„Festlich“ sei die Atmosphäre bei der Uraufführung ihres Werks gewesen, sagte die Regisseurin Jahrzehnte nach dem Society-Ereignis in eine Fernsehkamera. Sicherlich sprach sie die reine Wahrheit: Der 20. April 1938 war schließlich „Führers“ Geburtstag, das Kino in der Reichshauptstadt mit den Granden des NS-Regimes gefüllt, dazu ein paar Diplomaten aus dem Ausland – und der Bildgewalt des zweiteiligen Films „Olympia“ können sich die Zuschauer bis heute nicht entziehen.
Doch hier beginnen die Probleme mit Helene Bertha Amalie Riefenstahl (1902–2003). Kann jemand, der große Kunst schafft, ein Unmensch sein? So lautet die Frage, die immer wieder im Zusammenhang mit ihr gestellt wird. Das zitierte Interview, das Jahrzehnte nach dem Untergang des Dritten Reiches stattfand, verspricht Aufschluss.
Zunächst einmal verliert Riefenstahl in der entsprechenden Sequenz kein kritisches Wort über die 1938 anwesenden Nazis. Doch das erwartet sicher keiner, der sich ein wenig mit ihrer Biografie beschäftigt hat. Niemand brachte das besser auf den Punkt als der Schriftsteller Alfred Polgar – er notierte, als die Regisseurin nach dem Krieg als Zeugin in der Verhandlung gegen ihren Kollegen Veit Harlan aufgerufen wurde, habe sie „gelächelt, als zergehe etwas Süßes in ihrem Mund“, wann immer von Adolf Hitler die Rede gewesen sei.
Entsprechend hat der Fernsehmitschnitt seinen erschreckendsten Moment, als Riefenstahl davon erzählt, wie es ihr selbst während der Vorstellung ging; die Augen verkniffen, den Mund zum Strich verzogen, beklagt sie sich, bis zum Schlussapplaus habe sie sich nach all den Mühen mit dem Streifen gar nicht wohlgefühlt. Selbstmitleid blieb bei ihr also von der Gala übrig, niemand hatte sich erkundigt, was die Vorführung denn in der armen Leni auslösen könnte – die Worte einer Egomanin, einer Frau, der alle Maßstäbe abhandengekommen sind, in welcher Situation sie sich befand.
Überhaupt geht Riefenstahl in den Passagen des TV-Gesprächs mit keiner Silbe auf die politischen Umstände ein, geschweige denn darauf, einem inhumanen System einen gigantischen Propaganda-Coup ermöglicht zu haben. Lediglich technische Fragen erörtert sie. Unter anderem ist die Rede davon, dass es zu viel Material zu sichten gab, mit klumpigstem Selbstlob übergießt sich die Regisseurin dafür, wie es ihr gelungen war, durch das Zusammenspiel von Musik und Bild den „eisernen Willen“ der Marathonläufer auf den letzten Kilometern darzustellen.
Die Ironie all dieser Worte besteht darin, dass sich in ihnen weite Teile des Umgangs mit dem Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik widerspiegeln. Viele Westdeutsche waren schnell in den Modus des Sich-selbst-Bedauerns übergegangen: Als Teil eines unpolitischen Volkes sei man von einer Verbrecherclique verführt worden, lautete die passende Geschichte, damit war man das erste Opfer Hitlers, vor allem, wenn Familienmitglieder ihr Leben hatten lassen müssen.
Es ist dem Historiker Martin Broszat zu verdanken, die Debatte über das Verhältnis der Deutschen zu den braunen Herrschern um den Begriff der Resistenz erweitert zu haben. Und auch wenn gerade viele Nachgeborene sich wohl allzu eilfertig einreden, Resistenz sei das Mindeste, was sie den Regierenden in den Jahren 1933 bis 1945 entgegengebracht hätten, so lässt sich dieses Urteil nicht abwenden: Leni Riefenstahl ließ nicht nur jede Resistenz vermissen, sie versuchte es nach der Katastrophe auch noch so hinzudrehen, als sei das kein Problem gewesen. Übrig bleibt die Frage, was von beidem schwerer wiegt.
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Dieser Artikel wurde erstmals im April 2021 veröffentlicht.