Nachruf auf Loretta Lynn: Die Feministin aus den Kohle-Bergen - WELT
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Kultur Nachruf auf Loretta Lynn

Die Feministin aus den Kohle-Bergen

Feuilletonredakteur
Loretta Lynn in den Siebzigerjahren Loretta Lynn in den Siebzigerjahren
Loretta Lynn in den Siebzigerjahren
Quelle: Getty Images/Hulton Archive
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Loretta Lynn war eine der erfolgreichsten Countrysängerinnen. Ihr Leben wurde oscar-würdig verfilmt. Einzigartig verkörperte sie den (scheinbaren) Widerspruch von Religiosität, proletarischem Klassenstolz und weiblicher Stärke. „Empowerment“ vertrat sie schon, bevor es diesen Begriff gab.

Wenn es ein Wort gibt, dass eine komplett unmögliche Paradoxie ausdrückt, dann wäre das „Akademischermittelstandscountrymusik“. Klassische Country-Biografien sind Aufstiegsbiografien, von Menschen, die in winzige Hütten im Hinterland hineingeboren wurden und deren Eltern härteste körperliche Arbeiten verrichteten – als Kotsassen (Johnny Cash), Holzfäller (Hank Williams) oder eben Arbeiter im Kohlebergwerk, wie bei der nun im Alter von 90 Jahren gestorbenen Loretta Lynn.

Mit wahrhaftem proletarischem Klassenbewusstsein hat sie sich lebenslang über diese Herkunft definiert. Lynn war eine Arbeiterdichterin ohne klassenkampfstreberische Verkniffenheit, im strahlenden Licht weiblichen Glamours. Bewusst behielt sie den Akzent aus den Appalachen, einem Gebirgszug, dessen Bewohner in den USA für sprichwörtliches Hinterwäldlertum stehen, lebenslang bei.

Ihr berühmtestes Lied heißt „Coal Miner’s Daughter“. Und genauso heißt ihre Autobiografie. Sie wurde von Michael Apted 1980 verfilmt und brachte Sissy Spacek in der Titelrolle einen Oscar ein.

Während das Lied die romantisierte Version der Armut mit Barfußgehen im Sommer, Bibellesen und liebevoll geschaukelten Kinderwiegen beschreibt, zeigen Buch und Film deutlicher die Schattenseiten von Mangel, Rückständigkeit und Bildungsferne. Doch auch im Lied werden die ständig blutigen Finger geschildert, die ihre Mutter vom Wäschewaschen auf dem Holzbrett bekam (Waschmaschinen waren so unerschwinglich wie Privatjets).

Vom Film bleibt dann auch eine der trostlosesten Sex-Szenen der Filmgeschichte in Erinnerung – die Hochzeitsnacht der 15 Jahre alten Braut voller Schmerz und Angst mit dem Mann (gespielt vom ganz jungen Tommy Lee Jones), der sich dann auch noch als gewalttätig entpuppt.

Zusammengeblieben sind die beiden trotzdem, bis Oliver Lynn 1996 starb. Sie bekamen sogar sechs Kinder und Loretta Lynn wurde mit 32 Großmutter. Unvorstellbar heute, wo Ehen schon zu Bruch gehen, weil der eine Partner Kundalini-Yoga bevorzugt, der andere Hatha. Diese Beharrlichkeit hatte wohl auch etwas mit der Bibel zu tun.

Lieder über Scheidung und die Pille

Und es war der Ehemann – Holzarbeiter, weil er dem Kohlbergwerk entkommen wollte –, der Loretta ihre erste Gitarre schenkte. Damit trat die Naturbegabte zunächst an Orten auf, die „Schuppen“ zu nennen keineswegs nur ein jugendsprachlicher Witz war. Seit Anfang der Sechzigerjahre stieg sie dann auch ins echte Showgeschäft auf. Den ersten Aufritt in der „Grand Ole Opry“, dem Bayreuth der Countrymusik hatte sie 1962.

Sie verkörperte dann jahrzehntelang die grandiose Widersprüchlichkeit der Countrymusik. Eine Welt äußerlicher total Künstlichkeit mit hochtoupierten Betonfrisuren, Rüschenkleidern, Riesencowboyhüten und strassbesetzten weißen Fransenjacken, in der es aber üblich war, realistisch und hart über soziale Realitäten zu singen.

Nicht nur Armut, sondern auch Ehekrach („You’re the Reason Our Kids Are Ugly“ im Duett mit Conway Twitty), Scheidungen („Mr. and Mrs. Used to Be“ 1967 mit Ernest Tubb) und betrunkene Männer, die spät nach Hause kommen und „Liebe“ wollen („Don’t Come Home A-Drinkin (With Lovin’ On Your Mind“).

Loretta Lynn singt "Cole Miner's Daughter"

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Das letztgenannte Lied steht für einen starken feministischen Zug im Werk Loretta Lynns. Einer ihrer größten Hits war 1975 das Lied „The Pill“, in dem sie die Freiheit durch Verhütung anpries. Es wurde ein Erfolg, obwohl ihre Plattenfirma sich zunächst geziert hatte, es zu veröffentlichen, und zahlreiche Radiostationen es boykottierten. Sie setzte sich auch für das Recht auf Abtreibung ein.

In ihren Erinnerungen schreibt sie: „Ich persönlich denke, du solltest eher eine unerwünschte Schwangerschaft vermeiden, als eine Abtreibung vorzunehmen. Ich hätte keine Abtreibung haben können. Es wäre für mich falsch gewesen. Aber ich denke an all die armen Mädchen, die schwanger werden, wenn sie es nicht wollen und daran, dass sie eine Wahl haben sollten, anstatt das einem Politiker oder Arzt zu überlassen, der das Baby nicht großziehen wird. Ich bin überzeugt, dass sie die Möglichkeit zur Abtreibung haben sollten.“

Loretta Lynn am Anfang ihrer Karriere
Loretta Lynn am Anfang ihrer Karriere
Quelle: Getty Images/Michael Ochs Archives

Dass eine Vertreterin eines eher konservativen Genres so etwas in den Siebzigerjahren schrieb, hatte Wucht. Lynn, die 1932 als Loretta Webb geboren wurde, war damals die erste Country-Künstlerin, die auf dem Cover von „Newsweek“ prangte. Bis zur Jahrtausendwende hatte sie 60 Hits, sie wurde 17-mal für einen Grammy nominiert, gewann dreimal. Vier Millionen Platten verkaufte sie allein in den USA.

In Zeiten, in denen „Empowerment“ ein Schlüsselbegriff der Linken geworden ist, könnte Loretty Lynn, die sang „I’m proud to be a coal miners daughter“ ein Vorbild sein, wenn sie nicht für viele einfach zu komplex wäre. Die Frau, die für Abtreibung kämpfte, hat es eben auch den Zwergen-Nietzsches und Lilliput-Freuds des atheistischen Zeitgeists besorgt, indem sie 1968 sang: „Who says God is dead? I’m talkin to him now. He’s with us alright now.”

Ein jüngerer Verehrer, der von all dem angezogen wurde, war der Rocksänger Jack White, der 2004 mit ihr das Album „Van Lear Rose“ aufnahm, benannt nach dem Dorf Van Lear in Kentucky, in dem sie geboren wurde. Gestorben ist Loretta Lynn am Dienstag in Tennessee, nicht weit von Nashville.

Loretta Lynn 2015 mit Jack White in Nashville
2015 mit Jack White in Nashville
Quelle: Getty Images/Rick Diamond
Loretta Lynn 1965 im Studio
Loretta Lynn 1965 im Studio
Quelle: Getty Images/Michael Ochs Archives

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