Napoleon: Der Code civil - Ordnung fürs bürgerliche Leben
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Napoleon: Der Code civil - Ordnung fürs bürgerliche Leben

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Ende 1804 krönte sich Napoleon selbst zum Kaiser, zuvor erließ er den Code Civil. Dieser wurde zum erfolgreichsten Gesetzbuch Europas.
Ende 1804 krönte sich Napoleon selbst zum Kaiser, zuvor erließ er den Code Civil. Dieser wurde zum erfolgreichsten Gesetzbuch Europas. © imago/Le Pictorium

Ende 1804 krönte sich Napoleon selbst zum Kaiser, zuvor erließ er den Code Civil. Dieser wurde zum erfolgreichsten Gesetzbuch Europas.

Am 13. August 1800 erklärte Napoleon Bonaparte (1769 – 1821) – im Jahr zuvor war er durch einen Staatsstreich Erster Konsul der französischen Republik geworden: „Ich gebe Ihnen sechs Monate; machen Sie mir einen Code civil!“. Der Mann war Militär. Sein Element war der Befehl. Er wusste also auch, dass der Befehlshaber den Befehlsempfängern auf den Leib rücken muss, wenn ihm wirklich an der Durchsetzung seines Befehls gelegen ist. Das Licht der Öffentlichkeit erblickte der Code Civil erst am 21. März 1804, also heute vor 220 Jahren. Und das auch nur, weil Napoleon, als die Juristen nicht so recht vorankamen, am 6. Januar 1804 selbst die Leitung des zuständigen Gremiums übernahm.

Was war der Code Civil? Er fasste systematisch die unterschiedlichsten privatrechtlichen Regelungen zusammen, die in den verschiedenen Regionen Frankreichs Geltung hatten. Eine Quelle war auch das Corpus Iuris Civilis des oströmischen Kaisers Justinian von 533. Napoleons Code Civil war der Versuch einer aufgeklärt liberalen Gesetzgebung für den Privatverkehr der Franzosen. Er war wohl das erfolgreichste Gesetzbuch Europas. Es galt ganz oder in Teilen in vielen Ländern Europas nicht nur während der französischen Besatzungszeit, sondern vielerorts lange darüber hinaus. Ihm folgten in rascher Folge ein Zivilprozess, ein Handelsgesetzbuch und 1808 und 1810 die Strafgesetzbücher „Code d’instruction criminelle“ und „Code pénal“. Auf diesen fünf Gesetzbüchern „beruht noch heute ein Großteil der globalen Justizkultur“. (Wikipedia)

Neben dem Code Civil betrieb Napoleon ein ganz anderes Projekt. Er wollte Kaiser werden. Frankreich war durch ihn wieder die entscheidende Großmacht Kontinentaleuropas geworden. Ein König wäre ein Rückschritt gewesen. Mit dem Kaisertitel fütterte er den Nationalstolz der Franzosen, seinen eigenen und den seiner Familie. Dieses Projekt betrieb er hinter verschlossenen Türen. Er wollte zum Kaiser gebeten werden. Das klappte ebenfalls hervorragend. Am 2. Dezember 1804 setzte er sich die Krone auf das lorbeerbekränzte Haupt. Sein Hofmaler Jacques-Louis David (1748 -1825), ein wenn man so will „konvertierter“ Jakobiner, hat diesen Moment in seinem 1805 bis 1807 entstandenen Monumentalgemälde propagandistisch festgehalten. Natürlich musste für die Einrichtung eines erblichen Kaisertums die Verfassung Frankreichs wieder einmal erheblich geändert werden. „Nation“ und „Volk“ verschwanden aus dem Verfassungstext. 142 Zusätze „umgaben den Thron“, so der Napoleonbiograph Adam Zamoyski, „mit Ämtern aus der französischen Monarchie und dem Heiligen Römischen Reich“. Der Nationalfeiertag war nicht mehr der Sturm auf die Bastille, sondern Napoleons Geburtstag.

Der Fortschrittlichkeit des Code Civil stand also der reaktionäre Charakter der Wiedereinführung eines Ein-Mann-Regimes entgegen. Viele Zeitgenossen sahen das so. Der berühmte Mathematiker, Festungsbauer und Revolutionär Lazare Nicolas Marguerite Carnot (1753–1823) zum Beispiel, der ein paar Monate auch Napoleons Kriegsminister gewesen war, sprach sich in aller Deutlichkeit gegen Napoleons kaiserliche Ambitionen aus. Das werde zu einer unendlichen Reihe von Kriegen führen und das französische Volk werde darin seine Freiheit verlieren. Adam Zamoyski gibt ihm recht: Die Revolutionskriege 1792 bis 1799 brachten vier- bis fünfhunderttausend Franzosen den Tod. Die fünfzehn Jahre napoleonischer Kriege legten noch einmal acht- bis einhunderttausend Tote auf den Leichenberg. Aber die Kritiker blieben eine Minderheit. Napoleon erschien der Mehrheit der Franzosen und nicht nur ihnen als ein starker Mann, der den Wirren der Revolution ein Ende machen und endlich wieder Ordnung ins bürgerliche Leben bringen konnte. Der Code Civil war ein wichtiges Element dieses Projekts. Die Franzosen, so erklärte Napoleon Lafayette, haben die Freiheit satt. „Die einzig notwendige freie Verfassung“, erklärte Napoleon, sei der Code civil.

Wer im Internet nach dem deutschen Text des Code Civil sucht, der stößt auf die Übersetzung von F. Lassaulx. In der zweiten 1807 erschienenen Auflage ist im Präliminartitel dem „ersten Consul“ in einer Klammer stets der „Kaiser“ hinzugefügt. Man liest das ganze napoleonische Projekt mit anderen Augen, wenn man die Präambel zu Justinians Corpus Iuris Civilis betrachtet. Dort heißt es: „die kaiserliche Majestät muss nicht allein mit Waffen geschmückt, sondern auch mit Gesetzen gerüstet sein. Dann vermag sie zu jeder Zeit, im Krieg wie im Frieden, gut zu regieren, und der römische Kaiser bleibt Sieger nicht nur im Kampf gegen die Feinde, sondern auch dadurch, dass er auf den Wegen des Gesetzes den Ungerechtigkeiten der Böswilligen wehrt. Und wo wird er ebenso zum gewissenhaftesten Hüter des Rechts wie zum Triumphator über die besiegten Feinde.“ Ganz sicher sah Napoleon sich exakt in dieser Doppelrolle. Der letzte Satz des ersten Artikels von Justinian (482 -565) hat Napoleon ganz sicher ergriffen: „In der Tat werden nunmehr alle Völker durch Gesetze regiert, die wir neu verkündet oder verfasst haben.“ Am 26. September 1816 war Napoleon im Exil auf St. Helena.

Damals erklärte er: „Mein Ruhm ist nicht, vierzig Schlachten gewonnen zu haben. Waterloo wird die Erinnerung an so viele Siege auslöschen. Was aber durch nichts ausgelöscht werden wird, was ewig leben wird, das ist mein Code civil.“ So ganz Unrecht hatte er nicht. Das „ewig“ ist natürlich keine Zeitangabe, sondern romantische Rhetorik. 1805 bis 1815 und noch einmal 1853 bis 1871 hieß der Code Civil ganz offiziell Code Napoleon, so wie es den Code Justinian gab.

Wer ein wenig einsteigt in den Code Civil, der stößt auf Regelungen, die uns gerade heute überraschen. In Artikel 9 heißt es: „Jedes in Frankreich von einem Fremden geborene Individuum kann in Jahresfrist nach erlangter Majorität seine Eigenschaft als Franzose reklamieren…” Das ist Lichtjahre den heute in der Bundesrepublik geltenden Regelungen voraus. Auch vom Artikel 11 dieses 220 Jahre alten Gesetzbuches sind wir weit entfernt: „Der Ausländer hat in Frankreich dieselben Zivilrechte zu genießen, die den Franzosen durch die Verträge der Nation, welcher der Fremde angehört, bewilligt sind oder werden.“

Eine deutlich andere Sprache sprechen die sich mit der Lage der Frauen beschäftigenden Regelungen. Zum Beispiel: „Der Mann ist seinem Weibe Schutz, das Weib seinem Mann Gehorsam schuldig.“ „Das Weib selbst wenn es in keiner Gemeinschaft der Güter mit seinem Manne lebt, oder diese Gemeinschaft aufgehoben wäre, kann ohne die Mitwirkung des Mannes zu dem Akt, oder dessen schriftliche Einwilligung, nichts schenken, veräußern, hypothezieren oder irgendetwas, weder unentgeltlich, noch unter lästigen Bedingungen erwerben.“

Sie erinnern sich, im Grundgesetz von 1949 steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Nun, ich erinnere mich, dass meine Mutter mit ihrem als Buchhalterin selbst verdienten Geld ohne Genehmigung meines Vaters keinen Kühlschrank kaufen konnte. Der Code Napoleon ordnet systematisch die Frau dem Manne unter. Damit setzt er die Justinianischen Regeln fort. Die bedeutendste Frauenrechtlerin der französischen Revolution, die Dramatikerin Olympe de Gouges, starb unter der Guillotine. Die französische Revolution inszenierte sich auch als Männeroper. Schauen Sie sich den „Schwur der Horatier“ des noch revolutionären David an.

Das moderne Frankreich war ein Produkt dieser Jahre und zu einem Gutteil das Werk dieses Korsen, dessen Akzent stets herauszuhören war. Hippolyte Taine (1828-1893) betrachtete Napoleon als ein pures Produkt Korsikas, Kind einer Welt, in der Familien jahrhundertelang in niemals endenden Fehden lebten. Das Unglück der Welt war, dass er so ausgebildet in die revolutionär aufgeputschte und mit Artillerie bewaffnete Moderne eintrat.

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