Pflegen meiner Eltern: Bin ich moralisch verpflichtet?
Collage: Ein ältere Frau wird von einer Pflegekraft im Rollstuhl über eine Wiese geschoben. Auf dem Gras steht auch ein Krankenbett.

Martha Dominguez de Gouveia, Dominik Lange/Unsplash

Psyche und Gesundheit

Meine Eltern werden älter – muss ich sie pflegen?

Vielleicht befindest du dich in einem Dilemma. Dieser Text hilft dir, eine Antwort zu finden.

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Reporterin

Während ich versuche, diesen Text zu schreiben, sehe ich meine Eltern vor mir. Sie sind noch relativ jung, gerade Mitte 50 und sie fühlen sich wie Mitte 20. Wenn man es so sieht, bin ich mittlerweile älter als sie, sie gehen noch tanzen, treffen regelmäßig Freunde, machen Sport. Manchmal habe ich das Gefühl, sie haben mehr Energie als ich. Ich kann mir schwer vorstellen, wie sie sein werden, wenn sie richtig alt sind. Aber auch sie bekommen langsam graue Haare.

Ich habe ein gutes Verhältnis zu ihnen.

Wenn sie pflegebedürftig werden, werde ich mich für sie verantwortlich fühlen. Ich werde nicht zwingend zu ihnen ziehen, ihr Bett machen und ihre Kacke vom Tisch sammeln, so wie es meine Omi bei meiner Uroma gemacht hat. Aber ich werde da sein und schauen, wie wir die Situation bestmöglich für alle hinkriegen.

Ich werde das aus zwei Gründen tun: Weil ich meine Eltern liebe und weil es in dieser Gesellschaft selbstverständlich ist, dass Kinder sich um ihre Eltern kümmern. Und es kommt noch ein dritter Grund dazu, ein pragmatischer: Weil es in Deutschland keine gute Alternative gibt.

Nicht allen geht es wie mir.

Sind ein Trauma oder ein Jobangebot gute Gründe, sich nicht zu kümmern?

Nicht alle Kinder lieben ihre Eltern. Das kann passieren, wenn Eltern ihren Kindern in ihrer Kindheit keine Liebe gegeben oder ihnen psychische oder physische Gewalt zugefügt haben. Aber die Erwartungshaltung der Gesellschaft spüren die Kinder trotzdem: Du musst pflegen, es sind doch deine Eltern! Und die Alternativlosigkeit spüren sie auch.

Deswegen schreibt KR-Leserin Lisa* auf meine Frage, ob sie sich verpflichtet fühlt, ihre Eltern zu pflegen, dass sie sich zwar nicht kümmern will, sich aber jetzt schon schuldig dafür fühlt. Und das, obwohl sie Traumatisches in ihrer Kindheit erfahren hat.

Claudia liebt ihre Eltern, will sie aber trotzdem nicht pflegen, weil ihr gerade ein Traumjob in den USA angeboten wurde. Ihr Bruder empfindet es als unverantwortlich, dass sie geht und er mit ihnen allein sitzen bleibt. Er möchte nun mehr vom Erbe, Claudia findet das unfair. Sie schreibt: „Ich liebe meine Eltern, aber am Sonntag geht trotzdem mein Flug nach Denver, Colorado.“

Gibt es einen triftigen Grund für Lisas Schuldgefühl? Ist Claudia undankbar, weil sie ihre Karriere über die Pflege ihrer Eltern stellt? Die eigentliche Frage dieses Textes ist also: Was sind wir unseren Eltern schuldig? Sind wir ihnen zu Dankbarkeit in Form von Pflege verpflichtet?

Was du hier liest, ist der erste Teil unserer Pflegeserie. Wir wollen über die Fragen schreiben, denen wir uns stellen müssen, wenn unsere Eltern älter werden. Fragen, die Angst machen. Fragen, die immer wieder auftauchen, wir aber nicht laut aussprechen wollen. Weil das Altern unserer Eltern dann wahr wird und weil manche Fragen an Selbstverständnissen kratzen, wie diese hier: Was passiert, wenn ich meine Eltern nicht pflege? Oder in einem der nächsten Texte: Wie gehe ich damit um, wenn mein Vater durch seine Demenz zu einem anderen Mensch wird? Wir wollen ein Gespräch über diese Fragen ermöglichen. Dies hier ist der Anfang.

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Die Erwartung, sich um die Familie zu kümmern, ist in unser Gesellschaft fest verankert

Für Lisas Schuldgefühl und Claudias rechtfertigende Mail gibt es einen klaren Grund: Familie ist etwas Wichtiges in unserer Gesellschaft. Der Apostel Paulus hat in einem Brief an Timotheus vor etwa 2000 Jahren geschrieben, dass jemand, der sich nicht um seine Verwandten kümmere, schlimmer als ein Ungläubiger sei. Im Koran steht, dass wir unseren Eltern zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sind. In landwirtschaftlichen Betrieben gibt es Verträge, in denen festgelegt wird, dass sich der jüngste Sohn der Eltern anzunehmen hat.

Dass wir glauben, uns um unsere Eltern kümmern zu müssen, ist also in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben. Kein Wunder also, dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir diese Erwartung nicht erfüllen. Die verspürte Irritation ist vielleicht vergleichbar mit Frauen, die kinderlos bleiben: Sie verweigern etwas, das vermeintlich zum Lebenslauf dazuzugehören scheint.

Auch heute werden drei Viertel der etwa drei Millionen pflegebedürftigen alten Menschen in Deutschland zu Hause gepflegt. Und fast 90 Prozent der Menschen in Deutschland wünschen sich genau das auch für ihre eigene Zukunft. Wer sich sträubt, diese Erwartung zu erfüllen, bekommt das zu spüren. Entweder in der eigenen Familie, wie Claudia durch ihren Bruder, oder durch Sätze wie den von KR-Leserin Kirsten: „Ist den Leuten klar, dass es sie gar nicht geben würde, wenn die Eltern nicht dafür gesorgt hätten?“ Auf diese Dankbarkeit baut das deutsche Pflegesystem.

Kirstens Argument ist: „Eltern sorgen für die Kinder und die im Alter für ihre Eltern. Das ist seit Alters her so und sollte auch so bleiben.“ Aber ist es wirklich ein guter Grund, seine Eltern zu pflegen, weil es schon immer so war? Das ist wie zum Konfirmationsunterricht zu gehen, weil alle hingehen und nicht weil man an Gott glaubt. Es erklärt, warum wir uns so schwer davon lösen können.

Die Kind-Eltern-Liebe ist an Bedingungen geknüpft

Dass die Frage nach der Verantwortung überhaupt gestellt wird, zeigt, dass es heute nicht mehr selbstverständlich ist, dass die Familie pflegen soll. Das ist auch ein Angriff auf die „Kernfamilie“ als Institution. Klar wird da mit Widerstand reagiert. Hinzu kommt, dass es um etwas sehr Persönliches geht: Es geht unter anderem um die Person, die uns zehn Monate durch die Gegend getragen hat, uns aus ihrem Uterus gepresst und in den meisten Fällen mindestens 18 Jahre für uns gesorgt hat.

Für Mütter, die ihre Pflichten nicht erfüllen, existiert das Wort Rabenmutter, das mittlerweile zu Recht kritisiert wird. Das Wort „Rabenkind“ hat sich bisher noch nicht etabliert, aber warum gibt es keine Rabenkinder?

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Das hat gute Gründe: Die Bedingungen für Kinder sind andere als die für Eltern. Eltern können nicht erwarten, dass ihre Kinder sich irgendwann um sie kümmern. Denn Kinder sollten keine Altersvorsorge sein.

Warum nicht? Aus zwei Gründen: Eltern haben entschieden, Eltern zu werden, aber Kinder haben sich nicht aktiv entschieden, geboren zu werden. Außerdem gibt es diese Erzählung, dass die Eltern-Kind-Liebe bedingungslos sei (auch das kann man hinterfragen, aber als Kind kann man definitiv ganz schön viel Scheiße bauen und am Ende mögen einen die Eltern irgendwie trotzdem noch). Andersherum ist es definitiv nicht so: Die Kind-Eltern-Liebe ist an Bedingungen geknüpft.

Die Kernessenz des ersten Arguments ist die Selbstbestimmung. KR-Leserin Eva hat es so formuliert: „Man hat es sich nicht ausgesucht, geboren zu werden und Kind zu sein, und auch wenn die Kindheit schön war und Eltern viel ‚geopfert‘ haben, muss man nichts zurückgeben.“ Eine andere Leserin sagt, dass man keine „Rückgabeschuld“ habe und Caroline, die mit den Folgen ihrer traumatischen Kindheit immer noch zu kämpfen hat, formuliert es so: „Kinder bekommen ihr Leben geschenkt und können damit machen, was sie wollen.“ Es entsteht also keine automatische Schuld per Geburt.

Die Ehrung der Eltern kann auf dem Weg verloren gehen

In den zehn Geboten heißt es: „Du musst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Die Erfahrungsberichte unserer Leser:innen zeigen eindrücklich, dass diese Ehrung auf dem Weg in das Erwachsensein verloren gehen kann. Warum sollte es in der Familie auch anders sein, als in Freund:innenschaften? Dort musst du dir die Liebe verdienen, dadurch, dass du aufmerksam zuhörst zum Beispiel oder einfach extrem lustig bist.

Kathrin*, die schlimme Sachen aus ihrer Kindheit berichtet, sagt: „Ich werde mich um meine Eltern, aka biologische Erzeuger:innen, genauso kümmern, wie sie sich um mich gekümmert haben, nämlich gar nicht.“ Es klingt hart, aber warum sollte sie sich kümmern, wenn sich nicht um sie gekümmert wurde?

Wenn Kinder kategorisch jeden Kontakt zu ihren Eltern abblocken, kann das allerdings Folgen haben. Eine unserer Leserinnen ist Ärztin, ihr Name ist Ilka Arndt und sie stuft ältere Menschen in die für sie passenden Pflegegrade ein. Ich habe mit ihr telefoniert. Sie erzählte von einem Fall, der sie auch heute, Jahre später, noch beschäftigt.

Ein Nachbar hatte sie alarmiert, in einer Wohnung sei eine alte Frau alleine. Er hatte lange niemanden mehr dort gesehen. Ilka Arndt ging mit einem Mitarbeiter in die Wohnung. Sie fanden eine Frau dort, verwirrt am Küchentisch sitzend, in der Küche kein Strom, im Kühlschrank kein Essen und das Telefon ausgesteckt. Die alte Frau habe wohl immer wieder versucht, die Tochter anzurufen. Die wollte das aber nicht mehr.

Arndt fand heraus, dass das Verhältnis der Tochter und der Mutter wohl sehr schlecht gewesen war. Die Tochter wollte auf keinen Fall mehr irgendetwas mit der Mutter zu tun haben. Der Amtsrichter und Arndt reagierten beide vorwurfsvoll. Mindestens die Organisation einer Pflegekraft hätte die Tochter doch übernehmen können, finden sie. Schließlich wird ein Betreuer vom Amt eingesetzt, wenn die Tochter nicht bereit ist, etwas zu tun.

Man kann tatsächlich zu nichts gezwungen werden. Kinder haben keinen Fürsorgeauftrag für ihre Eltern, so wie Eltern ihn für ihre Kinder haben. Wenn die Eltern vernachlässigt werden, kommt nicht irgendwann das Jugendamt, sondern mit viel Glück der Nachbar.

Wäre meine Geburt eine geplante Altersversorgung meiner Eltern, würde ich mich benutzt fühlen

Aber auch wenn wir liebevoll aufgezogen wurden, sollte das nicht an Erwartungen geknüpft werden. Während ich diesen Satz schreibe, frage ich mich, ob ich ihn wirklich fühle oder ob ich es doch legitim finde, dass Eltern Erwartungen an ihre Kinder stellen.

Dadurch, dass ich liebevoll aufgezogen wurde, habe ich das Gefühl, meinen Eltern etwas zurückgeben zu wollen. Aber ich möchte nicht, dass es erwartet wird. Wenn ich wüsste, dass meine Eltern mich als geplante Altersvorsorge bekommen hätten, würde ich mich benutzt fühlen. Als würden sich meine Eltern eine günstige Pflegekraft heranziehen wollen.

Wenn ich an den Fall von Claudia denke, die für ihren Job in die USA zieht und dadurch ihre Geschwister mit der Pflege ihrer Eltern alleine lässt, kann ich beide Seiten verstehen. Natürlich ist es nervig, sich allein oder zu zweit statt zu mehrt zu kümmern. Aber Claudia möchte genau in diesem Moment ihr Leben priorisieren.

Sie spricht in ihrer Nachricht an mich einen weiteren wichtigen Punkt an: Sie glaubt, dass ihr Bruder von ihr erwartet, in Deutschland zu bleiben, weil sie eine Frau ist. Die Ärztin Ilka Arndt, die seit fast 30 Jahren in der Pflege arbeitet, berichtet genau das: Eigentlich seien es vor allem Töchter und Schwiegertöchter, die sich um die Eltern kümmern.

Dieses Bild zeigt meine Tante, wie sie meine Uroma füttert. Doppelt so häufig wie Männer kümmern sich die Frauen um ihre Angehörigen, wenn sie pflegebedürftig werden.

Dieses Bild zeigt meine Tante, wie sie meine Uroma füttert. Doppelt so häufig wie Männer kümmern sich die Frauen um ihre Angehörigen, wenn die pflegebedürftig werden. © privat

Was sie sagt, überrascht mich und das sollte es eigentlich nicht, denn auch in meiner Familie haben immer die Frauen gepflegt: Meine Omi hat sich gemeinsam mit meiner Tante um meine Uroma gekümmert, bis die starb. Meine Uroma mütterlicherseits hat bis zu ihrem Tod mit im Haus ihrer Tochter gewohnt. Meine Oma hat neben uns, also neben ihrer Tochter gewohnt, bis sie starb. Sie hatte Angst, meiner Mutter irgendwann zur Last zu fallen. Doppelt so häufig wie Männer pflegen Frauen ihre Angehörigen.

Deswegen sollte dieser Satz von Arndt nicht überraschen: „Wenn die Eltern pflegebedürftig werden, ist das für Frauen genauso ein Cut, wie wenn Kinder geboren werden.“ Die Entscheidung zu pflegen oder nicht zu pflegen, hat also noch mehr Dimensionen als die der Qualität der Beziehung zu den Eltern.

Die Pflegebedürftigkeit der Eltern ist im Leben von Frauen genauso ein Cut, wie die Geburt eines Kindes

Wie Claudia trifft es viele Frauen in den sogenannten besten Jahren, irgendwo zwischen Kinder aus dem Haus und Rente. Endlich hätten sie wieder freie Zeit, um zu töpfern oder große Karriereschritte zu wagen und dann, plötzlich, klopfen die Eltern an, brauchen Hilfe bei Arztbesuchen und irgendwann auch bei Toilettengängen. Das kommt gänzlich unpassend. Doris berichtet von genau diesem Dilemma, wenn die eigenen Kinder aus dem Haus sind und die Eltern zu Kindern werden. Sie fragt: „Wie schafft man es, ein ‚gutes Kind‘ zu sein und gleichzeitig Grenzen zu setzen?“

Auch ich kann mir ähnliche Situationen vorstellen, in denen es mir wirklich gar nicht in den Kram passt, mich genau jetzt um meine Eltern zu kümmern. Auch wenn ich sie wirklich mag. Das klingt egoistisch? Ja, vielleicht. Das laut auszusprechen, fühlt sich komisch an.

Dieses Bild zeigt meine Uroma, als sie schon nicht mehr aufstand. Insgesamt zwei Jahre lag sie nur in ihrem Bett. Auf dem Bild liegt sie in einem Bett, zugedeckt mit einer Bettdecke. Vor ihr ein Tisch mit einem Keksteller.

Dieses Bild zeigt meine Uroma, als sie schon nicht mehr aufstand. Insgesamt zwei Jahre lag sie nur in ihrem Bett. © privat

Früher wurde nicht hinterfragt, ob man sich um die Eltern kümmert. Für meine Omi war klar, dass sie meine Uroma zu Hause pflegen würde. Jetzt sind Selbstbestimmung und individuelle Erfolge statt Verschmelzung in der Familie en vogue. Da kommt die 24-Stunden-Pflege der eigenen Eltern ziemlich unpassend. Irgendwo in der Mitte liegt wahrscheinlich die richtige Antwort. Die entscheidende Frage dabei ist: Kann ich mit den Konsequenzen meiner Handlungen leben?

Zwischen Kacke aus dem Bett sammeln und sich gar nicht kümmern, ist viel Platz. Ich kann mich fragen: Wie viel bin ich bereit zu tun? Und mich dabei erinnern, dass ich sehr gerne den Kot unseres Nachbarhundes aufgesammelt habe. Warum sollte ich dann nicht Windeln bei meinen Eltern wechseln können? Und ehrlich, die eine Frage: Was sind die Alternativen, wenn ich mich entscheide, mich nicht zu kümmern? Ist es für mich denkbar, dass ein Wildfremder vom Amt alle Entscheidungen fällt?

„Oh Hilfe, das kann noch Jahre so gehen!“

Ich muss an Jared Diamond denken, der in seinem Buch „Vermächtnis – Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können“ schreibt, dass es eine naive Vorstellung sei, dass Kinder sich selbstlos um ihre Eltern kümmern werden. Er sagt, dass es einen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen den Generationen gibt: Beide, Junge wie Alte, wollen das beste Leben für sich. Doris verkörpert diesen Interessenkonflikt auf eine liebevolle Art: „Einerseits möchte ich, dass sie noch ein möglichst schönes, erfülltes restliches Leben haben. Andererseits ertappe ich mich bei dem Gedanken: Oh Hilfe, das kann noch Jahre so gehen!“ Und jemanden zu pflegen, bedeutet eindeutig die Einschränkung der eigenen Lebensqualität. Vor allem dann, wenn das Verhältnis schlecht ist.

Mehr als die Hälfte der pflegenden Angehörigen zeigen depressive Symptome wie Reizbarkeit, Schlafstörungen oder körperliche Erschöpfung. Voraussichtlich werden solche Symptome noch häufiger, wenn das Verhältnis zwischen Elternteil und Kind schlecht ist. Leser:innen haben uns von Burnouts berichtet oder davon, dass sicher verstaute oder verheilt geglaubte Traumata durch den engen Kontakt wieder aufgebrochen sind.

Der Evolutionsbiologe Diamond versucht, das Pflegen der Eltern über die Nützlichkeit der Alten zu legitimieren. Als er das Buch geschrieben hat, war er bereits 75 Jahre alt. Es liest sich, als versuche er, seine Söhne zu überzeugen, ihn nicht zu vergessen. Er schreibt, Eltern könnten bei der Kinderbetreuung helfen und haben vielleicht doch noch nützliches Wissen weiterzugeben, von dem alle profitieren können. Wenn ich an meine Eltern denke, die immer noch glauben, dass Digitalisierung uns kaputt macht, sehe ich da schwarz.

Was Diamond aber übersieht: Bei der Pflege geht es um die Alt-Alten, also diejenigen, um die man sich eher wie um Kinder kümmern muss, als dass sie sich um die eigenen Kinder kümmern könnten.

Als ich meinen Vater anrufe, um ihn zu fragen, ob er sich meinen Text durchlesen mag, bevor ich ihn veröffentliche, sagt er: „Ups, jetzt hab ichs zerdrückt.“ Meint er unsere Beziehung? „Komisches Teil“, sagt er fasziniert. Ja, finde ich auch manchmal. „Was hast du zerdrückt, Papa?“ „So ein Stück Tamarinde.“ Das ist eine indische Hülsenfrucht und die ist aktuell noch spannender als die Frage, ob ich mich mal um ihn kümmern werde. Das Altsein scheint noch so weit weg, weil meine Eltern immer noch denken, sie seien Mitte 20.


Kathrin und Lisa sind Pseudonyme, die Namen sind der Redaktion bekannt.

Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipsos, Audioversion: Christian Melchert

Meine Eltern werden älter – muss ich sie pflegen?

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