Stasi-Behörde: Das unbekannte Vorleben des Birthler-Direktors - WELT
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Das unbekannte Vorleben des Birthler-Direktors

Hans Altendorf Hans Altendorf
Hans Altendorf
Quelle: dpa
Vom Mitglied einer kommunistischen Tarnorganisation in Westdeutschland an die Spitze der Stasi-Unterlagenbehörde – Hans Altendorf legte einen unglaublichen Aufstieg hin: vom ehemaligen Systemgegner zum Verwalter der DDR-Geheimdienstakten. Weder er, noch Marianne Birthler nahmen bisher Stellung.

Auf ihren wichtigsten Mitarbeiter lässt Marianne Birthler nichts kommen. „Der Direktor hat mein volles Vertrauen“, sagte sie schon vor Jahren. Da war Hans Altendorf (61) wieder einmal in Bedrängnis geraten.

Der Verwaltungsjurist hatte in der Bundesrepublik als linker Systemgegner Karriere gemacht, was er in späteren Lebensläufen verschwieg. Wohl nur deshalb konnte er im Herbst 2001 zum zweithöchsten Stasi-Unterlagenverwalter ernannt werden. Ohne ihn fällt seitdem kaum eine Entscheidung über den Umgang mit dem Geheimdienst-Material.

Altendorfs wunder Punkt: Während seines Studiums betrieb er nach Erinnerung eines ehemaligen Kommilitonen „faktisch DDR-Politik“. Der Multifunktionär des Sozialistischen Hochschulbundes (SHB), der erst dem Allgemeinen Studenten-Ausschuss der Hamburger Universität und dann dem Vorstand des Verbandes Deutscher Studentenschaften angehörte, schmiedete Bündnisse mit dem Marxistischen Studentenbund Spartakus (MSB). Sein SHB und der MSB hatten eine „prinzipielle Aktionseinheit“ vereinbart, beide sympathisierten mit dem SED-Regime.

Als das kurz nach dem Amtsantritt des Behördendirektors publik wurde, forderten Abgeordnete seinen Rücktritt. Jetzt gerät Altendorf erneut in Erklärungsnot. WELT ONLINE liegen Dokumente vor, die belegen, dass der Polit-Aktivist in zwei Gruppierungen mitwirkte, die der Verfassungsschutz seinerzeit als „kommunistische Tarnorganisationen“ einstufte Demnach war er ab Anfang der 70er-Jahre sowohl in dem vom KGB gelenkten „Weltfriedensrat“ als auch in der von der DDR beeinflussten Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ tätig – jeweils an maßgeblicher Stelle. Er bewegte sich Recherchen zur Folge in einem Umfeld, das von Ost-Agenten durchsetzt war. Die Berliner CDU fordert vom Direktor der Birthler-Behörde eine Aufklärung über dessen politische Vergangenheit. Bis zur Klärung der Vorwürfe soll er sein Amt ruhen lassen, schlägt die CDU vor.

Altendorf, der heute Mechanismen kommunistischer Diktaturen aufklären soll, ließ sich einst von genau diesen einspannen. So saß er mit hochkarätigen Kadern der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im Arbeitsschuss der 1973 gegründeten Anti-Berufsverbot-Initiative. Der Ausschuss wurde laut Verfassungsschützern „im Wesentlichen“ aus Ost-Berlin finanziert. Das Geld floss demzufolge über die Deutsche Friedensunion (DFU), die zu Adenauers Zeiten auf Geheiß der SED als Sammelbecken für sozialistische und kommunistische Kräfte im Westen gegründet worden war. Ihren Etat bewilligte zuletzt Erich Honecker persönlich – bis zu knapp fünf Millionen West-Mark jährlich.

Auch im Weltfriedensrat zog Altendorf mit DKP-Größen an einem Strang. Darunter waren hartgesottene Genossen wie das Vorstandsmitglied Martha Buschmann oder der Liedermacher Dieter Süverkrüp. Der begrüßte zum Beispiel das von der SED gegen seinen DDR-Kollegen Wolf Biermann verhängte Auftrittsverbot. Altendorfs Name war auf dem Briefkopf der „Konferenz der Mitglieder des Weltfriedensrates in der BRD“ vermerkt.

Der Behördendirektor sah sich zunächst nicht im Stande, Fragen dieser Redaktion zu dieser Vergangenheit zu beantworten. Bei früheren Gelegenheiten hatte die Birthler-Behörde solche Auskünfte gänzlich verweigert. „Aktivitäten einzelner Behördenmitglieder im parteipolitischen, religiösen oder auch schlicht privaten Bereich“, hieß es da, würden „nicht zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht“.

Wer etwas über jenen Mann erfahren will, der die Geschicke von Deutschlands brisantestem Archiv mitbestimmt, muss deshalb in Archiven forschen. Dort finden sich auch Belege für Kontakte in die Sowjetunion. So weilte Altendorf im Herbst 1974 zu politischen Gesprächen in Leningrad.

Ein Jahr zuvor findet sich sein Name unter einer Erklärung zum „Weltkongress der Friedenskräfte“ in Moskau. Die Veranstaltung im Kongresspalast des Kreml versah das „Neue Deutschland“ mit der Schlagzeile: „Leidenschaftliche Anklage gegen den Imperialismus“. Altendorf wurde in einen Ausschuss gewählt, der das Propagandaspektakel für das westliche Publikum aufbereiten sollte.

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Im Weltfriedensrat war Altendorf in illustrer Gesellschaft: Wirtschaftsprofessor Gerhard Kade etwa trat offiziell als Geschäftsführer der Gruppierung „Generale für den Frieden“ auf, heimlich war er als IM „Super“ für die Stasi und als Agent „Robust“ für das KGB im Einsatz. Zwei Hamburger SHB-Genossen Altendorfs, die unter den Decknamen IM „Kugel“ und IM „Gerd“ spionierten, wurden Anfang der 90er-Jahre zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ihre Stasi-Unterlagen verwaltet Altendorf mittlerweile ebenso wie die Materialien von SED-Sympathisanten, die freilich nicht direkt mit der DDR-Staatssicherheit kooperierten. Zu ihnen zählt Willy van Ooyen. Der jetzige Fraktionschef der Linken im hessischen Landtag hatte einst den Moskauer Friedenskräfte-Kongress mit vorbereitet und stieg später zum Funktionär der DFU auf, die Altendorfs Anti-Berufsverbot-Initiative mit Ost-Berliner Geld unterstützt haben soll.

Als diese Redaktion bei der Birthler-Behörde einen Auskunftsantrag zu van Ooyen stellte, wurden Materialien erst mit monatelanger Verzögerung zur Verfügung gestellt. Gut möglich, dass das Zufall war. Unter der Ägide von Altendorf jedenfalls wird die Herausgabe von Stasi-Akten eher restriktiv gehandhabt. Die „Zeit“ berichtete: „In der Behörde heißt es über den Verwaltungschef Altendorf, er sei der erste Direktor, der die Aufklärung behindere.“ Unter ihm legte die Behörde einen umstrittenen Entwurf zum Stasi-Unterlagengesetz vor. (siehe rechts) Auf seine Veranlassung hin wurde die Forschungsgruppe „Rosenholz“ aufgelöst, die Verstrickungen von West-Politikern untersuchte.

Ausweislich der Archivfunde war Altendorf mindestens bis Dezember 1978 in kommunistischer Mission unterwegs. Zwei Jahre später heuerte er – da hatte er längst das 30. Lebensjahr vollendet – bei der Hamburger Schulbehörde an. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz (CDU), den die Stasi „operativ bearbeitet“ hatte, fordert Behördenchefin Birthler auf, „die politische Biografie ihres Direktors endlich transparent zu machen“. Für ihn wiege die Kollaboration von Westdeutschen mit kommunistischen Diktaturen aus freien Stücken besonders schwer: „Herr Altendorf ist völlig ungeeignet, den Einfluss östlicher Dienste insbesondere auf Westdeutsche aufzuklären.“

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