Giftschrank statt Diskussion: Stadt München verbietet "letzten" Riefenstahl-Film | Abendzeitung München

Giftschrank statt Diskussion: Stadt München verbietet "letzten" Riefenstahl-Film

Die Stadt München hat die Aufführung von "Sehnsucht nach Unschuld" abgesagt. Eigentlich hätte die neu entstandene Doku mit Material von Leni Riefenstahls Nuba-Exkursionen aus den 1960ern im Filmmuseum gezeigt werden sollen. Nach Protesten kommt alles anders. TV Produzent Roost spricht von Zensur.
| Adrian Prechtel
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Das Filmplakat
Holger Roost 3 Das Filmplakat
Eine Fotografie von Leni Riefenstahl beim Brauttanz in den späten 60er Jahren.
Fotorechte: Holer Roost 3 Eine Fotografie von Leni Riefenstahl beim Brauttanz in den späten 60er Jahren.
Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten ihres geplanten Nuba-Films.
Fotorechte: Holger Roost 3 Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten ihres geplanten Nuba-Films.

München – Das  Filmmuseum München  hat überraschend  beschlossen, den Film "Sehnsucht nach Unschuld" nicht zu zeigen. Das Werk ist eine Montage aus Material von Leni Riefenstahl. Die Regisseurin – auch von Reichsparteitagsfilmen der NSDAP Mitte der 30er Jahre – war zwischen 1963 und 1976 mehrmals in den Sudan gefahren und hatte dort das Volk der Nuba porträtiert. Der geplante Nuba-Film wurde aber von Riefenstahl nie herausgegeben – im Gegensatz zu ihren Fotos von den Nuba.  

Eine Fotografie von Leni Riefenstahl beim Brauttanz in den späten 60er Jahren.
Eine Fotografie von Leni Riefenstahl beim Brauttanz in den späten 60er Jahren. © Fotorechte: Holer Roost

 Auch der aktuelle Rechteinhaber und TV-Produzent Holger Roost hat mit "Sehnsucht nach Unschuld" nicht versucht, Riefenstahls Film fertigzustellen. Vielmehr hat Roost aus dem von ihm restaurierten und digitalisierten Material etwas Neues gemacht, indem er  viele Aufnahmen verwendete, die Riefenstahl nicht als Teil ihres Films wollte: Aufnahmen von ihr selbst beim Filmen in Afrika und als Gast der Nuba.

Die kritische Diskussion ist nun nicht mehr möglich

Das Filmmuseum München wollte "Sehnsucht nach Unschuld" am Donnerstag  den 18. April um 19 Uhr zeigen. Diese Vorführung hat das Filmmuseum nun auf Drängen des Migrationsrates  und von Aktivisten abgesagt. Dabei wäre die Filmvorführung eingebettet in eine Diskussion gewesen: Nach der Vorführung wollten Holger Roost-Macias, der Filmhistoriker und Riefenstahlexperte Martin Loiperdinger und Filmmuseumsleiter Stefan Drößler über den Umgang mit Filmmaterial als zeithistorische Dokumente, über den kolonialen Blick auf fremde Kulturen und die Ästhetik von Leni Riefenstahls Inszenierung der Wirklichkeit sprechen.

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Diese kritische Diskussion über Riefenstahls Erbe ist nun nicht mehr möglich. "Das Museum reagiert damit auf Proteste eines Zusammenschlusses des Netzwerks Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern, des Migrationsbeirats München, des Netzwerks der Münchner Migrantenorganisationen Morgen e.V. sowie weiterer Vertreter*innen der Schwarzen Community in München", schreibt das Filmmuseum in einer Stellungnahme. "Das Stadtmuseum samt Filmmuseum  hat großes Interesse daran, ein Forum für die ganze Stadtgesellschaft zu sein und aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen und Debatten Raum zu geben", heißt es weiter : "Umso bedauerlicher ist, dass es dem Filmmuseum im Vorfeld des Screenings  nicht gelungen ist, Perspektiven der Black Community von Anfang an einzubeziehen." 

"Letztlich eine Art von Zensur" 

Für Holger Roost ist das völlig absurd: "Man kann den Film gut oder schlecht finden. Aber ihn nicht zu zeigen ist letztlich eine Art von Zensur. Der Film ist weder rassistisch, noch verherrlicht er in irgendeiner Form Frau Riefenstahl - im Gegenteil", sagte er der AZ. Außerdem weist Roost darauf hin, dass er extra "Sehnsucht nach Unschuld" nicht in einem kommerziellen Kino zeigen wollte, sondern absichtlich in einem kritischen Rahmen im Filmmuseum München – mit einem Filmhistoriker, der eine Einordnung gibt und einer anschließenden Diskussion mit dem Publikum. "Das wäre doch genau die richtige Form für eine offene demokratische Gesellschaft, um sich mit Riefenstahl, Kolonialismus und Rassismus auseinanderzusetzten. Aber dafür muss man den Film halt auch zeigen."

HFF-Studentin: "Wir hätten den Film auch angeschaut und diskutiert"

Auch in der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) hatte sich Widerstand gegen die Vorführung des Films geregt. Eine Gruppe von rund 20 Studierenden hatte bereits Karten für die Vorstellung reserviert "Wir hätten den Film auch angeschaut. Er ist nunmal in der Welt und damit auch Gegenstand für Diskussionen", sagt HFF-Studentin Leila Keita: "Aber es gibt Aspekte, die meine Mitstudierenden und ich so problematisch finden: Das beginnt mit der merkwürdigen Kombination aus einem plötzlich auftauchenden Dokumentarfilm mit problematischem Material und dass der Mann, der den Film geschnitten hat und herausbringt, gleichzeitig mit den Nuba-Fotografien, die er zur Zeit in München ausstellt, Geld macht." Dann sei da noch die Frage, warum man an der Diskussion nicht noch Expertinnen oder Experten für Hierarchien, kolonialen Blick und Rassismus mit aufs Podium geholt hätte. "Wie diese Vorführung geplant war, ist es wahrscheinlich besser, dass sie abgesagt ist", so HFF-Studentin Keita.  

Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten ihres geplanten Nuba-Films.
Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten ihres geplanten Nuba-Films. © Fotorechte: Holger Roost

Sie kann sich aber vorstellen, dass der Film an der HFF in einem "pädagogisch-kritischen Rahmen" gezeigt wird, um sicherzustellen, dass die Fehler des Filmmuseums nicht wiederholt werden würden.

"Die Doku ist weder rassistisch noch eine Rehabilitierung von Frau Riefenstahl" 

Holger Roost hat auf die Absage der Vorführung noch mit einem offiziellen Statement reagiert, das die AZ hier im Ganzen wiedergibt: 

"Mit Entsetzen muss ich eine erneute Verengung des zugelassenen Meinungskorridors in Bezug auf Kunstfreiheit zur Kenntnis nehmen. Im Namen von Toleranz und zur Vermeidung von Verletzung im Hinblick auf Gefühlen von Minderheiten und Andersdenkenden wird ein Film und eine Diskussion einfach verboten. Eine vorherige Betrachtung, weder durch die sich beschwerenden Black Community noch durch den Migrationsbeirat oder das Kulturreferat fand nicht statt.  Die Bilder des Filmes ,Sehnsucht nach Unschuld' stellen ein unwiederbringliches und interessantes Zeitdokument dar und können in vielfältiger Weise eingeordnet und diskutiert werden.  Die Doku ist weder rassistisch noch eine Rehabilitierung von Frau Riefenstahl. Sie ist vielmehr bestens dazu geeignet, den eigenen Zugang zum Zeitgeist von damals und heute zu schärfen.  Wer aber eine Auseinandersetzung darüber bereits im Keim und im vorauseilenden Gehorsam abwürgt, handelt nicht im Interesse von Toleranz und Meinungsvielfalt in der Stadt München und verhindert genau das, was die Stadtregierung in ihrem  Selbstbildnis postuliert: demokratisch, offen und bereit zum Dialog."

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  • Hermannus am 17.04.2024 16:01 Uhr / Bewertung:

    Soso, das gewöhnliche Volk ist also - im Gegensatz zu HFF-Student*innen - nicht imstande, diese Dokumentation einzuordnen, darüber nachzudenken, zu diskutieren. - Aber, werte Frau Keita, damit verpassen Sie auch die Chance, uns Normalbürger, die wir durch rassistische, koloniale etc. Indoktrination gefährdet sind oder wären, zu belehren und bekehren.
    Werter Herr Roost, machen Sie das nächste Mal lieber eine Doku über "wütende weiße alte Männer" oder über "reiche Schmarotzer", da bekommen Sie keine Probleme mit der Diskriminierungsfront.
    Zu guter Letzt, vorbei die Zeiten eines Voltaire: " Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen."