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Mode John Galliano

Ein reuevoller Sünder, aber immer noch ein Sünder

Autor im Ressort Stil
Crocs statt Napoleon-Kostüm: Der Modedesigner John Galliano arbeitet heute wieder, für die Marke Margiela, aber die Zeit seiner extravaganten Auftritte ist vorbei Crocs statt Napoleon-Kostüm: Der Modedesigner John Galliano arbeitet heute wieder, für die Marke Margiela, aber die Zeit seiner extravaganten Auftritte ist vorbei
Crocs statt Napoleon-Kostüm: Der Modedesigner John Galliano arbeitet heute wieder, für die Marke Margiela, aber die Zeit seiner extravaganten Auftritte ist vorbei
Quelle: Pathefilms/ Foto © David Harriman
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Der Modedesigner John Galliano erlebte märchenhaften Erfolg und tiefen Sturz. Ein Dokumentarfilm erzählt die Geschichte eines tragischen Genies, dem die Aufarbeitung seiner Vergangenheit nicht zu gelingen scheint.

Zu den sicherlich am häufigsten zitierten Aphorismen gehört der Satz des Produzenten Samuel Goldwyn: „Ein Film muss mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern.“ Selten allerdings hat sich ein Film so genau daran gehalten wie „High and Low. John Galliano“, der am Donnerstag ins Kino kommt und ab Ende April vom Arthouse-Streaming-Dienst Mubi gezeigt wird.

Der Film von Kevin Macdonald, der auch schon Mick Jagger und Bob Marley porträtierte, erzählt den Werdegang des Modedesigners John Galliano, heute 63. Das klingt zunächst nicht nach Erdbeben, denn der Markt wird überschwemmt mit Biopics und Serien von Modemenschen: Zuletzt waren es Christian Dior, Coco Chanel, sogar der neue Gucci-Kreativdirektor ließ den – leicht selbstironischen – Jubelkurzfilm „Who is Sabato de Sarno?“ über sich drehen.

Von Selbstironie ist bei Galliano keine Spur. Sein Aufstieg war märchenhaft, sein Erfolg veränderte die Modewelt für immer, sein Absturz war atemberaubend und schmerzhaft, und bis heute hat er sich nicht davon erholt. Dabei gilt der 1960 in Gibraltar geborene Galliano als eines der zwei größten Talente seiner Generation. Der andere, Alexander McQueen, nahm sich 2010 das Leben. Und wie Galliano über sich sagt, sei sein Verhalten ähnlich zerstörerisch gewesen: „Ich beging langsamen Selbstmord.“

Der Film beginnt mit dem Ende. Mit jenem Abend im Februar 2011 in Paris vor dem Szene-Restaurant „La Perle“. John Galliano sitzt allein an einem Tisch, völlig betrunken, und beginnt, seine Tischnachbarn aufs Widerlichste zu beschimpfen. „Leute wie Sie sollten tot sein. Ihre Mütter, Vorfahren sollten alle verdammt nochmal vergast sein!“.

Die Opfer dieser Tiraden wissen in jenem Augenblick gar nicht, wen sie vor sich haben, aber sie sind geistesgegenwärtig genug, die Szene zu filmen. Es stellt sich heraus, dass es nicht die einzige Entgleisung dieser Art war, und nur wenig später muss sich Galliano wegen seiner rassistischen und antisemitischen Pöbeleien vor Gericht verantworten. Seinen Job als Kreativdirektor bei Dior ist er los, und damit ist eine der schillerndsten Karrieren der Modegeschichte hässlich verglüht.

Nach Jahren wieder im Dior-Archiv: John Galliano in der Doku „High and Low“
Nach Jahren wieder im Dior-Archiv: John Galliano in der Doku „High and Low“
Quelle: Pathefilms/ Foto © David Harriman

Galliano hat lange Jahre der Reue hinter sich, und seit vielen Jahren trinkt er nicht mehr, sagt er. Als er die Szene von damals im Film er noch einmal zu sehen bekommt und dazu befragt wird, zündet er sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. „Ich werde mein Leben lang mit Heilung beschäftigt sein“, sagt er an einer anderen Stelle im Film, und das sieht man ihm an.

Sein öffentliches Bild war viele Jahre geprägt von seinen schillernden Auftritten nach den eigenen Modenschauen: Mal war er ein Astronaut, mal ein Torero, mal Napoleon. „Ist das der eitelste Mann der Modewelt?“, lautete eine Boulevardschlagzeile über ihn, aber der Galliano der tausend Kostüme wirkte nicht eitel, sondern unsicher. Wie Elton John in den 1970ern, der mit seinen Brillen und Plateausohlen die Verzweiflung über seine körperlichen Unzulänglichkeiten kompensierte.

Erfolg als Rache

Galliano war weder dick noch verlor er seine Haare, aber sein Vater hatte dem schwulen Sohn die Selbstachtung herausgeprügelt. „Manchmal versuchte meine Mutter, ihn zu stoppen, manchmal machte sie mit“, erzählt Galliano, der früh wusste, dass die Mode seine Zuflucht sein würde.

„Wer so missbraucht wurde von seinem Vater und der Gesellschaft wie John Galliano, für den ist Erfolg Rache“, sagt der Psychiater Boris Cyrulnik im Film. Und was für eine. Er studierte im Central St. Martins College, einer der besten Modeschulen der Welt. Und selbst dort ragte er heraus. Seine Abschlusskollektion „Les Incroyables“, geprägt vom „Look“ der Französischen Revolution, war eine fulminante Show mit Models in kunstvoll drapierten, gerafften, dekonstruierten Kleidern. Hamish Bowles, heute Chefredakteur von „World of Interiors“ und langjähriger Modekritiker bei „Vogue“, zählt jene Kollektion zu einer der fünf besten, die er je gesehen hat.

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Der Film kann nur eine Ahnung vermitteln vom Galliano der Anfangsjahre – selbst Wunderkinder wurden damals nicht so lückenlos dokumentiert und verfolgt, wie es heute üblich ist. Er war ein schüchterner, von sich selbst und seinem blitzschnellen Erfolg berauschter Kreativer, der andere mitreißen konnte. Nach jeder Show aber brach Galliano komplett zusammen. Er betrank sich allein in seinem Atelier und schaute wieder und wieder das Video der Modenschau, erzählt ein früher Investor.

Haute-Couture-Entwürfe für Frühjahr/Sommer 2011 von John Galliano für Dior
Haute-Couture-Entwürfe für Frühjahr/Sommer 2011 von John Galliano für Dior
Quelle: picture alliance / dpa

Irgendwann in „High and Low“ zählt der Designer all die Kollektionen auf, die er für Dior und die eigene Marke entwerfen musste. Es ist eine schwindelerregende Zahl, doch der Totalzusammenbruch von John Galliano, so scheint es, war in seiner Kindheit und seiner Psyche angelegt. Ein Verwundeter, der nützlich schien und dessen Defekte die Industrie zähmen zu können glaubte.

Dem jungen Modegenie und Enfant Terrible wurde 1995 die Verantwortung für Givenchy übertragen, einem ehrwürdigen, aber schon länger irrelevanten Couturehaus in Paris, das zum Konzern LVMH gehört. Wie üblich waren die Franzosen entsetzt, aber Galliano übertraf die Erwartungen, die sein Arbeitgeber Bernard Arnault in ihn gesetzt hatte. Schon zwei Jahre später sah dieser ihn für höhere Aufgaben gewappnet. Arnault übertrug Galliano die Leitung von Dior, was neben Chanel die größte und strahlkräftigste Marke des Modehimmels ist. Und der Outlaw aus England lieferte.

Seine Schauen waren die aufwändigsten, zauberhaftesten, zuweilen untragbarsten von Paris. Das oft verwendete Prädikat „Modepunk“ erwies sich als Verkennung seines Talents: Galliano war ein Hochdruckromantiker, der seinen Entwürfen das höchstmögliche Drama entlocken wollte, dafür die Kostümgeschichte der gesamten bekannten Welt plünderte. Im Jahre 2024 gälte das als kolonialistisch, in den 1990ern galt es als eklektizistisch-genial.

Sein Kollege Alexander McQueen war das wildere, freiere Talent, Galliano aber glaubte an den ganz großen Traum Mode. Mit und durch ihn wurde sie zum Spektakel, die Front Row war mit Hollywood-Stars besetzt. Wenn heute die offizielle Strategie von Luxusmarken lautet, Entertainment- und Kulturproduzenten zu sein, dann ist Galliano derjenige, der das vorgedacht und vorgemacht hat.

Es war die größte Show der Modewelt. John Galliano bewältigte sie nur mithilfe von Alkohol und Drogen – und seines Mitarbeiters und Vertrauten Steven Robinson, wie sein Boss eine getriebene Seele, der 2007 mit 38 Jahren starb. Dieser Verlust war womöglich der Auslöser für den Zerfall, der sich in erratischen Auftritten und Interviews ankündigte und dann in seinen Ausfällen einen traurigen Tiefpunkt fand.

Eine Kollektion von fiebriger Schönheit

Es folgten Entzugskliniken, Treffen mit Rabbis und Therapeuten, um seinen Antisemitismus zu verstehen und seine Dämonen zu bändigen. Was nicht folgte, waren Entschuldigungen: weder gegenüber den Menschen, die er beleidigt hatte, noch gegenüber seinem Chef bei Dior, Sidney Toledano, der jüdisch ist. Erst mit sieben Jahren Verspätung bekam er das hin.

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Die Erste, die ihm die Hand reichte, war seine alte Freundin Kate Moss. Sie entschied, dass Galliano ihr Hochzeitskleid für den 1. Juli 2011 entwerfen sollte. „Du denkst, dass dich die ganze Welt hasst. Ich habe das selbst erlebt, ich kenne das“, sagt sie in „High and Low“. Galliano sagt dazu mit feuchten Augen: „Ich hatte mein Selbstbewusstsein verloren. Aber Kate gab nicht auf.“ So bleibt, und das ist eine der unbedingten Stärken dieses Films, das Bild eines Mannes, der weder versteht, was er getan hat, noch ein allzu großes Verständnis für die Schmerzen anderer hat. Ein reuevoller Sünder, aber immer noch ein Sünder.

Der Film endet mit einer Show für die Marke Margiela, für die Galliano seit 2014 arbeitet. Er ließ 2022 eine Art Modewestern drehen (mal wieder seiner Zeit voraus), und während das Publikum jubelt, rennt der Modemacher durch leere Flure. Er atmet schwer wie ein Mann, der sich lange Gewalt angetan hat. Es ist kein theatralischer Auftritt wie früher, eher eine Flucht. Aber für Galliano gibt es kein Entkommen. Seine Kollektion zwei Jahre später, im Januar 2024 war bizarr, theatralisch, von fiebriger Schönheit. Sie wurde einhellig als der größte Modemoment seit Jahren gefeiert.

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