Moritz Bleibtreu

Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt.

Moritz Bleibtreu über sein Verhältnis zur Presse, den Film „Die Vierte Macht“, eine „kaputte Demokratie“, die Piratenpartei und warum er noch nie wählen gegangen ist

Moritz Bleibtreu

© UFA Cinema

Herr Bleibtreu, Sie spielen in „Die vierte Macht“ einen Boulevardjournalisten, den es nach Moskau verschlägt. In Russland wo der Film spielt und Sie teilweise drehten, ist der Missbrauch dieser Macht bekannt. Wie hat das die Dreharbeiten beeinflusst?
Bleibtreu: Wir haben vieles in der Ukraine gedreht, weil es in Russland einfach nicht zu drehen gewesen wäre. In der Ukraine wusste niemand, wovon der Film handelt, sonst hätten wir auch dort unter Umständen Probleme bekommen. Aber ich glaube das die Vernetzung aus medialer und politischer Macht kein Phänomen von totalitären Regimen ist. Diese Strukturen gibt es bei uns in anderer Form auch.

Sehen Sie die Zustände in Russland tatsächlich so nah an den deutschen?
Bleibtreu: Man kann die Zustände dort sicher nicht mit unseren direkt vergleichen. Aber dass mediale Einflussnahme eine riesige Rolle innerhalb der Politik spielt ist bei uns auch so. Sicher hat das in einem Land wie Russland ganz andere Ausmaße und Konsequenzen, aber die Verbindung ist da. So etwas wie Demokratie von einem Land mit der Geschichte wie Russland zu erwarten ist an sich schon gewagt. Und es ist einfach zu sagen, solche Probleme gäbe es bei uns nicht. Trotzdem glaube ich, das Macht ein Spiel ist, dessen Regeln immer irgendwie gleich sind. Ob in Russland oder bei uns.

Wobei in Russland die Verfehlungen schon eine andere Qualität haben…
Bleibtreu: Absolut. Aber das hat damit zu tun, dass ihnen gegenüber uns 50 Jahre fehlen, um einen Apparat aufzubauen. Die Russen wurden mit der großen Freiheit der Demokratie von uns überfallen. Alles, was sich seitdem entwickelt, geschieht im Blitztempo. Daher hinkt der Vergleich.

Sehen Sie die Presse tatsächlich als eine „Vierte Macht“?
Bleibtreu: Oh ja! Vielleicht müsste die Presse sogar – wenn man die Mächte in eine Rangfolge bringen wollte – einen Platz nach oben rücken. Die Medien sind aus dem machtpolitischen Spiel nicht wegzudenken. Sehen Sie sich die USA an, das Mutterland der kaputten Demokratie, wo gerade einmal zwei Parteien von reichen, mächtigen Leuten auf den Thron gehoben werden. Ohne eine Popularisierung durch die Medien wäre das nicht möglich. Ein Programm oder eine Idee alleine reichen nicht. Ich finde zum Beispiel einige der grundsätzlichen Ideen der Piratenpartei gar nicht so realitätsfremd.

Sind Sie Piraten-Wähler?
Bleibtreu: Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt. Aber zumindest finde ich die unkonventionelle Herangehensweise neu und interessant.

Sind die Piraten eine Alternative für Politikverdrossene?
Bleibtreu: Auf jeden Fall ist es interessant zu sehen, dass da einige Leute völlig undogmatische und neue Wege gehen wollen. Das bringt auf jeden Fall Farbe ins graue Spiel.

Und Sie sind wirklich noch nie wählen gegangen?
Bleibtreu: Nein. Ich werde es wohl auch nie tun und bin dafür schon gescholten worden. Wie kann jemand mit meiner Vorbildfunktion nicht wählen gehen, heißt es dann. Natürlich streite ich erstmal jede Vorbildfunktion ab. Ich bin kein Vorbild, sondern ein Schauspieler. Meine erste Wahl in Deutschland habe ich verpasst. Ich bin mit 17 aus Deutschland weg und mit 21 zurück gekommen. Mir fehlt diese erste Entscheidung, welches Lager ich unterstützen will. Nach meiner Rückkehr habe ich nie verstanden, was mir das wirklich bringen soll. Ich glaube nicht an das kleinere Übel, ich will mich nicht für ein kleineres Übel entscheiden. Damit wäre meine persönliche Freiheit doch schon stark eingeschränkt. Ich muss doch zu 100 Prozent von etwas überzeugt sein, um dahinter zu stehen. Das hat mir nie eine Partei ermöglicht.

Also müssten Sie Befürworter von Volksentscheiden und direkter Demokratie sein.
Bleibtreu: Natürlich! Wie sonst soll gelebte Demokratie funktionieren? Demokratie macht nur dann Sinn, wenn sie genau so funktioniert. Mit Freiheit hat sie wenig zu tun. Hast du zehn Leute, von denen sechs Blau gut finden und vier Rot und wir machen es Blau, dann bleiben immerhin vier von zehn, die trotzdem Rot wollen. Was machen wir mit denen? Das sind nicht so wenige.
Die westliche Welt versucht, Demokratie als Freiheit zu verkaufen, was aber nicht stimmt. Das ist nur bis zu einem gewissen Grad so. Demokratie kann nicht über Repräsentanten als Sprachrohre funktionieren, sondern nur über alle. Jeder muss die Sachlage als solche beurteilen. Vom Gesetzesentwurf bis zu Kindergärten. Die Frage ist, wie kann das gehen? Das wäre schon in Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen schwierig, aber wie will das China machen?!? Doch rein idealistisch betrachtet, müsste das der Weg sein.

Wie beurteilen Sie die Verknüpfung von politischer Macht und den Medien, die sich gegenseitig instrumentalisieren?
Bleibtreu: Das ist die Natur einer profitorientierten Leistungsgesellschaft. Eine Hand wäscht die andere. So funktioniert Kapitalismus. Das ist genauso notwendig, wie es schlimm ist. Und es wird sich nicht verändern lassen.

Zitiert

Ich habe kein Bock, ein Foto meiner schwangeren Freundin in der Zeitung zu sehen.

Moritz Bleibtreu

Es steht immer wieder im Raum, dass Medien Prominente mit zurückgehaltenen Informationen erpressen. Sie sind prominent, wurden Sie schon mal erpresst?
Bleibtreu: Leute, die sich prügeln, um über rote Teppiche zu rennen, müssen sich nicht wundern, wenn sie zu einem Spielball der Medien werden. Wobei es bei einigen der eingesetzten Methoden aufhört. Ich habe letztes Jahr mit Jude Law gedreht, der seine 160.000 vom Verlag zugesprochen bekam, weil er abgehört wurde [vom britischen Boulevard-Blatt „The Sun“, Anm. d. Red.]. Das ist kriminell und hat nichts mit gewöhnlichem Boulevardjournalismus zu tun. schon gar nicht in Deutschland. Grundsätzlich ist das ein Spiel, bei dem du dir überlegen musst, ob und wieweit du daran teilnehmen willst. Die Annahme, dass Musiker, Schauspieler & Co diese Medien brauchen, um erfolgreich zu sein, ist nur bedingt richtig. Es kommt darauf an, was da vermarktet wird. Das „Produkt“, was ein Künstler geschaffen hat, also das Lied, ein Film, ein Bild oder die eigene Persönlichkeit.

Es gibt den Fall von Charlotte Roche, die Jahre nach dem tragischen Unfalltod ihrer halben Familie in einem „Stern“-Interview angab, von der „Bild“ erpresst worden zu sein. Sie sollte direkt nach dem Vorfall mit einem Paparazzi-Foto zu einem Interview mit „Bild“ gedrängt werden.
Bleibtreu: Das ist schrecklich, unmenschlich, vor allem aber kriminell. Ich bin da nie wirklich schlecht behandelt worden, aber habe da natürlich auch unschöne Erfahrungen gemacht. Es reicht schließlich auch, wenn das Telefon am Tag fünfmal klingelt, wenn es darum geht, wie du zu deiner Mutter gestanden hast, die gerade gestorben ist.

War da für Sie eine Grenze erreicht?
Bleibtreu: Ja, aber trotzdem ist mir klar, dass das leider ein Teil des Lebens ist, das ich mir ausgesucht habe.
Das hat mit dem, was Charlotte passiert ist nichts zu tun, das ist einfach nur kriminell, hat mit dem Grundproblem nichts mehr zu tun und gehört bestraft.

War diese Erfahrung nach dem Tod Ihrer Mutter Ihr schlimmstes Erlebnis mit den Medien?
Bleibtreu: Ja, oder als meine Freundin schwanger war und Fotos von ihr auftauchten. Das ist nicht schön. Ich habe kein Bock, ein Foto meiner schwangeren Freundin, die das selbst auch nicht wollte, in einer Zeitung zu sehen. Doch so lange es keine Gesetzeslage gibt, die Persönlichkeitsrechte besser schützt, wird so etwas passieren. Frankreich ist da ein kleines Vorbild, die sind da ein kleines Stück weiter.
Aber das ist so im Leben, für alles was du machst, musst du einen Preis bezahlen. Und das ist Teil meines Preises. Du musst lernen damit umzugehen. Das geht ja schon viel früher los, wenn du einen Film machst und in jeder Zeitung steht, wie Scheiße der war. Das macht keinen Spaß, ist aber Teil davon. Es ist nett, wenn dich die „Bild“ zum zweitschönsten Mann Deutschlands kürt, aber eben nicht so nett, wenn du auf einmal deine schwangere Freundin in der Zeitung siehst.

Alice Schwarzer, Franz Beckenbauer oder Schauspieler wie Armin Rohde und Veronica Ferres haben bereits Werbung für „Bild“ gemacht. Könnten Sie sich auch vorstellen, für „Bild“ zu werben?
Bleibtreu: Nein. Ich finde die Kampagne als solche inhaltlich aber sehr interessant. Man erkennt, wie schlau die Leute bei der „Bild“ sind. Ich behaupte schon lange, dass Anti-Werbung das nächste große Ding wird. Man kann nicht ehrlicher mit dem eigenen Produkt umgehen, als es kritisch zu hinterfragen. Diese Ehrlichkeit ist ein großes Thema, da wir alle mehr Schein als Sein sind. Das ist eine perfide, aber intelligente Kampagne. Ich lese die Bild nicht, deshalb würde ich nicht für sie werben.

Ist das Spiel mit den Medien der Grund, warum immer mehr Schauspieler auf strikten Autorisierungsvereinbarungen beharren?
Bleibtreu: Es liegt in meinem eigenen Interesse. Gerade als junger Mensch redet man viel Scheiß und weiß gleichzeitig sehr wenig über die Gesetze des Journalismus. Man weiß nicht, dass die Antwort auf eine gestellte Frage zur Antwort auf drei gedruckte Fragen wird. Man weiß nicht, dass das geschriebene Wort so viel mehr Macht hat, als das gesprochene. Hat man einmal Pech, dreht man durch und denkt sich: „Die Schweine, ich will jedes einzelne Wort, das die drucken, sehen!“ Es gibt immer wieder Vögel, die da gemein sind. Ich behalte mir das Recht vor, noch einmal drüber zu sehen. Es ist schon lange her, dass ich etwas gestrichen habe. Das grundsätzliche Recht, seine wörtliche Rede zu kontrollieren, finde ich richtig.

Warum glauben Sie, sind Journalisten „gemein“ und verdrehen Zitate in ihrem Sinne?
Bleibtreu: Was sich verkauft, sind einfache, prägnante Dinge. Deshalb geben Journalisten häufig nicht den Menschen wieder, den sie getroffen haben, sondern den, den sie im Kopf haben. Oft geht es mehr darum, dieses Bild zu untermauern und zu verkaufen, als zuzuhören. Ich hatte wahrscheinlich deshalb wenig Stress mit der Yellow Press, weil ich so idealistisch bin, und denke: „Das sind ja auch Menschen und mit Menschen kann man reden.“ Deshalb würde mich interessieren, was vor dem Anruf von Wulff bei Kai Diekmann passiert ist. Das kann nicht der erste Anruf gewesen sein. Darüber redet aber niemand. Interessant wäre zu wissen, was im Vorfeld passiert ist. Da liegt der Hund begraben.

Der Kampf um Pressefreiheit ist in Russland eine sehr ernste Angelegenheit, die immer wieder auch Menschenleben fordert. Wie heikel ist es, daraus Entertainment zu machen, wie bei „Die Vierte Macht“?
Bleibtreu: Das ist die Natur des Geschichtenerzählens, die vordergründig erzählt, aber eben auch hintergründig eine zweite Ebene hat, die mal mehr und mal weniger ausgeprägt ist. Für mich unterhält ein guter Film erstmal und ist danach erst relevant. Bildungsfilme mag ich überhaupt nicht. Schaue ich einen Film, bei dem ich das Gefühl habe, dass der mir was verkaufen will, auf soziale Missstände aufmerksam machen will, ist das für mich vergeudete Liebesmühe. Liegt mir das gesellschaftliche Wohl so sehr am Herzen, dass ich unbedingt etwas verändern will, dann sollte ich keine Filme machen. Das ist der falsche Ansatz. Dann sollte man in die Politik gehen. Das Tolle am Geschichtenerzählen ist, dass da mehr ist als das, was sichtbar ist. Viele Filme lassen sich auf zwei Arten gucken: bei der einen geht es um die vordergründige Unterhaltung, bei er anderen darum, was dahinter ist.

Sie haben sich klar für das Kino und gegen das Fernsehen entschieden. Worin liegen die Gründe dafür?
Bleibtreu: Der Grund ist ein pragmatischer: Ich mag am Kino das Gemeinschaftserlebnis. Ich finde es besser, einen Teil von „Pirates Of The Caribbean“ mit 900 Leuten zu schauen, als allein vorm Fernseher. Das ist ein anderer Sport. Menschen müssen sich aufraffen und ins Kino gehen. Sie müssen ihre Aufmerksamkeit auf die Füße stellen und da hingehen, müssen sie teilen. Jemand, der für einen Film 15 Minuten durch den Regen gelaufen ist, bringt viel mehr Aufmerksamkeit mit, als jemand, der mit seinem Bier vorm Fernseher sitzt und jederzeit wegschalten kann. Das hat sicher mit meiner Kindheit zu tun. Ich bin bei Proben auf Theaterbühnen groß geworden. Und zum Theater müssen die Leute auch hinkommen.
Ich bin nicht inhaltlich gegen das Fernsehen. Im Gegenteil, gerade die öffentlich-rechtlichen Sender machen gute Sachen. Ich kann mindestens eine handvoll Produktionen nennen, die alle auf der Leinwand hätten laufen können. Oder wenn man sich HBO in den Staaten ankuckt, Serien wie „The Wire“ oder „Breaking Bad“. Da legt das Fernsehen Meilensteine hin.

3 Kommentare zu “Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt.”

  1. Nichtwähler |

    Bravo Moritz

    Sehr gut, daß es auch in der Öffentlichkeit stehende Menschen gibt, die sich von der bei uns praktizierten Scheindemokratie distanzieren.

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  2. Gast |

    OMG!

    „Nach meiner Rückkehr habe ich nie verstanden, was mir das wirklich bringen soll.“

    So ein Idiot!!

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  3. Hans Olo |

    Zum Demokratieverständnis…

    .. möchte ich folgendes sagen: Die Demokratie ist sozusagen der Kompromiss als Staatsform. Niemand, nicht die Wähler, nicht die Politiker kann seine Position zu 100% durchsetzen ohne Kompromisse zu machen. Und diese Kompromissbereitschaft fängt im kleinen an. Immer passiv zu bleiben, weil man nichts findet, zu dem man 100%ig stehen kann, bedeutet Stillstand

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