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Kammerspiele der Josefstadt
Premiere: 28.10.2023

Frank Wedekind

Lulu

ca. 2 Stunden, keine Pause

In einer Bearbeitung von Elmar Goerden

Sie ward geschaffen,
Unheil anzustiften.

Zu locken, zu verführen,
zu vergiften –

Zu morden,
ohne dass es Einer spürt.

Mein holdes Tier,
thu doch nicht so geziert!

Lulu zählt zu den bekanntesten und meistdiskutierten Frauenfiguren der Dramenliteratur. Einem Panoptikum der (männlichen) Weiblichkeitsentwürfe gleich, erregte die Wandlung der jungen Lulu von einer aufreizenden Lolita-Figur zur Femme fatale der Pariser Halbwelt die Gemüter der wilhelminischen Zeit und war Anlass für drei Gerichtsverhandlungen. Als Waisenkind von einem Fremden von der Straße geholt, vom nächsten höherer Bildung zugeführt, wird sie nacheinander an zwei Männer verheiratet. Alle versuchen sie nach ihren Vorstellungen zu formen. Vergeblich verlangt Lulu nach Liebe und zerbricht daran, dass sie nur als Objekt der Begierde gesehen wird.

"Fast sein Leben lang haben die Fassungen des Lulu-Stoffes Frank Wedekind beschäftigt. Er habe dieses Werk, so schreibt er in der Vorrede zur Büchse der Pandora, vor ,jedem Neuerscheinen immer wieder einer gründlichen Durcharbeitung‘ unterzogen. Dieser lange und verwickelte Entstehungsprozess erweist sich auch als ein Prozess der Selbstreflexion des Autors, der wiederum auch die Öffentlichkeit einbezieht oder doch auf sie zielt – in den Vorreden zu Zensurentscheidungen, durch Textergänzungen wie den Prolog von 1898, durch den Selbstkommentar Was ich mir dabei dachte oder im Großessay Schauspielkunst."
Aus: Frank Wedekind. Gesammelte Werke in zehn Bänden

Elmar Goerden erforscht in seiner Bearbeitung das Feld zwischen uns und Wedekinds Stück. Er wirft einen heutigen Blick auf diese spannende wie ambivalente Frauenfigur, die lange Zeit auf Klischees wie die "unschuldig triebhafte Kindfrau" oder das "dämonisch sündhafte Weib" reduziert wurde.

Ein sehenswerter Abend!
Das szenische Konzept, dass man sich fast zwei Stunden lang mit dem Text befassen kann, in dem eine Frau die Männer reihenweise in den Wahnsinn treibt und am Ende selbst zugrunde geht, diesen kritisch hinterfragen kann, ohne ihn zu desavouieren, und dass das von Anfang bis zum Ende spannend ist, geht auf.
Das unmerkliche Springen vom Original zum Kommentar, von der Rolle zum Schauspieler, ist das Kennzeichen des Abends. Dieser Kippeffekt findet immer wieder statt - und funktioniert hervorragend. Joseph Lorenz ist neben Dr. Schön noch als Casti-Piani und Jack the Ripper im Einsatz, Michael König spielt Dr. Goll im Trachtenanzug, Rodrigo augenzwinkernd mit Trainingsanzug und Schnurrbart, Schigolch als abgründig-bösen Greis und ist zwischendurch auch als Pizzabote im Einsatz (Lulu bekommt eine Kinderportion Spaghetti). Martin Niedermair spielt als Eduard Schwarz und Alwa seine Vielseitigkeit aus und darf als Schweizer in London VALIE EXPORTs Tapp- und Tastkino an Lulu erproben. Susa Meyer beeindruckt als ehrlich liebende Gräfin Geschwitz, die von Lulu nur zur Kasse gebeten und ausgenutzt wird. Bleibt die 24-jährige Johanna Mahaffy, die bei ihrer ersten Hauptrolle nahezu pausenlos auf der Bühne ist und dabei ständig das Tempo vorgibt. Sie tanzt, spielt Klavier, fegt über die Bühne, schreit mit den Männern, hadert mit dem Text, verführt und manipuliert, hantiert nüchtern mit dem Rasiermesser ("Nicht, dass du dir noch was antust!") und lasziv mit einem Solospargel, und muss zweideutig über ihr "Honigtöpfchen" reden lassen: "Was tut man nicht alles aus Treue zum Text!" Das Experiment ist geglückt. Und die Josefstadt hat einen neuen Jungstar.
(APA)

Ein konzentriertes, wandlungsfähiges Ensemble.
Perfekt besetzt sind die Frauenrollen, mit Schauspielerinnen, die in dieser Melange aus Unterwelt, Halbwelt, bürgerlicher Fassade und der daraus sich ergebenden Farce auch Momente des Tragischen zulassen, in ihren offenbar noch vergeblichen Versuchen der Emanzipation. Ungeheure Präsenz, fantastische Elastik und das richtige Gespür für Tempowechsel hat Mahaffy als Lulu. Ihr zur Seite steht kongenial Susa Meyer als Martha Gräfin von Geschwitz, mit Mut zum Pathos und großem Geschick im Ausdruck der Hoffnungslosigkeit einer edlen, stets ausgenutzten Person. Sie bildet mit Mahaffy das Kraftzentrum hier.
Joseph Lorenz agiert ideal, wenn es um Zurschaustellung des Zynismus einer Macho-Gesellschaft geht. Michael König vollzieht die abenteuerlichsten Wandlungen. Aufs komische Fach reduziert wird Martin Niedermair. Er kann’s.
(Die Presse)

Die Wiener Kammerspiele spielen Frank Wedekind – und kommentieren zugleich kritisch die Handlung. Der ständige Wechsel zwischen Spiel und Kommentar ermöglicht reizvolle Effekte. Johanna Mahaffy brilliert als Lulu- bzw. Johanna-Mahaffy-Darstellerin – ein großartiger Auftritt. Susa Meyer ist toll als lesbische Gräfin Geschwitz, eine der interessantesten Figuren des Textes. Großartig sind auch Joseph Lorenz, Michael König und Martin Niedermair in wechselnden Rollen.
(KURIER)

"Lulu" wehrt sich - und holt Wedekind und seinen Klassiker vom Sockel. Elmar Goerden verschränkt in seiner Inszenierung in den Kammerspielen das Stück mit einer kritischen Kommentierung – und rüttelt so anregend am Original.
(Der Standard)

Eine gelungene und aufrührende Auseinandersetzung mit einem Werk, das man vielleicht wirklich nicht mehr aufführen sollte.
(Falter)

Regie und Bearbeitung
Elmar Goerden

Bühnenbild und Video
Silvia Merlo

Bühnenbild und Video
Ulf Stengl

Kostüme
Lydia Kirchleitner

Licht
Sebastian Schubert

Dramaturgie
Matthias Asboth

Dramaturgie-Mitarbeit
Jacqueline Benedikt

Lulu
Johanna Mahaffy

Martha Gräfin von Geschwitz
Susa Meyer

Dr. Franz Schön; Chevalier Casti-Piani; Jack the Ripper
Joseph Lorenz

Dr. Goll; Schigolch; Rodrigo
Michael König

Eduard Schwarz; Alwa Schön; Dr. Hilti
Martin Niedermair