Leni Riefenstahl: Erst Hitlers Applaus löste ihre innere Anspannung - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Leni Riefenstahl: Erst Hitlers Applaus löste ihre innere Anspannung

Geschichte Leni Riefenstahl

Erst Hitlers Applaus löste ihre innere Anspannung

Vielen Cineasten gilt Leni Riefenstahls Zweiteiler über die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin als Meilenstein. Doch bis ins Alter wollte sich die Regisseurin nicht eingestehen, den Nazis damit einen Propaganda-Coup geliefert zu haben.
Textchef ICON / Welt am Sonntag
OLYMPIA (GER 1938) DIRECTOR LENI RIEFENSTAHL WITH CAMERAMAN WALTER FRENTZ PICTURE FROM THE RONALD GRANT ARCHIVE OLYMPIA (GER 1938) DIRECTOR LENI RIEFENSTAHL WITH CAMERAMAN WALTER FRENTZ Date: 1938 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung OLYMPIA (GER 1938) DIRECTOR LENI RIEFENSTAHL WITH CAMERAMAN WALTER FRENTZ PICTURE FROM THE RONALD GRANT ARCHIVE OLYMPIA (GER 1938) DIRECTOR LENI RIEFENSTAHL WITH CAMERAMAN WALTER FRENTZ Date: 1938 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung
20. April 1938: Leni Riefenstahl (1902–2003), Regisseurin, stellt ihren Olympia-Film vor
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Pi

„Festlich“ sei die Atmosphäre bei der Uraufführung ihres Werks gewesen, sagte die Regisseurin Jahrzehnte nach dem Society-Ereignis in eine Fernsehkamera. Sicherlich sprach sie die reine Wahrheit: Der 20. April 1938 war schließlich „Führers“ Geburtstag, das Kino in der Reichshauptstadt mit den Granden des NS-Regimes gefüllt, dazu ein paar Diplomaten aus dem Ausland – und der Bildgewalt des zweiteiligen Films „Olympia“ können sich die Zuschauer bis heute nicht entziehen.

Doch hier beginnen die Probleme mit Helene Bertha Amalie Riefenstahl (1902–2003). Kann jemand, der große Kunst schafft, ein Unmensch sein? So lautet die Frage, die immer wieder im Zusammenhang mit ihr gestellt wird. Das zitierte Interview, das Jahrzehnte nach dem Untergang des Dritten Reiches stattfand, verspricht Aufschluss.

Olympia-Film Riefenstahl / aus Film-Kur. Filme / Einzeltitel: "Olympia". 2.Teil: Fest der Schoenheit (Deutschland 1936; Regie und Buch: Leni Riefenstahl; Dokumentarfilm der Olympischen Spiele in Berlin 1936). - Turnerinnen. - Aus: Illustrierter Film-Kurier Nr. 2794, Berlin (Franke & Co. KG): Seite (4).
Szene aus "Olympia", 2. Teil: "Fest der Schönheit"
Quelle: picture-alliance / akg-images

Zunächst einmal verliert Riefenstahl in der entsprechenden Sequenz kein kritisches Wort über die 1938 anwesenden Nazis. Doch das erwartet sicher keiner, der sich ein wenig mit ihrer Biografie beschäftigt hat. Niemand brachte das besser auf den Punkt als der Schriftsteller Alfred Polgar – er notierte, als die Regisseurin nach dem Krieg als Zeugin in der Verhandlung gegen ihren Kollegen Veit Harlan aufgerufen wurde, habe sie „gelächelt, als zergehe etwas Süßes in ihrem Mund“, wann immer von Adolf Hitler die Rede gewesen sei.

Entsprechend hat der Fernsehmitschnitt seinen erschreckendsten Moment, als Riefenstahl davon erzählt, wie es ihr selbst während der Vorstellung ging; die Augen verkniffen, den Mund zum Strich verzogen, beklagt sie sich, bis zum Schlussapplaus habe sie sich nach all den Mühen mit dem Streifen gar nicht wohlgefühlt. Selbstmitleid blieb bei ihr also von der Gala übrig, niemand hatte sich erkundigt, was die Vorführung denn in der armen Leni auslösen könnte – die Worte einer Egomanin, einer Frau, der alle Maßstäbe abhandengekommen sind, in welcher Situation sie sich befand.

Überhaupt geht Riefenstahl in den Passagen des TV-Gesprächs mit keiner Silbe auf die politischen Umstände ein, geschweige denn darauf, einem inhumanen System einen gigantischen Propaganda-Coup ermöglicht zu haben. Lediglich technische Fragen erörtert sie. Unter anderem ist die Rede davon, dass es zu viel Material zu sichten gab, mit klumpigstem Selbstlob übergießt sich die Regisseurin dafür, wie es ihr gelungen war, durch das Zusammenspiel von Musik und Bild den „eisernen Willen“ der Marathonläufer auf den letzten Kilometern darzustellen.

Die Ironie all dieser Worte besteht darin, dass sich in ihnen weite Teile des Umgangs mit dem Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik widerspiegeln. Viele Westdeutsche waren schnell in den Modus des Sich-selbst-Bedauerns übergegangen: Als Teil eines unpolitischen Volkes sei man von einer Verbrecherclique verführt worden, lautete die passende Geschichte, damit war man das erste Opfer Hitlers, vor allem, wenn Familienmitglieder ihr Leben hatten lassen müssen.

ARCHIV - Die Schauspielerin und Regisseurin Leni Riefenstahl (undatierte Aufnahme). Hitlers «Lieblings-Regisseurin» Riefenstahl ist wohl die umstrittenste Filmemacherin der Kinogeschichte. Ihr berühmtester Film ist der zweiteilige Dokumentarfilm «Fest der Völker»/«Fest der Schönheit» über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Foto: dpa (zu dpa «Bis heute umstritten: Leni Riefenstahls Olympia-Film» vom 14.04.2013) +++ dpa-Bildfunk +++
Kann jemand, der große Kunst schafft, ein Unmensch sein? – Leni Riefenstahl
Quelle: picture alliance / dpa

Es ist dem Historiker Martin Broszat zu verdanken, die Debatte über das Verhältnis der Deutschen zu den braunen Herrschern um den Begriff der Resistenz erweitert zu haben. Und auch wenn gerade viele Nachgeborene sich wohl allzu eilfertig einreden, Resistenz sei das Mindeste, was sie den Regierenden in den Jahren 1933 bis 1945 entgegengebracht hätten, so lässt sich dieses Urteil nicht abwenden: Leni Riefenstahl ließ nicht nur jede Resistenz vermissen, sie versuchte es nach der Katastrophe auch noch so hinzudrehen, als sei das kein Problem gewesen. Übrig bleibt die Frage, was von beidem schwerer wiegt.

Sie wollen Geschichte auch hören? „Attentäter“ ist die erste Staffel des WELT-History-Podcasts.

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Dieser Artikel wurde erstmals im April 2021 veröffentlicht.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema