Der etwas andere Fußballer: Wie "Magic" Röhl in Freiburg durchgestartet ist - kicker
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Der etwas andere Fußballer: Wie "Magic" Röhl in Freiburg durchgestartet ist

Schach-Liebe und Messi-Spielerei

Der etwas andere Fußballer: Wie "Magic" Röhl in Freiburg durchgestartet ist

Merlin Röhl befindet sich in dieser Saison beim SC Freiburg und in der U 21 auf der Überholspur.

Merlin Röhl befindet sich in dieser Saison beim SC Freiburg und in der U 21 auf der Überholspur. picture alliance / Promediafoto

Ein Hype ist bei Social Media schnell entstanden. Irgendwie klar, dass auch dieser Clip viral ging. In der Hauptrolle: Merlin Röhl, Jungprofi des SC Freiburg. Ort: Leipzig. Zeitpunkt: 11. Bundesliga-Spieltag am 12. November 2023. Handlung: Röhl kommt kurz hinter der Mittellinie an den Ball, startet einen Sololauf über links, den er im Leipziger Strafraum mit einem präzisen Schuss ins lange Eck veredelt. Kurzbeschreibung: Absolutes Traumtor. Als Statisten im Einsatz: Amadou Haidara, Mohamed Simakan, Lukas Klostermann, Castello Lukeba und Janis Blaswich.

Die fünf Leipziger bringen es zusammen auf mehr als 400 Spiele in der Bundesliga und 91 in der Champions League. Zum Vergleich: Röhl steht bei 19 Bundesliga- und vier Europa-League-Auftritten. Der SWR packt in seinem Youtube-Format "Dein SCF" direkt den ganz großen Vergleich aus - Hype! - und unterlegt Röhls Solo mit einem spanischen Original-Kommentar zu einem Tor von Lionel Messi. Amüsante Spielerei. Aber ein bisschen Magie scheint Merlin, der Zauberer, schon anzuwenden, um sich und den Ball dem Zugriff der Leipziger Gegenspieler zu entziehen. Die Grundlage für den aufgrund seines Vornamens schon existenten Spitznamen "Magic" hat Röhl jedenfalls deutlich erweitert.

Auch abgesehen davon hat dieser Treffer trotz der 1:3-Niederlage eine besondere Bedeutung. Drei Tage nach seiner SC-Torpremiere in der Europa League gegen Backa Topola (5:0) ist es sein erster Ligatreffer, der von den Fans zum SC-Treffer des Jahres gewählt wird. Und das bisher herausstechende Highlight Röhls, der diese Saison so richtig durchstartet. In der Liga steht er seit dem 9. Spieltag in der Startelf, verpasst bis Ende Januar nur eine Partie wegen einer Risswunde am Fuß. Die zieht er sich beim wichtigen 3:1-Sieg der deutschen U 21 in der EM-Qualifikation gegen Polen zu, bei dem er neun Tage nach Leipzig wieder trifft.

Er ist groß, richtig schnell und kann im Prinzip alles spielen.

U-21-Nationalcoach Antonio Di Salvo

In den fünf U-21-Partien seit dem Generationswechsel erhielt Röhl stets ein Startelfmandat von Antonio Di Salvo. "Merlin", sagt der DFB-Coach, "spielt eine super Runde, hat sich Schritt für Schritt entwickelt. Von Lehrgang zu Lehrgang ist er selbstbewusster und offener geworden." Und bringt vor allem seine Vorzüge immer besser auf den Rasen. "Er ist groß, richtig schnell und kann im Prinzip alles spielen. Sechser, Achter, Zehner, Flügel, hängende Spitze, für Freiburg hat er auch schon vier Tore aufgelegt, auch per Kopf", beschreibt Di Salvo den 1,91-Meter- Mann: "Der große Raumgewinn mit Ball am Fuß ist eine seiner großen Stärken."

Europa League: Die K.-o.-Runden-Play-offs

Sein dynamischer Antritt kann aber auch tückisch sein. Zuletzt lief es nämlich nicht mehr so rosig. In Bremen (1:3) war Röhl noch einer der besseren SC-Profis, am 1:3 gegen Stuttgart hatte er aber wesentlichen Anteil. Erneut fand eine Röhl-Szene im Netz größere Beachtung. Handlung: Röhl startet Richtung Stuttgarter Strafraum, der Ball springt ihm dabei aber etwas zu weit vom Fuß. Beim Versuch, die Kugel nicht zu verlieren, rutscht Röhl ein wenig weg und trifft dann Maximilian Mittelstädt unglücklich, aber auch fahrlässig mit offener Sohle voll über dem Knöchel. Rote Karte, zwei Spiele Sperre.

Die Zwangspause in einer diffizilen Freiburger Phase ist bitter für Klub und Spieler. "Daraus wird er lernen und es wird ihn stärker machen", glaubt Di Salvo. Beim 0:3 am 21. Spieltag in Dortmund muss Röhl tatenlos zuschauen, wie auch in der 22. Runde gegen Frankfurt. Dazwischen aber, im Hinspiel der Europa-League-Play-offs am Donnerstagabend (21 Uhr, LIVE! bei kicker) in Lens, soll er helfen, die Serie von drei Niederlagen zu stoppen. Weil der junge Mann bereits bewiesen hat, sich auch durch persönliche Rückschläge weiterzuentwickeln. Dabei hilft ihm neben dem großen Talent vor allem die Vernunft, zu der ihn sein scharfer Verstand befähigt.

Nachdem er sich im Sommer 2022 zunächst für Gladbach entschieden hatte, ein Transfer aber länger nicht klappte und Freiburg Mitte August für 2,9 Millionen Euro zugriff, musste Röhl direkt zu Beginn seiner SC-Zeit einige Hindernisse überwinden. Er sollte zwar behutsam im Training und über Drittliga-Einsätze an Streichs fordernden Stil auf Bundesliga-Level herangeführt werden, konnte sich durch die Ablöse aber nicht unbeobachtet unter die Talente mischen.

Zu großer Ehrgeiz und Überlastung mündeten vor allem in hartnäckige Rückenbeschwerden. "Die medizinische Abteilung musste seinen Körper teilweise ganzheitlich neu einstellen", erinnert sich Sportdirektor Klemens Hartenbach. Röhl, der auch mit einem Mentalcoach zusammenarbeitet, habe sich dafür offen gezeigt, genau wie für die U-23-Einsätze. "Dinge, die ihm plausibel erklärt werden, nimmt Merlin gut an", sagt Hartenbach, der bei aller Begeisterung für Röhls wissbegierigen Geist anfangs Bedenken hatte: "Ich dachte, das könnte zu manchen Zeitpunkten herausfordernd sein, da sich im Fußball nicht alles immer bis ins letzte Detail erklären lässt - Bauchentscheidung inklusive."

Mit Muslija hat Röhl seit dem Winter einen Schach-Partner

In dieser Hinsicht gab es bisher aber keine Probleme mit Röhl, den Di Salvo "einen anderen Typ Fußballer" nennt: "Merlin ist sehr reflektiert, eine interessante Persönlichkeit. Ich hatte schon tolle Gespräche mit ihm, auch abseits des Fußballs." Hartenbach sagt: "Ich würde Merlin als aufgeweckten und interessierten Menschen bezeichnen, der beispielsweise in seiner Freizeit ein gutes Buch oder eine Partie Schach dem reinen Fußball-Computerspiel vorzieht." Und mit Winterzugang Florent Muslija endlich einen Schach-Partner hat.

Röhl erfüllt laut Hartenbach aber keineswegs das Klischee des verkopften Profis, der sich durch Grübeln und Nachdenken selbst blockiert. Vielmehr stimme bei ihm die Mischung. Aus Emotion und Reflexion, aus Selbstbewusstsein und Bescheidenheit. "Er kann mit höchsten Emotionen spielen, danach erstaunlich schnell die Dinge klar analysieren", so Hartenbach.

Auf diese Weise erkämpft sich Röhl in der Rückrunde 2022/23 regelmäßige Kaderplätze bei den Profis und sein Debüt als Joker beim 0:0 in Gladbach. Zwei weitere Einwechslungen folgen bis Saisonende. In der Sommervorbereitung setzt er zum ersten Überholmanöver an, verliert seinen Startplatz zu Beginn der Spielzeit aber schnell, übersteht allerdings auch das folgende Auf und Ab, als er vor allem beim 0:3 in München von Leroy Sané und Co. öfter ins Karussell gesetzt wird.

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Auf seinem Weg hört er auch auf erfahrene Spieler. Nicht nur, wenn er auf Geheiß von Lucas Höler und Vincenzo Grifo seinen unordentlichen Spind aufräumen soll. Sondern auch, wenn ihn sein Doppelsechs-Partner Maximilian Eggestein erst persönlich und dann öffentlich neben viel Lob zu mehr Positionsdisziplin mahnt. Auch daneben gibt es natürlich noch einiges zu verbessern. Für Di Salvo ist es vor allem die "Entscheidungsfindung: Wann muss ich den Ball schnell weiterpassen und wann sollte ich ihn treiben?" Steigerung der körperlichen Robustheit ist auch angesagt. Dafür habe sich Röhl laut Hartenbach beim ersten Kontakt und der Vororientierung zuletzt deutlich verbessert. Ein Verdienst der Trainer - und von Röhl.

Aktuell ist es ein Perfect Match zwischen ihm und dem Klub. SC-typisch fährt Röhl nach einem Heimspiel selbst im Dezember mit dem Fahrrad nach Hause. Ein anderes Defizit verrät Hartenbach augenzwinkernd: "Das Tanzbein kann er besser schwingen." Röhl sollte zusehen, dass kein Video vom nächsten Teamabend auftaucht, sondern er wieder mit fußballerischer Magie viral geht.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Montagsausgabe am 12. Februar

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