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Ausland Madeleine Albright †

Die Eindämmung von Diktaturen war ihr Lebensthema

M. Lengemann M. Lengemann
Sie war eine energiegeladene Person, kaum 1,48 Meter groß
Quelle: Martin U.K. Lengemann/WELT
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Sie war die erste Frau im amerikanischen Außenministerium, verhandelte mit Kim Jong-il und fordert vehement den militärischen Sturz von Serbiens Präsident Milosevic - was ihr viel Kritik einbrachte. Nun ist Albright infolge einer Krebserkrankung mit 84 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Ihre frühesten politischen Erinnerungen waren diejenigen als tschechisches Flüchtlingskind an den „London Blitz“, die deutschen Luftangriffe auf die britische Hauptstadt im Sommer 1940. Dorthin war ihre Familie 1939 in letzter Minute vor Hitler entkommen. Acht Jahre später, als Teenager, erlebte sie die zweite Flucht, diesmal vor Stalins Kommunisten, die 1948 in Prag putschten. Madeleine Albright war ja nicht nur die erste amerikanische Außenministerin, sondern seit der amerikanischen Staatsgründung die zweite im Ausland geborene, vor Diktatoren in die USA geflohene Spitzenperson der amerikanischen Diplomatie – nach Henry Kissinger.

Die Eindämmung von Diktaturen war deshalb ihr Lebensthema, der Umgang mit Diktatoren noch mehr, aber als Ministerin erfuhr Albright dann, wie wenig Raum für moralisches Abwägen die Weltpolitik manchmal lässt. Vehement trat Albright 1999 für den militärischen Sturz des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic ein. Fast genauso vehement, wenngleich mit Zweifeln und unter vielen Rechtfertigungen, versuchte Albright zur selben Zeit, mit Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il Frieden zu schließen.

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Oktober 2000: Albright (M) in Pjöngjang mit dem damaligen Diktator Nordkoreas, Kim Jong-il
Quelle: AFP/FREDERIC J. BROWN

Die ganze Schwierigkeit, Moral und Politik auf einen Nenner zu bringen, zeigt sich in Albrights Schilderungen dreier Personen. „Mit seinem breiten, glatten Gesicht, seinem herzhaften Auftreten und seiner stilsicheren Kleidung wirkte er nicht wie ein Schurke“, schrieb sie in ihren Memoiren über Milosevic. „Seine Reden, wiewohl unübersehbar nationalistisch, waren nicht von Hass durchtränkt. Seine Grausamkeit manifestierte sich in seinem manipulativen Tun, mit dem er serbische Kräfte zu Terror, Vergewaltigung und wahlloser Gewalt gegen seine Gegner auf dem Balkan aufstachelte.“

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Zu Hitler zitierte sie als Warnung in ihrem Buch „Prager Winter“, einer autobiografisch getönten Geschichte der Tschechen, bemerkenswerte Aussagen Churchills von 1935. „Wer ihn persönlich gesprochen hat, traf einen hochkompetenten, besonnenen, gut informierten Amtsinhaber mit angenehmen Umgangsformen und einem entwaffnenden Lächeln“. Über Kim Jong-il schrieb sie, Ausländer mit Zugang zu Kim hätten ihn als „informiert, liebenswürdig und einigermaßen normal“ eingeschätzt. Es hätte eine Warnung sein können, Stil und Inhalt nicht zu verwechseln.

Wer ihr begegnete, sie war ja viel unterwegs nach ihrer Ministerzeit, traf eine winzige, energiegeladene Person, kaum 1,48 Meter groß, die deshalb mit Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il, knapp 1,50 Meter groß, im Wortsinn auf Augenhöhe reden konnte. Es war drei Monate vor dem Ende ihrer Amtszeit ihr berühmtester Auftritt, und zugleich im Rückblick der politisch schmerzhafteste. Albright, die nie wie Chamberlain auftreten wollte, trat eben doch ein wenig so auf wie Chamberlain. Sie ließ sich von Kim allerhand auf die Nase binden.

M. Lengemann
Madeleine Albright
Quelle: Martin U.K. Lengemann/WELT

Der versicherte ihr am 23. Oktober 2000, Nordkorea habe das Raketenprogramm nur deshalb begonnen, um Telekommunikationssatelliten ins All zu schießen, „vielleicht drei pro Jahr“. Wenn jemand anderes die Satelliten hochschießen könne, habe Nordkorea keine Verwendung mehr für Raketen. „Ohne Konfrontation braucht man keine Waffen. Raketen sind heute bedeutungslos.“ Albright zitiert ihn wörtlich. Am Abend desselben Tages trugen Statisten bei einer Propaganda-Show mit Albright Plakate zum Lob und Preis des jüngsten nordkoreanischen Raketentests. Kim Jong-il, so Albright, habe sich zu ihr gebeugt und gesagt: „Das war unser erster Test, und unser letzter.“

Es fällt aus heutiger Sicht schwer, und wäre doch sehr unfair, nicht an Hitlers Versicherung von 1939 zu denken, nach der Lösung der sogenannten Korridorfrage mit Polen habe Deutschland keine weiteren territorialen Aspirationen mehr. Was Kim Jong-il damals wirklich getrieben hatte, legte 17 Jahre später sein Sohn Kim Jong-un offen. Für den Triumphfilm auf dem Staatsdinner nach dem Test der Hwasong-15-Langstreckenrakete im November 2017 holte Kim Junior zahlreiche Fotos aus der Schublade, die seinen Vater bei der Besichtigung etlicher Raketen-Prototypen zeigen.

Albrights Chef, Präsident Bill Clinton, wollte aber eben kurz vor dem Ende seiner Amtszeit noch mit Nordkorea einen Durchbruch erzielen, wie Richard Nixon 1972 mit China. Die verzweifelten Versuche, mit Pjöngjang in allerletzter Sekunde handelseinig zu werden, mündeten in eine Blitzeinladung zu einem Gipfel in Washington im Januar 2001, wenige Tage vor dem Amtseid des neuen Präsidenten George W. Bush. Kim Jong-il lehnte ab, und Pjöngjang hatte eine wertvolle Lektion über Notlagen demokratischer Amtsinhaber bekommen.

Amerika - die „unentbehrliche Nation“

Im Fall Milosevic war die Sachlage für Albright einfacher. Als Bill Clintons UN-Botschafterin 1993 bis 1997 habe sie frühzeitig den Balkan besucht und dort Flüchtlinge gesehen, die aus Orten wie Brcko, Bihac und Mostar stammten – „Namen, die den meisten Amerikanern unvertraut sind, schwer zu behalten und schwierig zu buchstabieren“.

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Sie fügte hinzu: „Ich sah andere Gesichter vor meinem inneren Auge, aufgenommen auf dem Weg zu unvertrauten, schwer zu buchstabierenden Orten wie Auschwitz, Treblinka und Dachau.“ Diese Sichtweise teilte sie mit Joschka Fischer, Bundesaußenminister von 1998 bis 2005, der ihr einmal am Telefon gesagt habe: „Seit zehn Jahren handelt Milosevic wie die Nazis in den 30er-Jahren. Erst sprengte er Jugoslawien, dann Kroatien, dann Bosnien, und jetzt Kosovo.“

Frühere US-Außenministerin Madeleine Albright ist tot
Madeleine Albright und ihr deutscher Amtskollege Joschka Fischer, 1999
Quelle: dpa/Gero Breloer

Albright zitierte in ihren Büchern weitere Beispiele britischen Wohlwollens gegenüber Hitler und schloss: „Die Vogel-Strauß-Politik war das Resultat britischer Schwäche.“ Großbritannien habe nach dem Ersten Weltkrieg als einzige Großmacht tatsächlich die Rüstungskosten gesenkt. Albright erwähnt, dass ihr Vater ein einziges Mal den tschechischen Gründungspräsidenten Thomas Masaryk besucht habe. Das war 1936. Auf Masaryks Schreibtisch standen zwei Bücher – Goethes „Faust“ und Hitlers „Mein Kampf“. Es hätte auch Albrights Schreibtisch sein können. Amerika, sagte Albright, sei die „unentbehrliche Nation“.

Von solcher Sichtweise führte eine unsichtbare direkte Linie zu Albrights Befürwortung eines harten Kurses gegenüber Belgrad. Sie drängte auf militärische Mittel, die dann im Nato-Luftkrieg von März bis Juni 1999 gegen Serbien zum Einsatz kamen, ohne die vorherige Billigung durch den UN-Sicherheitsrat. Richard Holbrooke, der mit Milosevic 1995 das Dayton-Abkommen zur Beendigung des Bosnienkrieges ausgehandelt hatte, blieb skeptisch. Er hätte es lieber gesehen, noch einmal eine politische Lösung zu versuchen. Bis heute erregt dieser Krieg in Serbien und auch in Deutschland viele Gemüter.

Von Albrights unbeugsamer Haltung führt auch eine indirekte Linie zum Sturz des Diktators Saddam Hussein im Irak 2003. George W. Bush, Dick Cheney und Donald Rumsfeld nahmen für sich in Anspruch, im Irak vollendet zu haben, wovor Bill Clinton zurückgezuckt war. „Wir sind groß und mächtig, und deshalb sind wir unentbehrlich. Aber ich habe nie gesagt, dass wir alleine handeln sollen, und das ist der große Unterschied“, präzisierte Albright 2003 in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. Da begann George W. Bush für die Demokraten das Maß amerikanischer Irrwege zu werden.

Madeleine Albright wurde angefeindet. Es ging ihr wie dem anderen jüdischen Emigranten im Außenministerium, Henry Kissinger – auch Albright wurde von manchen als „Kriegsverbrecherin“ beschimpft. Im Fall Kissingers ging es um Vietnam, Argentinien, Mittelamerika und Chile. Im Fall Albrights ging es um den von Washington nicht unterbundenen Massenmord im Bürgerkrieg von Ruanda, um Serbien, Kolumbien, den Irak.

Sie wusste lange nicht, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt

In Albrights Fall war die harte Haltung als Außenministerin auch autobiografisch bestimmt. Sie wusste bis 1996 nicht, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt. Sie erfuhr davon kurz vor ihrer Ernennung zur Außenministerin durch einen Text in der „Washington Post“. Ihre Eltern, Anfang der 40er-Jahre zum Katholizismus übergetreten, hatten mit ihr nie darüber gesprochen. Madeleine Albright wiederum scheint mit der Unbedingtheit der jungen Neu-Amerikanerin wenig Interesse daran gehabt zu haben, die europäische Vorgeschichte ihrer Eltern kennenzulernen. Erst mit über 70 Jahren entdeckte sie die zahlreichen Schriften ihres Vaters und eine von ihrer Mutter verfasste Lebensgeschichte.

Dieses Desinteresse, vielleicht sogar die Ablehnung europäischer Erfahrungen, ist in den USA kein Sonderfall und nur in europäischen Augen verwunderlich. Sie war ja fast prädestiniert für die amerikanische Sichtweise auf Amerika. In ihrer mit eigenen Kindheitserlebnissen angereicherten Darstellung der tschechischen Geschichte, „Prager Winter“, umreißt sie die legendenumrankte slawische Besiedlung Tschechiens im 8. Jahrhundert. Der Patriarch Cech führte sein Volk nach Westen und sagte in Böhmen, dies sei das verheißene Land mit Wäldern, Seen, Milch und Honig. Es war ein Topos, der Amerikanern vertraut ist.

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Ein Sonderfall und zumindest in den Augen konservativer Amerikaner eher verwunderlich war Albrights Bekenntnis zu Europa während und nach ihrer Ministerzeit. Im Februar 2019 sagte sie in München: „Ich bin auch Europäerin. Ich will, dass dieser Kontinent eine wichtige Rolle spielt – basierend auf Werten, die die USA teilen können.“

Europäerin zu sein, ist vor allem in Kreisen konservativer und populistischer amerikanischer Republikaner der schlimmste Vorwurf, den man erheben kann. Vor Europa sind die meisten Amerikaner geflohen. Vielen Republikanern und manchen Demokraten, gilt die Alte Welt als Verkörperung all dessen, wovor man geflüchtet ist – Diktatur, Krieg, Armut, religiöse Verfolgung, Feudalismus, Sozialismus.

MADELEINE ALBRIGHT
Der ehemalige US-Präsident Clinton und die ehemalige Außenministerin Albright auf der Bühne der jährlichen Benefizveranstaltung des International Rescue Committee, 2013
Quelle: REUTERS

Aber welches Europa? Als Bill Clintons UN-Botschafterin erlebte Albright, dass bis zu vier EU-Länder gleichzeitig im Sicherheitsrat saßen. „Wenn wir Unterstützung in einer bestimmten Sache suchten, sagte einer von ihnen, tut mir leid, wir können euch nicht helfen, weil wir noch keine gemeinsame EU-Haltung haben. Später konnten sie mir nicht helfen, weil sie eine gemeinsame EU-Position gefunden hatten.“

Alles braucht seine Zeit, und Europa braucht viel zu viel Zeit. Die Brüsseler Komplexität und auch das ungelöste Problem Nordkorea illustrieren die Wahrheit eines Satzes, den Madeleine Albright fast beiläufig hingeschrieben hat – ein Satz, der für eine demokratisch gewählte, demokratisch fühlende und denkende Ministerin sehr schmerzlich ist: „Die Geschichte teilt sich nicht in passende Vierjahres-Abschnitte auf, wie Präsidenten-Amtszeiten.“

Wie wahr dieser Satz ist, zeigt sich aktuell in all seiner Härte und Tragik. Nun ist Madeleine Albright infolge einer Krebserkrankung mit 84 Jahren gestorben.

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