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Unterwegs Nikolai von Bismarck

„Ich habe mit dem Stamm geschlafen, gegessen, getrunken“

Autor im Ressort Stil
Lernte sein Handwerk bei Annie Leibovitz, fotografierte die Stars in New York und Paris: Nikolai von Bismarck. Dann brauchte der Freund von Kate Moss eine Auszeit - und nahm sie sich in Afrika. Nun ist er zurück mit Geschichten von einem anderen Leben.
Nikolai von Bismarck: Fotograf - und Ururenkel von Otto von Bismarck
Nikolai von Bismarck: Fotograf - und Ururenkel von Otto von Bismarck
Quelle: Nikolai von Bismarck

Ein kleines Märchenhäuschen mitten in London, drinnen Aschenbecher, Kunst, Sofas mit Lebensspuren und ein Hausherr mit beträchtlichem, struppigem Charme. Nikolai von Bismarck, 32, Fotograf (und Ururenkel des Eisernen Kanzlers) hat für Dior ein spektakuläres Porträtbuch fotografiert. Und nur darum soll es jetzt gehen. Er raucht während des Gesprächs keine einzige Zigarette.

ICONIST: Herr von Bismarck, wie wurden Sie Fotograf?

Nikolai von Bismarck: Meine Liebe zur Fotografie begann, als ich mit meiner Familie Kenia besuchte. Zu Weihnachten hatte ich eine Polaroid-Kamera bekommen. Ich fragte die Menschen, die ich traf – die Ältesten der Massai und Kikuyu, deren Kleidung und Schmuck anders waren als alles, was ich zuvor gesehen hatte –, ob ich ein Porträtfoto machen dürfte im Austausch gegen ein Polaroid. Es hat sie völlig entwaffnet und mir wurde klar, dass Porträts ein inspirierender Austausch zwischen Fotograf und Model sein könnten. In meiner Schule gab es eine Dunkelkammer, da wurde es ernst. Dann kamen die Kunsthochschule in Paris und meine Assistenz für Annie Leibovitz in NYC. Das war meine Ausbildung. Ich war insgesamt fast drei Jahre dort. Ich habe zwar assistiert, vor allem aber viel recherchiert. Das war krass. Sie arbeitet wie eine Forensikerin: detailversessen und unermüdlich.

ICONIST: Wie muss man sich das vorstellen?

Von Bismarck: Wenn sie zwei Leute in einem Zug fotografierte, musste ich erst mal die beiden Personen untersuchen. Wie sehen sie in welchem Winkel mit welchem Licht aus? Wann wirken ihre Nasenlöcher zu groß? Was ist mit dem Haaransatz? Wie sind sie bereits fotografiert worden? Es sollte nicht zu ähnlich zu vorherigen Fotos werden, aber sie wollte wissen, was funktioniert hat. Und dann der Zug: Jedes erdenkliche Modell, von der Dampflok bis zum High-Speed-Train, jedes Detail, die Einrichtung, alles, wirklich alles musste in einem großen Rechercheordner gesammelt werden. Dieses Vorgehen habe ich von ihr gelernt.

Die Freundin: Kate Moss in Dior Homme. Seit 2015 sind sie ein Paar
Die Freundin: Kate Moss in Dior Homme. Seit 2015 sind sie ein Paar
Quelle: Nicolai von Bismarck

ICONIST: Die obsessive Vorbereitung?

Von Bismarck: Je nachdem. Meine Reportagen aus Afrika, Burma oder Kuba waren sehr spontan. Aber bei dem Buch für Dior musste ich unglaublich strukturiert arbeiten. Als Kim Jones und ich im April 2018 einen Spaziergang machten und das Projekt besprachen, war schnell klar, es sollte sich zeitlos anfühlen. Wenn man in 50 Jahren auf die Bilder schaut, sollen sie immer noch funktionieren. Wir haben teilweise drei Personen pro Woche fotografiert. Und ich habe über 200 Leute angeschrieben, ob ich sie fotografieren kann. Von Dior kamen vielleicht 50 weitere. Ich musste viele andere Jobs absagen. Aber es war die richtige Aufgabe für mich.

ICONIST: Woher wussten Sie das?

Von Bismarck: Drei Monate vorher hatte ich den Fotografen Don McCullin getroffen, den ich sehr bewundere, und ihn um Rat gefragt. Er mochte meine Reportagen, meinte aber, ich sei zu frei. „Du musst dich auf eine Sache konzentrieren. Nimm dir ein Jahr Zeit für ein Porträtbuch. Dabei wirst du Disziplin und Geduld lernen.“ Wenig später fing Kim bei Dior an. Ich gratulierte ihm, und als wir uns trafen, erzählte ich ihm von dem Ratschlag jenes legendären Fotografen. Und er sagte: Mach doch ein Porträtbuch für Dior. Meine einzige Bedingung war, dass die Erlöse an das Teenage Cancer Trust gingen. Er war sofort dabei und ist mittlerweile im Vorstand.

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ICONIST: Wieso ist Ihnen diese Organisation wichtig?

Von Bismarck: Ich glaube, jeder kennt einen Menschen mit Krebs. In meiner Familie gab es einen Fall, wo die betroffene Person noch sehr jung war. Und ich habe die Arbeit von Teenage Cancer Trust gesehen: Die Teenager sind in einer Einrichtung mit Gleichaltrigen, die das Gleiche durchmachen. Es gibt Therapien für die Eltern, Künstler, die Kurse geben. Die sind einfach fantastisch.

Alter Freund des Hauses. Für Louis Vuitton kreierte er Bestseller-Taschen, für Dior Homme posiert er als Model: Takashi Murakami, der die 10. Künstlerausgabe der WELT gestaltete
Alter Freund des Hauses. Für Louis Vuitton kreierte er Bestseller-Taschen, für Dior Homme posiert er als Model: Takashi Murakami, der die 10. Künstlerausgabe der WELT gestaltete
Quelle: Nicolai von Bismarck

ICONIST: Was haben Sie in den Menschen gesucht, die Sie fotografiert haben?

Von Bismarck: Wir wollten einen wilden Mix. Menschen aus dem Dior Atelier, wie zum Beispiel der Deutsche Jürgen Michaelsen. Aber auch Stars wie A$AP Rocky oder Bella Hadid und Takashi Murakami, mit denen Kim gearbeitet hat. Auf der ursprünglichen Liste waren vor allem Kreative. Es war wichtig für uns, mehrere Generationen abzubilden und anzusprechen: von Lila Moss und Blondey McCoy bis Lee Scratch Perry, Julian Schnabel oder David Bailey. Das Layout war eine ganz besondere Herausforderung.

Takashi Murakami in der WELT-Redaktion

ICONIST: An Ihrer Wand hängen die größten Namen der Fotografiegeschichte. Wie haben Sie Ihren eigenen Standpunkt gefunden?

Von Bismarck: Den hatte ich eigentlich schon. Die starken Kontraste, das Schwarz-Weiß. Aber ich war auf der Suche nach Posen und Inszenierungen. Manche wussten genau, was sie wollten: Der Künstler Raymond Pettibon wollte dastehen wie James Dillinger. Und mit den Schauspielern war es auch toll: Ich glaube, ich konnte die Intensität von Ben Kingsley einfangen. Totale Bewegung von Eddie Redmayne, der morphte in alle möglichen Charaktere.

ICONIST: Naomi Campbell dagegen wollte wissen, was sie zu tun hat. Wie kann das sein? Wenn jemand Kameraerfahrung hat, dann doch wohl sie.

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Von Bismarck: Das war in Paris während der Fashion Week. Sie hatte einen langen Tag hinter sich und war einfach fertig. Ein bisschen schüchtern, ein bisschen erschöpft. Beim zweiten Shooting war sie in Topform und wusste genau, was sie wollte. Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, Anweisungen zu geben. Früher habe ich mich am wohlsten gefühlt, wenn ich Leute einfach beobachtet habe. Jetzt mache ich beides gerne.

Topmopdel Naomi Campbell
Topmopdel Naomi Campbell
Quelle: Nicolai von Bismarck

ICONIST: Wer hat Sie wirklich überrascht?

Von Bismarck: Lee Scratch Perry. Mein Bruder arbeitet zurzeit an einem Musikprojekt in Jamaika. Und ich hörte, dass er in London ein Konzert geben würde. Wir kriegten das irgendwie hin, dass er zur Session ins Studio kam. Er hat nur in Reimen gesprochen, was, glaube ich, seine Art ist, Leute auf Distanz zu halten. Ich mochte ihn gern und gab ihm ein Foto von Haile Selassies Orden, das ich in einer Universität in Addis Abeba heimlich gemacht habe.

ICONIST: Was ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Ihren früheren Arbeiten und dieser Dior-Session-Serie?

Von Bismarck: Was beide gemeinsam haben, ist Intensität. Aber natürlich ist es was anderes, wenn Sie in Äthiopien wochenlang in einem Zelt leben und sich morgens im Fluss waschen. Ich habe mit dem Stamm geschlafen, gegessen, getrunken.

ICONIST: Wie kam es dazu?

Von Bismarck: Während der Arbeit für Annie Leibovitz lebte ich in New York, war den ganzen Tag im Studio. Danach brauchte ich etwas radikal anderes. Ich wollte Geschichten erzählen, reiste nach Somalia, nach Mosambik, nach Myanmar. Die Reisen finanzierte ich mit dem Verkauf der Fotos.

Gehört zu den berühmtesten Fotografinnen der Welt

ICONIST: Gab es schwierige Situationen?

Von Bismarck: Darüber möchte ich lieber nicht sprechen. Einmal bin ich in die Nähe von erbitterten Stammesfehden geraten. Die einen wollten das Vieh der anderen stehlen. Wenn sie sich über den Weg laufen, schießen sie sofort. Die Fotos, die sie hier an der Wand sehen, sind vom Stamm Karo. Das war eine 20-Stunden-Autofahrt von Addis Abeba. Irgendwann kam mir ein Wagen der UN entgegen voller Blutspritzer und ich dachte kurz: „Was um alles in der Welt mache ich hier?“ Damals war ich ziemlich angstfrei.

ICONIST: Gab es diese romantische Vorstellung von einem Abenteuerleben?

Von Bismarck: Wie so oft gab es unterschiedliche Motivationen: Reporterneugier, Suche nach Motiven, Eskapismus. Ich wollte weg aus der Großstadt.

ICONIST: Wie war das am Fluss Omo, der voller Krokodile ist: Konnten Sie nachts schlafen?

Von Bismarck: Erstaunlich gut, auch wenn das Zelt winzig war. Es ist unglaublich, wie anpassungsfähig der Mensch ist. Es war eine Zeit des Nachdenkens.

Nikolai von Bismarck hatte sie alle vor seiner Linse. So etwa den britischen Fotografen David Bailey
Nikolai von Bismarck hatte sie alle vor seiner Linse. So etwa den britischen Fotografen David Bailey
Quelle: Nicolai von Bismarck (3)

ICONIST: War Ihre Zeit in Afrika auch einer der Gründe, warum Sie sich mit Kim Jones verstanden haben, der einen Teil seiner Jugend in Kenia und Äthiopien verbracht hat?

Von Bismarck: Ja. Wir teilen die Faszination für Afrika. Er hat einen Teil seiner Jugend in Kenia und Äthiopien gelebt. Und wir lieben Geschichte. Er durchsucht in seinem Job unermüdlich die Dior-Archive. Monsieur Dior hat ja viele interessante Figuren angezogen: von Sophia Loren bis Jean Cocteau.

ICONIST: Hat Mode Sie schon immer interessiert?

Von Bismarck: Ehrlich gesagt: nein. Aber ich lerne. Und ich liebe Kims Arbeit für Dior. Dass ich mit ihm und bei Rizzoli mein erstes Buch realisieren konnte, ist eine große Ehre. Und der Prozess war faszinierend: Ich war fünf Tage beim Drucker in Stuttgart, während einer Hitzewelle im Juni. Die Druckstraße war 40 Meter lang, es war sehr heiß, ich werde es nie vergessen.

Er war ein gefeierter Designer, den doch zeitlebens Zweifel plagten

ICONIST: Wenn Sie von Ihrem eigenen Buch absehen – mit welchem sollte der junge Foto-Freund anfangen?

Von Bismarck: „The Americans“ von Robert Frank. Unglaubliches Projekt und dann noch das Vorwort von Jack Kerouac.

ICONIST: Haben Sie je „Cocksucker Blues“ gesehen, den Film über die Rolling-Stones-Tour 1972 ?

Von Bismarck: Habe ich. Bevor es Social Media gab, wurde der einmal im Jahr in Paris gezeigt – ich glaube mit der Erlaubnis von Mick, Keith und Robert Frank. Mittlerweile finden Sie den auf YouTube.

ICONIST: Und ist er so skandalös, wie man sagt?

Von Bismarck: Schauen Sie ihn selbst. Ich bin da nicht unparteiisch, weil ich Keith und seine Familie kenne. Und Anita Pallenberg (Anm.: die 2017 gestorbene Ex-Partnerin von Richards) war eine enge Freundin von mir. Ich habe ein paar Zeichnungen von ihr hier in meinem Studio. Sie war sehr inspirierend für mich. Sie wollte noch mit Marianne Faithfull ein Album mit Marlene-Dietrich-Liedern aufnehmen. Das wäre natürlich fantastisch gewesen: kreativ bis zum Ende.

dior sessions
Quelle: Rizzoli

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