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Philosophie

In dem 1928 erschienenen Werk, das nach der ursprünglichen Intention des Autors zu einer umfassenden philosophischen Anthropologie ausgebaut werden sollte, versuchte Scheler, eine Theorie vom Menschen unter philosophischem Gesichtspunkt zu liefern. Er berücksichtigte dabei in weitem Umfang die Ergebnisse der einschlägigen empirischen Einzelwissenschaften und wurde damit zu einem Mitbegründer der modernen philosophischen Anthropologie, die er sowohl der aus jüdischem Geist stammenden theologischen wie der auf die griechische Antike zurückführenden deduktiv vorgehenden philosophischen Anthropologie wie auch der modernen, vor allem von Darwin formulierten naturwissenschaftlichen Theorie gegenüberstellt. Für Scheler ist die „Problematik der Idee des Menschen“ wesentlich dadurch gegeben, dass der Mensch im Hinblick auf das Tierreich dessen Höhepunkt und zugleich Gegensatz darstellt.

Als Höhepunkt des Tierreichs erweist sich der Mensch, wenn sein „Wesen im Verhältnis zu Pflanze und Tier“ ins Auge gefasst wird. Um diese seine Bestimmtheit zu zeigen, entwickelt Scheler die „Stufenfolge des psychophysischen Seins“. Er unterscheidet hier drei Hauptstufen: Gefühlsdrang, Instinkt, Intelligenz, und präzisiert damit die erstmals von Aristoteles aufgestellte Schichtenanthropologie. Die Grenze des Psychischen fällt für Scheler mit der Grenze des Lebendigen zusammen. Schon die Pflanze weise die primärste und elementarste Manifestation des Psychischen, den „Gefühlsdrang“ auf, d. h. den blinden, empfindungslosen Drang zu Wachstum und Fortpflanzung, der das Wesen des Lebens ausmache und zeige, dass es nicht Wille zur Macht sei. Empfindung, Reflexbogen und Gedächtnis dagegen werden erst dem Tier zugeschrieben. Aus dem Zerfall der nächst höheren „seelischen Wesensform“, des erstmals beim Tier auftretenden Instinkts, gingen der Trieb, das assoziative Gedächtnis und das intelligente Verhalten hervor. Insbesondere der Trieb wird also nicht als ursprüngliches Phänomen angesehen. Im Anschluss an die Forschungen W. Köhlers schreibt Scheler dem Tier außer dem Instinkt und dessen Zufallsformen auch intelligentes Verhalten zu: in der Form einer „organisch gebundenen praktischen Intelligenz“.

Im Gegensatz aber zu Darwin und zu der an diesen anschließenden naturwissenschaftlichen Anthropologie wird erneut der Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch festgestellt. Dieser Unterschied sei allerdings nicht phylogenetisch oder durch das Kriterium der auch dem Tier zukommenden Intelligenz, sondern durch den allein dem Menschen eignenden „Geist“ und das Personsein des Menschen bestimmt. Geist besteht nach Scheler in der Fähigkeit des „Ideendenkens“, der Anschauung von Urphänomen und Wesensgehalten sowie einer Reihe volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe usw. Der Geist sei durch „existentielle Entbundenheit vom Organischen“ gekennzeichnet. Die Person wird als geistiges Aktzentrum definiert. Allein durch den Geist besitze der Mensch die Substanzkategorie, habe „einen einigen Raum“ und sei fähig zu „ideierender Erkenntnis“, worunter Scheler in Modifikation des Husserl'schen Begriffs die versuchsweise Aufhebung der Realität versteht. Scheler lehnt sowohl die von ihm als „klassisch“ bezeichnete, nahezu alle großen metaphysischen Systeme des Abendlands beherrschende Geisttheorie ab, wonach der Geist das Seinsmächtigste sei, als auch die von Buddha ausgehende und zunächst bei S. Freud endende „negative“ Theorie, nach der der Geist nur durch ein Nein zur Wirklichkeit entstehen und sein könne. Scheler zufolge erhält der Geist einerseits seine Kräfte durchweg aus den niederen Seinsschichten – hier wird Marx gegen Hegel Recht gegeben –, andererseits könne das in der „negativen“ Theorie die Wirklichkeit Verneinende nur als Seiendes aufgefasst werden. Die neueren biologischen und psychologischen Forschungen bestätigen für Scheler die Einheit der physiologischen und psychischen Lebensprozesse. Deshalb sei das Leib-Seele-Problem geklärt. An dessen Stelle habe nunmehr der entscheidende Gegensatz von Geist und Leben in den Mittelpunkt der philosophisch-anthropologischen Forschung zu treten.

Scheler richtet offensichtlich gegen die formalmechanischen und die vitalistischen Theorien sowie die Lehre von L. Klages, der diesen Gegensatz zwar erkannt, den Geist aber als sekundäres oder gar lebenshemmendes Derivat verurteilt habe, sein Programm einer geistbezogenen philosophischen Anthropologie, als deren spezielle Aufgabe die anthropologische Begründung der spezifischen Leistungen des Menschen (wie Sprache, Staat, Religion, Wissenschaft) umrissen wird. Dieses Programm ist vor allem von der kulturwissenschaftlich ausgerichteten amerikanischen Anthropologie (A. L. Kroeber, G. P. Murdock), Teilen der deutschen Soziologie (H. Plessner, A. Gehlen) und der phänomenologisch orientierten Philosophie (M. Merleau-Ponty) in weitestem Umfang in Angriff genommen worden; es ist auch heute noch für Teile der anthropologischen Forschung bestimmend.