht er 1967 den Umzug der Familie nach Bonn mit.

In West-Berlin stehen die ältesten Söhne des Regierenden Bürgermeisters schon früh im Rampenlicht der Medien. 1966/67 geraten die Brüder erstmals bundesweit in die Schlagzeilen, weil sie gemeinsam die Hauptrolle in der Verfilmung der von Günter Grass stammenden Novelle „Katz und Maus“ spielen. Aufsehen und Protest erregt vor allem eine Szene, in der Lars Brandt halbnackt mit einem Ritterkreuz der Wehrmacht herumtanzt. Konservative und Rechtsradikale sehen dadurch die deutsche Soldatenehre beschmutzt. Einmal mehr richtet sich die scharfe Kritik gegen Willy Brandt, der seinen Söhnen erlaubt hat, in dem in Polen gedrehten Film mitzuwirken.

Obwohl ihm ein gewisses Talent bescheinigt wird, entscheidet Lars sich gegen eine Schauspielkarriere. Er macht Abitur und studiert anschließend Politik, Soziologie und Philosophie. Ab Mitte der 1970er Jahre ist er freischaffender Künstler und betätigt sich als Maler, Filmemacher und Buchautor. Mit seiner Ehefrau Renate lebt er heute in Bonn.

Von den Kindern ist der mittlere Sohn dem Vater lange Zeit am nächsten. Mit Textentwürfen arbeitet Lars an wichtigen Reden und Büchern Willy Brandts mit, nicht zuletzt an dessen Autobiografien „Begegnungen und Einsichten“ (1976) sowie „Links und frei“ (1982). Auch auf einigen Reisen begleitet er den Bundeskanzler und SPD-Vorsitzenden. In den 1980er Jahren entzweien sich beide jedoch. Es kommt zum Bruch, der erst kurz vor Willy Brandts Tod überwunden wird.

2006 veröffentlicht Lars Brandt das von der Literaturkritik sehr gelobte Buch „Andenken“. Es ist ein einfühlsames Portrait des Vaters, das ungewohnte private Einblicke in das Familienleben bietet. Weit entfernt davon, eine Abrechnung zu sein, beschreibt Lars die komplizierte Persönlichkeit Willy Brandts mit all ihren Eigenheiten und Widersprüchen.

Matthias Brandt

Acht Wochen nach Beginn des Mauerbaus erblickt der jüngste Brandt-Sohn am 7. Oktober 1961 in West-Berlin das Licht der Welt. Die äußerst schwere Geburt überleben Mutter und Kind nur knapp. Vater Willy bekommt davon zunächst nichts mit. Gegen Rut Brandts ausdrücklichen Wunsch ist der Regierende Bürgermeister tags zuvor in die USA geflogen.

1967 zieht Matthias Brandt mit seinen Eltern nach Bonn um. Als Willy Brandt 1969 Bundeskanzler wird, interessieren sich Presse und Öffentlichkeit auch sehr für dessen jüngsten Spross. Denn erstmals lebt in der Familie eines amtierenden Kanzlers ein minderjähriges Kind. Das beschert den Medien bei offiziellen Fototerminen und den Urlaubsreisen der Brandts immer wieder schöne Bilder.

Doch die Momente sind rar, in denen Vater und Sohn wirklich etwas zusammen unternehmen. Umso enger ist die Beziehung des Jungen zur Mutter. Rut Brandt sorgt dafür, dass Matthias so normal, wie das überhaupt möglich ist, aufwächst. Er hat Freunde in der Nachbarschaft und im Fußballverein. Der begeisterte Fan spielt mehrere Jahre in einer Jugendmannschaft mit.

Nach dem Abitur in Bonn studiert Matthias Brandt Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Ab 1985 ist er an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen engagiert. Außerdem übernimmt er kleinere Rollen in Kino- und Fernsehfilmen. Den Durchbruch schafft er 2003 durch die TV-Produktion „Im Schatten der Macht“, die ihn dem breiten Publikum bekannt macht. Darin spielt er den DDR-Spion Günter Guillaume, dessen Enttarnung Bundeskanzler Willy Brandt 1974 zum Rücktritt veranlasst hat.

In dem Dokumentarfilm „Schattenväter“, an dem auch der Guillaume-Sohn Pierre Boom mitwirkt, erzählt Matthias Brandt 2005 erstmals von seinen Erlebnissen und Eindrücken als Kanzlersohn und dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. 2016 erscheint sein viel beachtetes Buch „Raumpatrouille“. Darin beschreibt der 55-Jährige in vierzehn Geschichten, wie er als Kind jene Jahre in Bonn wahrgenommen hat.

Als Schauspieler ist Matthias Brandt bereits mehrfach für seine herausragenden Leistungen ausgezeichnet worden, z. B. 2006 und 2013 mit dem Bayerischen Filmpreis, 2007 mit dem Adolf-Grimme-Preis und 2011 mit dem Bambi. Mit seiner Ehefrau Sofia und der 1999 geborenen Tochter Naima lebt er heute in Berlin.


Literaturhinweise:

Lars Brandt, Andenken, München/Wien 2006.

Matthias Brandt, Raumpatrouille. Geschichten, Köln 2016.

Peter Brandt, Mit anderen Augen. Versuch über den Politiker und Privatmann Willy Brandt, Bonn 2013.

Torsten Körner, Die Familie Willy Brandt, Frankfurt a. M. 2013.