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Die dunklen Seiten der keuschen Doris Day

Redakteur Feuilleton
Die Sängerin und Schauspielerin bringt ein neues Album heraus - mit 87 Jahren. Vieles klingt wie früher. Aber irgendetwas ist anders

In Carmel, Kalifornien, lebt eine alleinstehende Frau von 87. Manche sagen, sie sei bereits 89 Jahre alt. Sie trägt den Namen Carla Kappelhoff. Ihr Anwesen beherbergt Herden von Haustieren. Die Nachbarn kennen sie als Anwältin von Hund und Katze. Und als Doris Day: Das Frauenbild der Nachkriegsjahre, das sie repräsentierte, bevor sie sich zurückzog und die Tiere ihr - nach Arthur Schopenhauer - lieber wurden als die Menschen. 1965 brachte sie ihr Abschiedsalbum "Sentimental Journey" in die Läden. Doris Day erinnerte im Titel noch einmal an ihre erste Nummer eins von 1945.

1967, im Sommer der Liebe, nahm sie ihre letzten Lieder auf. Dieses "Love Album" hielt sie dann allerdings zurück bis 1994. Sie verschwand in einer Zeit, die von Historikern mit "Achtundsechzig" überschrieben wurde. Damals lehnte sie die libidinöse Rolle der "Mrs. Robinson" im Film "Die Reifeprüfung" ab. Dafür sah man sie in "Der Mann in Mamis Bett" und noch gelegentlich in ihren eigenen umständlichen Fernsehshows. Das Allerletzte, was von ihr zu hören war, betraf den Präsidentenhund Bill Clintons. Doris Day sprach Buddy eine dringende Kastrationsempfehlung aus.

Doris Days düstere Seiten

Jetzt singt sie wieder und lässt alle teilhaben an ihrem Leben, auch die Menschheit. Mit "My Heart" beginnt ein offenherziges Alterswerk. Die Albumhülle zeigt sie mit ihrem gebleichten Haarhelm, ihrem gefrorenen Lächeln und mit Hund, als hätten Computergrafiker eine alte Autogrammkarte aus dem Archiv gemorpht, um sie dem ungefähren Lebensalter anzugleichen. Das passt zur Musik: Man fühlt sich sofort wohl bei Doris Day, in mütterlichem Tremolo und seifigen Arrangements, in einer Welt, wo alles sauber und an seinem Platz zu sein scheint.

Man ist aber auch beunruhigt, weil hier irgendetwas nicht mehr stimmt mit Doris Day und ihrem Bild. Sie singt "My Buddy" kaum anders als vor 60 Jahren im Film "In all meinen Träumen bist du". Doch anschließend bricht ihre Stimme, eine Greisin trauert um ihr Kind, das vor ihr starb. "Er war nicht nur mein Sohn", hört man Doris Day sagen. "Er war mein Kumpel, und er war ein hochbegabter Musiker und Produzent, ein Komponist und Sänger." Dann ist Terry Melcher selbst zu hören, wie er "Happy Endings" anstimmt, um die Adressatin zu ermuntern, wieder selbst zu singen. Melcher starb bereits 2004 an Krebs. Zuvor hatte er seine Mutter überzeugt, ein neues Album aufzunehmen, unter seiner Aufsicht. Sieben Jahre lang hütete Doris Day die Bänder, um die Welt zu überraschen.

Doris Day, die strahlende Blondine, hatte immer ihre dunklen Geschichten und Geheimnisse. Ein Scheidungskind aus Cincinnati, das zwischen Ballettschulen und Nervenkliniken heranwuchs und am Tag vor ihrem großen Vortanzen für Hollywood bei einem Zugunfall beinahe ihre Tanzbeine verlor. Sie zog als Sängerin durch Bars, nannte sich Doris Day statt Doris Kappelhoff, nach dem Song "Day After Day". Sie brachte mit 17 ihren Sohn zur Welt und vermählte sich mit dem gewalttätigen Posaunisten Al Jordan. 1948 landete sie als Ersatz einer erkrankten Hauptdarstellerin im Film "Zaubernächte in Rio" neben Oscar Levant, der sich später gern über Days allzu prüdes Image lustig machte. Ihm wird der Spruch zugeschrieben: "Ich kannte sie, bevor sie Jungfrau wurde."

Blutbad am Cielo Drive

1968 starb Doris Days zweiter Mann und Manager, nachdem er das Vermögen aus ihrer Gesangs- und Filmkarriere in einen grotesken Schuldenberg verwandelt hatte. Ihr Ruin und der Verfall der Sitten in den Sechzigern bewogen sie zum Ruhestand. Ihr Sohn stritt mit den Anwälten und Gläubigern, er half ihr in einen seit über 40 Jahren andauernden Lebensabend. Terry Melcher war als Produzent der Byrds bekannt geworden und als Mitstreiter der Beach Boys.

1968 war es auch, als Terry Melcher einen bärtigen, bösartigen Mann betreute, einen Sektenführer, der sich zur Musik berufen fühlte und selbst Lieder schrieb: Charles Manson, ebenfalls ein Freund der Beach Boys, nahm bei Melcher seine Stücke auf. Der unzufriedene Produzent riet Manson von einer Gesangskarriere ab. Um dem gereizten Auftraggeber zu entkommen, ließ sich Melcher an einem geheimen Ort nieder. Sein Haus, Los Angeles 10050 Cielo Drive, vermietete er an den Regisseur Roman Polanski. Am 9. August 1969 fiel Charles Mansons "Family", berauscht von LSD und Stechäpfeln, über die Mieter her, ermordete die hochschwangere Frau Polanskis, Sharon Tate, vier Gäste und schrieb "Helter Skelter" von den Beatles an die Wände, mit dem Blut der Opfer. Manson sitzt seither in Kalifornien in Haft. Als Schreckgespenst der gutgläubigen Popkultur, die 1969 zwischen Mondlandung und Woodstock einiges erfuhr über die Schatten schöner Songs und bunter Bilder.

Doris Day singt auf "My Heart" das sonnige "Daydream" von der Hippie-Band Lovin' Spoonful, weil sie immer über Tagträume gesungen hat. Verständnisvoll verspottet sie die "Disney Girls" der Beach Boys: "Church, bingo chances and old time dances / All my life I spent the night with dreams." Die Beach Boys stehen heute für die Träume und die Albträume Amerikas. Sie haben göttliche Teenager-Symphonien aufgenommen und sich mit dem Teufel eingelassen.

Dennis Wilson von den Beach Boys las Charles Manson von der Straße auf, ließ ihn in seinem Strandhaus wohnen und bestärkte ihn als Sänger. Wilson schrieb später "You Are So Beautiful", ertrank im Meer, und jetzt haucht Doris Day seine todtraurige Hymne an die Schönheit. Wilson wurde wahnsinnig während der sechziger Jahre. Ihn vertrat Bruce Johnston als Bassist und Sänger. Johnston wiederum kam über Terry Melcher, sie hatten gemeinsam Surfsongs wie "Summer Means Fun" verfasst. Für Doris Day fanden die Veteranen wieder zueinander: Melcher, der Gelegenheits-Beach-Boy, und Johnston, der Ersatz-Beach-Boy. Sie schrieben Lieder wie "My Heart" mit Lebenseinsichten wie: "people are queer." Der Pop, wenn man ihn ernst nimmt, ist verwirrend wie die Menschen.

Doris Day so kokett wie früher

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Terry Melcher hat aus seiner Mutter trotzdem kein gebrochenes Idol der leichten amerikanischen Musik gezaubert. Doris Day bekommt die Streicher umgelegt wie eine Häkeldecke, und sie singt so samtig und kokett wie früher. In "Ohio" aus dem Musical "Wonderful Town" geht es um Mädchen, die aus der Provinz in die Großstadt reisen, um sich selbst zu finden. So ein Mädchen war sie selbst, im Leben und in ihren Filmen.

Ihr Comeback-Album wirbt um Verständnis für die alten Filme und die Rollenbilder, die im Rückblick gar nicht mehr so heiter, flach und eindeutig erscheinen. Aus dem Herrenwitz in "Bettgeflüster", dass der schüchterne Rock Hudson schwul sein könnte, wurde eine Aids-Tragödie, als ihr Filmgefährte 1985 starb. In "Pyjama für zwei" war Doris Day eine berufstätige Frau, die ihre Sexualität verleugnete, um die begriffsstutzigen Männer auf sich aufmerksam zu machen. Überhaupt: In ihren Filmen trat sie auf als Innenarchitektin und Revolverheldin, Gewerkschafterin und Industriespionin. Und wenn sie am Herd die Hände in die Hüften stemmte, wirkte sie wie eine Karikatur der Hausfrau in den Fünfzigern, eine absurde Anti-Marilyn. Vor allem war sie immer eine rätselhafte Sängerin. Schon Alfred Hitchcock ahnte das, als er sie in "Der Mann, der zuviel wusste" die Entführung ihres Kindes gleichmütig mit "Que Sera, Sera" besingen ließ.

Man kann sie also wieder hören, aber nicht mehr sehen. Und man kann sie anrufen in Carmel, zwischen ihren Haustieren: "Ich habe es so schön hier, ich muss nirgends hin", sagt Doris Day. "Es gibt ja überall so viele Menschen heutzutage. Mit mir halte ich das Schmerzhafte und Schlimme besser aus. Ich setze mich dann auf einen bestimmten Sessel und rede mit Gott. Oder ich mache mir Musik an, um mit mir zu tanzen."

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