„Oppenheimer“ im Heimkino: Das Abbild einer Männerwelt?

Der Film „Oppenheimer“: Das Abbild einer Männerwelt?

Seit Juli läuft der Film „Oppenheimer“ in den Kinos. Jetzt kommt der Blockbuster auf DVD und Blu-ray: Unsere Autorin findet, der Film sei zu männerdominiert.

Cillian Murphy in „Oppenheimer“.
Cillian Murphy in „Oppenheimer“.Universal Pictures

Oppenheimer – ein Name, um den man in den letzten Wochen digital und analog nicht herumgekommen ist. Es ist der Name des Physikers Julius Robert Oppenheimer, besonders ist es aber der Titel des neuen Films des Starregisseurs Christopher Nolan. Ein hochkarätig besetzter Blockbuster.

Im Netz, auf der Straße und natürlich in den Kinos wurde der Film beworben. Als er dann endlich am 20. Juli in die Kinos kam, spielte auch noch das Wetter mit: der Regen spülte die Massen geradewegs in die Kinosäle.

So ging auch ich mit meiner Familie an einem düsteren Sonntagnachmittag ins Thalia in Potsdam. Es war das Versprechen, meine Geschwister, die sich sonst noch in den Schulferien gelangweilt hätten, ganze drei Stunden gut unterhalten zu lassen.

Wir wurden auch nicht enttäuscht. Der Sound fegte uns geradewegs von den Sesseln und unsere Augen konnten gar nicht weit genug geöffnet sein, um all die Farb-, Bild- und eben Bombenexplosionen sehen zu können. Und um Bomben geht es in dem Film ja schließlich.

Oppenheimer als „einzigartiges Genie“

Es ist die dramatisch erzählte Geschichte, wie der Physik-Nerd Oppenheimer zu einem politischen Akteur wurde. Er wurde während des Zweiten Weltkriegs Leiter des Manhattan-Projektes vom US-amerikanischen Militär, das an der Entwicklung einer Atombombe arbeitete. 1945 explodierte schließlich die erste Atombombe als Testversuch in der Wüste New Mexicos und kurz darauf in Hiroshima und Nagasaki. Ein einschneidendes historisches Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Seine Erfindung hat eine neue Welt ermöglicht. So der Film.

Die Realität erzählt da noch etwas anderes. Während die Figur Oppenheimer mit stilistischen und narrativen Mitteln zum einzigartigen Genie stilisiert wird, das sich mit seinem „Mind-Palast“ (bekannt aus der Serie Sherlock) Dinge vorstellen kann, die Normalsterbliche nicht mal nach Erklärung verstehen, trat der reale Oppenheimer mit seinen physikalischen Erkenntnissen nur in eine Reihe von genialen Köpfen.

Manche davon finden auch in dem Film Erwähnung, wie beispielsweise Niels Bohr und Werner Heisenberg. Ein Name fällt in dem dreistündigen Spektakel an Emotion und physikalischen Ereignissen nicht. Es ist der Name einer gewissen Lise Meitner.

Wer war Lise Meitner?

Lise Meitner
Lise MeitnerTT/imago

In einem hat der Film mit seiner Erzählung recht: Frauen hatten es in den 1940er-Jahren mit starrköpfigen Männern zu tun, die sich fragten, ob Menschen des weiblichen Geschlechts überhaupt in der Lage waren, logisch zu denken (so muss General Leslie Groves im Film direkt die Kompetenz einer Frau anzweifeln, die hinter der Schreibmaschine sitzt).

Doch tut der Film Lise Meitner Unrecht an, sie nicht einmal zu erwähnen. Sie war keine Geringere, als diejenige, die die erste wissenschaftliche Erklärung des Zerfalls von Uran-Atomkernen unter Neutronenbeschuss lieferte. Zusammen mit Otto Hahn hatte sie die Atomkernspaltung entdeckt. 1939 war sie diejenige, die die Kernspaltung richtig deutete.

Ohne ihre Forschungsergebnisse wäre Oppenheimers Forschung und das Manhattan-Projekt gar nicht möglich gewesen. Heute schätzt das Deutsche Patent- und Markenamt es als eins der größten Versäumnisse, dass Meitner keinen Nobelpreis erhalten hat. Die Möglichkeit dazu hätte bestanden – ganze 48-mal, denn so oft wurde sie von Kolleg:innen nominiert.

Diese Nominierungen sind Zeugnis dafür, dass sie und ihre Arbeit sehr wohl auch schon zu ihren Lebzeiten von Fachleuten gesehen, anerkannt und geschätzt wurde. Dass sie aber nie den Preis erhielt, ist Zeugnis für die politische Gesinnung ihrer Lebzeit.

Als Frau, als Jüdin und als Pazifistin musste sie schon 1938 aus Berlin fliehen, nachdem ihr die Arbeit an der Universität verboten wurde. Doch sie blieb im engen Kontakt mit ihren Kolleg:innen und forschte im Exil weiter.

Meitner bleibt unerwähnt

Es ist als eines der größten Versäumnisse des Films einzuschätzen, Lise Meitner keine Sekunde in den 180 Minuten Wissenschaftsgeschichte zu widmen. Es stellt sich die Frage, warum sich das Produktionsteam von Christopher Nolan dafür entschieden hat. Dass sie nicht auf Lise Meitner gestoßen sind, kann nicht sein. Dagegen spricht die sonst sorgsam recherchierten und dargestellten Ereignisse der Vergangenheit von Oppenheimer.

Zudem kann man sich nicht mit Kernenergie auseinandersetzen, ohne auf ihren Namen zu stoßen. Bekommt sie vielleicht keine Figur, weil sie mutiger als Oppenheimer war? Auch sie soll 1943 für das Manhattan-Projekt eingeladen worden sein, lehnte allerdings diese Einladung ab, da die Forschung an einer Massenvernichtungswaffe ihren moralischen und ethischen Vorstellungen widersprach. Würde sie mit dieser mutigen Entscheidung vielleicht der Figur des Genies Oppenheimer schaden?

Es ist aber vielmehr anzunehmen, dass der Hauptgrund darin liegt, wie sich die Menschheit die Vergangenheit seit Jahrhunderten erzählt: Als eine Zeit, die nur von Männern geprägt wurde.

Wenn wir heute an die vergangenen Jahrhunderte denken, stellen wir uns vor, dass Frauen unterdrückt und ausgebeutet waren. Dass ihre Handlungsorte die drei „Ks“ waren – Küche, Kinder, Kirche. Frauen, die aktiv das Leben aller beeinflussten, die Dinge erschufen und erdachten, die unsere Gegenwart heute formen, erscheinen unvorstellbar.

Es hinterfragt dabei keine:r, wie es eigentlich sein kann, dass wirklich die Hälfte der Menschheit gar keinen Beitrag zu der Entwicklung von Kultur, Wissenschaft und Politik geleistet haben soll. Kann es wirklich sein, dass 50 Prozent der Gesellschaft apathisch dahinlebte? Es ist zumindest das, was die Geschichtsbücher im Unterricht bis heute erzählen.

Frauen bleiben die Partnerin oder Affäre

Es ist auch das, was Filme wie „Oppenheimer“ meinen jüngeren Geschwistern in den Sommerferien erzählen, wenn sie Frauen nur die Rolle der Partnerin, Affäre oder Sekretärin zugestehen. Natürlich waren die 1940er-Jahre für Frauen eine harte Zeit, aber Frauen waren keineswegs inaktiv.

Lise Meitner ist das beste Beispiel dafür. Sie war nicht nur in der Physik eine Vordenkerin, sondern auch in ihrer Vorstellung davon, was eine Frau kann. Sie wurde 1878 in Wien geboren, hinein in eine Zeit, in der Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männer zugestanden wurden.

So wie sich Meitner physikalisch Dinge vorstellen konnte, wie es ihre männlichen Kollegen nicht konnten, so dachte sie sich auch über die patriarchalen Vorstellungen ihrer Zeit hinweg und wurde geradewegs die erste Frau, die sich in Deutschland habilitierte, die in unserer Stadt Berlin die erste Professorin der Physik wurde.

Es ist Frauen wie ihr zu verdanken, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, die Frauen die gleichen Rechte wie Männer einräumt und die ein Gesetz hat, das die Bürger:innen vor Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts schützen soll. Den Frauen wurden diese Rechte nicht geschenkt, sondern sie haben dafür gekämpft und von diesem Kampf muss erzählt werden.

Junge Mädchen von heute müssen von den Kämpferinnen von damals erfahren, müssen davon hören und sehen, dass Frauen mit ihren Gedanken und ihren Fähigkeiten auch in der Vergangenheit die Menschheit bereichert und geprägt haben. Dass es eben nie wirklich eine „reine Männerwelt“ war.

Und gerade deswegen bräuchte es eigentlich nicht den nächsten Blockbuster über einen vermeintlichen, männlichen Helden, sondern vielmehr über eine Frau, die heldenhaft für eine bessere Welt kämpfte. Lise Meitner wäre eine solche gewesen.

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