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Möllemanns Tod - "Das war kein Unfall!"

Sie saß mit dem Politiker im Flugzeug, sie sprang vor ihm ab an diesem Tag, an dem Möllemann das letzte Mal den freien Fall genießen sollte: Eine Frau aus der Fallschirmspringer-Gruppe des Politikers schildert das Unglück aus ihrer Sicht.

Die Motoren der kleinen Sportmaschinen auf dem Flugplatz Marl heulen bereits wieder auf. Es sind Sprungwochen. Drei bis vier Mal pro Jahr dürfen die Fallspringer auch innerhalb der Woche ihre kontrollierten Stürze in die Tiefe riskieren. Ansonsten ist das Springen nur an den Wochenenden und an Feiertagen gestattet. Auf den ersten Blick erinnert nichts außer zwei Fahrzeugen der Recklinghauser Polizei und einigen Journalisten an das tragische Unglück von gestern Mittag. Etwas mehr als 24 Stunden sind seit dem Tod von Jürgen Möllemann vergangen.

Doch kaum haben Staatsanwaltschaft, Flugsicherung und Polizei nach Abschluss der Spurensicherung das Gelände freigeben, heben die Propellerflugzeuge schon wieder ab, um ihre Fracht auf 4000 Meter Höhe zu transportieren. Auf genau diese Höhe ist auch der FDP-Politiker mit seinen Sportkameraden am Donnerstag gegen 12.15 Uhr aufgestiegen. "Eigentlich ein Standardsprung", sagt die 35 Jahre alte Springerin im Gespräch mit der WELT.


Die Sportlerin vom "Verein für Fallschirmsport Marl" saß am Unfalltag zusammen mit Möllemann in der Pilatus Porter. Jenem unter Skydivern beliebten Kurzstartflugzeug, das mit seinen 680 PS starkem Triebwerk nur 200 Meter benötigt, um sich in die Lüfte zu erheben und die erforderliche Absprunghöhe von 4000 Metern in etwa in 18 Minuten erreicht. Bis zu zehn Personen kann die Maschine aufnehmen. "Wir waren neun Springer und sind in drei in unterschiedlichen Formationen gesprungen", berichtet die junge Frau. Mit vier weiteren Springern war sie in der Gruppe, die zuerst aus der Maschine ausgestiegen sei. Es folgte Möllemann solo, wenige Sekunden später eine weitere Dreiergruppe.

"Das war völlig unüblich"



Doch anders als bei den anderen Malen, die sie bereits mit dem 57-Jährigen zusammen durch die Lüfte schoss, hätte er bereits auf etwa 1500 Metern den Hauptfallschirm geöffnet. "Völlig unüblich", wie sie sagt. Normalerweise müsse erst auf etwa 800 Meter Höhe die Reißleine gezogen werden. Und es gebe kaum einen unter den Springern, der nicht die etwa 70 Sekunden freien Fall nutzen, die beim 4000-er Sprung verbleiben. Sie zögert mit weiteren Antworten.

Denn sie spürt instinktiv, dass alles, was sie sagt, jene Vermutung untermauert, die den Springer der Unglücksmaschine schon kurz nach ihrer Ladung bewusst war. Jürgen Möllemann hat den Hauptfallschirm wohl mit Absicht gelöst. "Einem Springer mit so viel Erfahrung wie Herr Möllemann passiert in solch einer Phase des Sprungs kein Fehler mehr - das ist definitiv." Zwar habe sie es nicht selbst gesehen, dass Möllemann den Hauptschirm selbst löste. Doch für sie und den acht anderen Springerkameraden besteht kein Zweifel: "Das war kein Unfall!"

"Ich fürchte, es war ein Akt der Verzweiflung"

Zu diesem Schluss kommt auch Armin Schwarzer, ein Vereinsmitglied von Möllemann im Fallschirmsportclub Münster. Mehr als 250 Mal sei er mit dem ehemaligen Bundesminister gesprungen. "So tragisch es ist, fürchte ich, es war ein Akt der Verzweiflung", sagt Schwarzer der WELT. Nahezu 800 Sprünge hatte Möllemann in den Beinen, 4000 Vereinskollege Schwarzer. Beide kennen brenzlige Situationen in der Luft. "Herr Möllemann musste schon drei Mal die Reserve reißen. Einmal sogar während seiner Wahlkampftour. Dort ist er ins Trudeln geraten, sehr gefährlich", berichtet Schwarzer weiter. Doch Möllemann behielt die Nerven und konnte den unkontrollierten Sturz abfangen und den Reservefallschirm ziehen, so Schwarzer. Ein Beweis für seine Professionalität am Fallschirm.

Aufschluss über die mögliche Unfallursache könnte die Auswertung des "Zypres" geben. Jenes kybernetische Fallschirm-Auslöser-System, das im Notfall den Reservefallschirm öffnet, sollte ein Springer bewusstlos werden und selbst die Reserve nicht mehr ziehen können. "Mit der Memory-Funktion kann festgestellt werden, ob das Zypres überhaupt eingeschaltet war", erklärt Schwarzer.

Eine Aufgabe, die wohl das Untersuchungsteam von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig übernimmt. Jörg Schöneberg hat zwei Mitarbeiter nach Marl geschickt, die in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und anderen Experten versuchen, den Unfallhergang so gut es geht zu klären. Natürlich weiß Schöneberg von den Zeugenaussagen der Mitspringer. Doch darauf allein lässt sich keine Selbstmordtheorie stützen. Der Ablauf des Unfalls müsse objektiv nachvollziehbar sein. Letztlich fließen alle Daten in ein abschließendes Gutachten ein. "Wann die ersten Resultate vorliegen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen", erläutert Jörg Schöneberg.

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