Es war, als ob das rot-rot-grüne Berlin noch einmal mit aller Macht seine Dysfunktionalität beweisen wollte. Aus der Irrsinnsentscheidung, den Marathon am Tag der Bundestagswahl zuzulassen, folgte, dass entlang der Strecke ein Wahlzettel-Nachschub kaum möglich war. Die Folge: Schlangen vor den Urnen, wie man sie in Berlin zuletzt sah, wenn im sozialistischen Osten mal ein Karton Bananen im Angebot war. Dass die Koalition aus SPD, Grünen und der SED-Nachfolgepartei gescheitert ist, wurde so noch einmal illustriert; bekannt war es allen seit langem, nicht zuletzt dem Bürgermeister, der sich mit schlankem Fuß in Richtung Reichstag verabschiedet.
Am Wahlabend sah es so aus, als ob in der Hauptstadt weitere fünf Jahre linksdilettiert werden könnte: Grünen-Chefin Bettina Jarasch lag anfangs mit 23,5 Prozent weit vor der SPD. Sie hätte als Regierende Bürgermeisterin so weitergemacht, wie Müller aufhörte: mit Lederjacken-Lederer, der stets so selbstbewusst aufgetreten war, dass sich niemand traute, ihm zu sagen, dass er gar nicht Regierender ist, und der SPD.
Das hätte noch mehr erratisch auf die Straßen gepinselte „Pop-Up-Radwege“, City-Maut und die ernsthafte Beschäftigung mit der steinzeitkommunistischen Idee von Wohnungsenteignung bedeutet. Darüber muss nach gewonnenem Volksentscheid zwar diskutiert werden, mehr aber auch nicht.
Doch Berlin erwachte am Montagmorgen mit einer anderen Regierenden: Franziska Giffey holte, bei minimalen SPD-Verlusten, noch die Spitzenposition. Und das ist eine Chance für einen Koalitionswechsel. Am Morgen sprach sie im „Inforadio“ schon davon, dass die CDU ja fast so viele Stimmen bekommen habe wie die Grünen. Eine Deutschland-Koalition in der Hauptstadt ist greifbar nah. Giffey will sie, das ist klar.
Die linken Sozialdemokraten werden ihr wohl oder übel folgen müssen. Ohne Giffey läuft bei ihnen nichts. Fraktionschef Rahed Saleh, der so gerne der starke Mann wäre, ist den Berlinern nicht vermittelbar: einerseits aus nachvollziehbaren politischen Gründen, aber auch – das ist schlimm – weil er einen Migrationshintergrund hat.
Giffey ist auch deshalb eine Freundin von Rot-Schwarz-Gelb, weil sie mit der Hauptstadt-CDU im derzeitigen Zustand einen einfachen Partner an der Seite hätte. Die Partei ist in Berlin seit Jahrzehnten von Intrigen zerrüttet, gescheiterte Beute von Möchtegerns.
Die letzte große Koalition wurschtelte munter vor sich hin. Obwohl es Klaus Wowereit war, der in seiner ideologischen Überzeugung und persönlichen Hybris meinte, dass eine Verwaltung einen Flughafen besser bauen könnte als die Industrie, wurde Frank Henkels CDU aus der Regierung gewählt.
Die Hoffnungen der Bürgerlichen in Berlin liegen auf zwei Brüdern. Sebastian Czaja schließt für seine FDP eine Zusammenarbeit mit Rot und Grün klar aus. Er ist ein Naturtalent mit Kämpferherz. Er ist der Königsmacher in Berlin, möglicher Verhinderer des gröbsten Unsinns und Hoffnung der Industrie.
Sein Bruder Mario holte in einem Husarenstück den Bundestagswahlkreis Marzahn-Hellersdorf für die CDU, entriss ihn der linken Prominenten Petra Pau. Er ist der Mann, der die Berliner Christdemokraten führen sollte.