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Geschichte 1795

Napoleons schönster Liebesbrief

Auch Staatsmänner haben Frauenprobleme. Das beweist ein Schreiben, mit dem Napoleon einen Streit mit seiner zukünftigen Frau Joséphine beenden wollte. 1795 versprach er nach einem Streit: "Ich küsse dich dreimal". Heute wird der Brief in London versteigert.

Was ein Liebesfest hatte sein sollen, wurde ein verdorbener Abend. Tränen, Eifersucht, schlechtes Gewissen, laute Worte und zum Abschied Türenknallen: So darf man sich wohl den Anlass vorstellen für den Brief, den ein reuiger General Napoleon Bonaparte am nächsten Morgen um neun Uhr früh an seine Geliebte sandte, die, wie er demütig schrieb, "unvergleichliche Joséphine". Dieser Brief steht heute bei Christie's in London zum Verkauf. Für die zwei vergilbten Seiten im Oktavformat erwartet das Londoner Auktionshaus zwischen 30.000 und 50.000 Pfund Sterling.

Es wird heftiges Bieten erwartet, denn so viel Leidenschaft von so historischer Hand ist selten. Hier offenbart sich ein menschliches Drama, das Napoleon im späteren Leben - "Weltgeist zu Pferde", wie ihn der deutsche Philosoph Hegel schwärmerisch nannte - sich niemals mehr gestattete.

Sein Französisch ist fehlerhaft

Es ist ein außerordentliches Dokument (ohne Datum und mit integrierter Adresse), diktiert von leidenschaftlichen Gefühlen. Das zeigen vier Durchstreichungen und zwei ausführliche Verbesserungen. Später, Erster Konsul, Diktator und Kaiser, hat Napoleon seinen Sekretären nicht nur Befehle und Direktiven, sondern auch Liebesbriefe diktiert und allenfalls ein paar persönliche Worte in Eile hinzugesetzt. Aber an der Jahreswende 1795/96 war der gerade 26-jährige Offizier seiner selbst nicht sicher, und er bangte um die Frau, deren "seltsame Kraft" - "ton étrange pouvoir" - ihn verwirrte, anzog und zugleich warnen musste.

Schon die äußere Form des Briefes ist interessantes Zeitzeugnis. Der Brief an die Witwe des unter der Guillotine hingerichteten Marquis de Beauharnais war, politisch korrekt, ohne Titulatur adressiert: "A Madame Beauharnais". Reste eines Siegels sind noch sichtbar. Das graublaue Papier, sparsam von einem größeren Bogen abgeschnitten, weist einige Flecken auf.

Bemerkenswert ist, dass Bonaparte fehlerhaftes Französisch schreibt und in der Anrede schwankt, dem ungewissen Stand der Beziehung entsprechend, zwischen dem vertrauten Du und dem vornehmen Sie. Unterzeichnet ist der Brief mit "BP" für Bonaparte.

Du hast mein Herz verführt

Der General hatte einen strategischen Fehler gemacht: Er hatte sich beim Notar der schönen Joséphine erkundigt nach dem Zustand der Familienbesitzungen an Zuckerrohrplantagen auf den Westindischen Inseln. Joséphine war dahintergekommen und hatte eine Szene wie aus der Hölle gemacht.

Noch am nächsten Morgen hatte der General seine Gedanken nicht geordnet und schrieb: "Welche seltsame Kraft Du hast, unvergleichliche Joséphine." Dann allerdings verschwendete er seine Zeit nicht mit Entschuldigungen oder Erklärungen, sondern ging sogleich zum Angriff aus der Deckung vor. Plötzlich war sie, die Angebetete, die Schuldige: "Einer Deiner Gedanken vergiftet mein Leben, zerreißt meine Seele durch die widersprüchlichsten Gedanken, aber ein noch stärkeres Gefühl, eine zarte Stimmung zieht mich zurück und lässt mich zum Schuldigen werden. Ich fühle es sehr wohl, wenn wir uns streiten, dann sollte ich mein Herz anklagen, mein eigenes Gewissen. Du hast sie verführt, sie sind immer auf Deiner Seite."

Am Vorabend hatte Joséphine ihm vorgeworfen, sie nicht um ihrer selbst zu lieben, sondern aus materiellen Erwägungen. Das konnte tödlich werden für die Zukunft einer Beziehung, an der Bonaparte nicht allein aus Herzensgründen interessiert war. Und so ließ der General alles an Gefühlen aufmarschieren, was ihm zu Gebote stand.

Ich küsse dich dreimal

"Sie dachten, dass ich Sie nicht um Ihrer selbst willen liebte!!! Aber wie kann das sein? Ach, Madame, welche Sorge Sie sich machen. Wie kann ein so niedriger Verdacht in einer so reinen Seele entstehen? Ich bin darüber nicht weniger erstaunt als durch das Gefühl, das mich beim Aufwachen ohne alle Bitternis ließ und wie von selbst Ihnen zu Füßen führte." Dann der zärtliche Schluss, wieder im Ton des vertrauten, werbenden Du: "Ich küsse Dich dreimal, einmal Dein Herz, einmal Deinen Mund, einmal Deine Augen."

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Bonaparte hatte offenkundig miserabel geschlafen - das verraten die hastige Schrift und die vielen Korrekturen -, sich Vorwürfe gemacht und nach einem Weg gesucht, den Fauxpas vom Vorabend zu korrigieren. Der Marquise de Beauharnais war er offenkundig leidenschaftlich zugetan. Sie gehörte zu den berühmten "Merveilleusen" in der nachrevolutionären Epoche des Directoire.

Er war ein junger Offizier, Abkömmling einer korsischen Familie aus kleinem Adel, deren Besitz konfisziert war. Er hatte in Frankreich die Offiziersschule besucht, Fachrichtung Artillerie. Er las an zeitgenössischen Schriften, was man so las, Zeitkritik von Voltaire bis Rousseau, ohne tiefer darin einzudringen. Hätte die Revolution nicht den Tüchtigen und Skrupellosen Ruhm und Besitz versprochen und die Tore zu den Palästen aufgestoßen, dann hätte er Gamaschendienst leisten müssen, hätte eine bescheidene Ehefrau gefunden und wäre in der französischen Provinz an Langeweile eingegangen.

Mio dolce amor, schrieb Napoleon

Die Revolution führte ihn instinktiv auf die Seite der radikalen Jakobiner, des Wohlfahrtsausschusses und der Guillotine. Er ließ Kartätschen schießen in der Rue du Faubourg St. Honoré, als eine Gruppe antirevolutionärer Verschwörer gerade die alte Kirche St. Roch verließ - die Einschläge sind noch heute zu sehen. Das brachte ihm Beförderung. General wurde er nach der unerbittlichen Belagerung der Hafenstadt Toulon, die mit der britischen Flotte im Bündnis gewesen war.

Dem blutigen Sturz Robespierres und seiner radikalen Genossen im Sommer 1794 indessen folgte das bürgerliche Directoire, und da war die schnelle Karriere des jungen Revolutionsgenerals eine sehr doppeldeutige Empfehlung. Doch auch die neuen Herren brauchten Artillerieoffiziere und Draufgänger.

Bonaparte aber, damals noch der linkische Provinzler, der besser Italienisch als Französisch sprach - "mio dolce amor" schrieb er in einem anderen Brief an Madame -, brauchte Zugang zur neuen Klasse. Es galt, nach innen den zusammengerafften Besitz zu konsolidieren und nach außen die Revolution zu verteidigen. Die verwitwete Marquise brachte alles mit, was er brauchte: Charme und Schönheit, Verbindungen und Insiderwissen.

Der Adoptivsohn verschwendete Millionen

Und wenn die Besitzungen auf den Westindischen Inseln so reich waren, wie man in Paris erzählte, so war das kein Schaden. Barras, Kriegsminister des Directoire - ihm verdankt noch die deutsche Bundeswehr den Namen Barras - und Vorgesetzter Bonapartes, vermutete jedenfalls, den jungen General hätten auch noch andere als sentimentale Motive in die Arme der Marquise getrieben.

Bonapartes Brief erweichte die schöne Frau, und die leidenschaftliche Affäre war gerettet. Am 9. März 1796 wurde geheiratet, bevor Bonaparte die Truppen nach Italien führte, um dort reich zu werden. Joséphine brachte einen Sohn und eine Tochter in die Ehe mit - Eugène (als adoptierter Sohn des Korsen verschwendete er bald Millionen an die Ausschmückung des nach ihm genannten Palais Beauharnais auf dem linken Ufer der Seine, heute Residenz des deutschen Botschafters), der später bei den Wittelsbachern einheiratete und als Herzog von Leuchtenberg endete; und Hortense, die spätere Königin von Holland und Mutter Napoleons III.

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Joséphine Bonaparte war dem jungen Offizier eine Gefährtin im schnellen Aufstieg. Den Feldzug in Italien ebenso wie die (katastrophal endende) Expedition nach Ägypten ersparte sie sich. Aber nach dem Staatsstreich des 18. Brumaire gegen das Directoire, dem Konkordat mit der Papstkirche 1802, dem Code Napoleon 1804, der Abschaffung der revolutionären Zeitrechnung und der Schaffung des neuen Adels wurde sie in großem Zeremoniell von Napoleon zur Kaiserin gekrönt.

Die politische Heirat mit Marie-Louise

Das Monumentalgemälde des Malers Jacques-Louis David hält die Szene fest. Joséphine erhielt das Schlösschen Malmaison zum Geschenk, das bis heute in Ausstattung und Farben ihren aristokratischen Geschmack zeigt, der sehr anders war als die ästhetischen Übertreibungen des napoleonischen Empire-Stils.

Aber die Gemahlin des Ersten Konsuls so wenig wie die Kaiserin war imstande, ihrem Mann einen Sohn und Kronprinzen zu schenken. Wenn es noch die alte Liebe gab, so wurde sie nunmehr doch der Staatsräson geopfert. Der Kaiser wollte einen Kronprinzen und eine Dynastie: Dafür war, nach dem Sieg von Austerlitz über Russen und Österreicher, eine kleine Erzherzogin aus dem Hause Habsburg-Lothringen namens Marie-Louise gerade gut genug. Zudem brachte sie vielleicht das dringend erwünschte österreichische Bündnis als Mitgift.

So endete die Leidenschaft für Joséphine in Scheidung. Nach Joséphine gab es flüchtige Liebschaften. Es gab auch die legitime Kaiserin Marie-Louise, die in ziemendem Abstand von der Hochzeit den erwünschten Thronfolger gebar, den "roi de Rome".

Eine polnische Geliebte des Kaisers

Und es gab, letzte Liebe des Kaisers, die blutjunge polnische Gräfin Maria Walewska: "Ich habe nur Sie gesehen, ich bewundere nur Sie, ich verlange nur nach Ihnen. Schnell, schnell eine Antwort zur Beruhigung der brennenden Ungeduld von ... N."

Als Napoleon am 2. Januar 1807 diesen Brief schrieb, lag ihm der Kontinent zu Füßen. Die polnische Gräfin war todunglücklich, weil an das Geld eines großen Grundbesitzers verheiratet, um den Familienbesitz zu retten. Es brauchte keine großen Überredungskünste, zumal auch der polnische Hochadel sich von der Verbindung politische Vorteile versprach, und sie wurde die Geliebte des Kaisers.

Die Etappen waren Warschau, Schloss Finckenstein in Ostpreußen, Paris, Schönbrunn, dann wieder Paris von 1812 bis 1814, sie folgte ihm nach Elba und dann wieder nach Paris. Ein Sohn wurde geboren, der es zum Minister unter der Restaurationsmonarchie, der Zweiten Republik und Napoleon III. brachte.

Im Leben Napoleons hatte die Liebe einen erstaunlich hohen Rang. Das unterscheidet ihn, wie auch seine aufgeklärte Gesetzgebung, am meisten von anderen Großeroberern und Diktatoren. Er suchte die Frau, die Mutter, die Geliebte, und er hatte das Glück, sie in seinem Leben zweimal zu finden.

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