Sahelzone: Deutschlands zähe Charmeoffensive bei Putins Freunden - WELT
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Deutschlands zähe Charmeoffensive bei Putins Freunden

Korrespondent in Kapstadt
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) informiert sich über nachhaltigen Gemüseanbau in Burkina Faso Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) informiert sich über nachhaltigen Gemüseanbau in Burkina Faso
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) informiert sich über nachhaltigen Gemüseanbau in Burkina Faso
Quelle: Christina Peters/dpa/picture alliance
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Die Sahelzone wird von Terrorismus und Militärputschen erschüttert. Svenja Schulze reist als erste europäische Ministerin seit dem Coup in das von Russland gestützte Burkina Faso. Die deutschen Entwicklungsprojekte laufen weiter. Doch eine wichtige Erkenntnis lässt sich nicht ignorieren.

Burkina Fasos Finanzminister Aboubakar Nacanabo verbarg erst gar nicht, wie egal ihm ist, was Deutschland von der Hinwendung seines Landes zu Russland hält.

Die Nato-Staaten hätten die Ukraine allein im Jahr 2022 mit 65 Milliarden Euro militärisch unterstützt, während die Sahelstaaten „über 20 Jahre lang“ trotz wachsender Terrorbedrohung weitgehend ignoriert worden seien, hielt er der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vor.

Schulze war als erste europäische Ministerin seit den beiden Putschen im Jahr 2022 in den Sahelstaat gereist. Eine richtige Entscheidung angesichts der enormen geopolitischen Bedeutung der Region, deren Länder in den letzten Jahren von Militärcoups erschüttert wurden. Es sei wichtig, dass man im Gespräch bleibe, betonte die Ministerin zu Beginn und Ende ihrer Reise. Immerhin das ist gelungen.

Die Botschaft aus Burkina Faso ist klar: Deutsche Entwicklungshilfe ist weiter willkommen – auch wenn seit dem Putsch kein Geld mehr an die Regierung, sondern ausschließlich direkt in Projektarbeit fließt. Das Gleiche gilt für die neun Soldaten der Bundeswehrberatergruppe im Land. Aber ein Hebel für Einfluss ist beides nicht.

Schulze wird diplomatisch „geghosted“

Das dürfte Schulze im Laufe ihrer Gespräche, in denen sie die deutsche Position gegen Russland deutlich zum Ausdruck brachte, klar geworden sein. Burkina Faso hatte zuletzt zusammen mit Mali und Niger den Austritt aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft „Ecowas“ angekündigt – einem der letzten Hoffnungsschimmer auf demokratischen politischen Einfluss in der zerrütteten Region.

„Der Austritt wird passieren“, bekräftigte Nacanabo. Ein erheblicher Teil der Entwicklungshilfe fließe über Ecowas-Strukturen, warnte Schulze, das Geld fiele dann weg. „Dann ist das eben so“, antwortete Nacanabo. Und der Gast müsse dann jetzt doch sicher zu weiteren Terminen, sagte er kurz vor Ablauf der vorgesehenen Gesprächszeit. Das war das Ende der Audienz für die Entwicklungsministerin.

Quelle: Infografik WELT

In ihren öffentlichen Erklärungen konzentrierte sich Schulze entsprechend lieber auf ihre Begegnung mit Außenminister Karamoko Jean Marie Traoré, einem der wenigen Mitglieder der Junta mit respektabler internationaler Reputation. Der Besuch sei „eine große Ehre“, hatte dieser höflich zu Protokoll gegeben, Deutschland und Burkina Faso würden „eher Nuancen als Meinungsverschiedenheiten“ trennen.

Man werde Wahlen organisieren, versprach er, „aber erst müssen wir die Sicherheit wieder herstellen“. Und zu Russland erklärte er: „Das Angebot entspricht unseren Bedürfnissen.“

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Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bei einem Pressestatement mit Burkina Fasos Außenminister Karamoko Jean Marie Traoré in Ouagadougou, Burkina Faso
Quelle: Christian Putsch

Schulze war auch als Präsidentin der Sahel-Allianz in das Land gereist – einer westlichen Gebergruppe zur Koordinierung milliardenschwerer Entwicklungshilfe in den fünf Sahelstaaten (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad), die dort jedoch bisweilen als Initiative der verhassten früheren Kolonialmacht Frankreich wahrgenommen wird.

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Sie sei auch in dieser Funktion „freundlich“ empfangen worden, sagte Schulze, „und das finde ich auch sehr positiv für einen Staat, von dem ich erwartet habe, dass er sich aus allem herauszieht“. Sie habe mit deutlich mehr Reserviertheit gerechnet.

Diese Einschätzung liegt im Auge des Betrachters. Ein Gespräch mit Junta-Chef Ibrahim Traoré war bis kurz vor Schulzes Abflug in Aussicht gestellt worden und fand letztlich stillschweigend und ohne Angabe von Gründen nicht statt. Der plötzliche Kontaktabbruch ist im menschlichen Miteinander inzwischen so verbreitet, dass es das Wort „Ghosting“ dafür in den Duden geschafft hat. Schulze ist in Burkina Faso eindeutig diplomatisch „geghostet“ worden.

Eine naheliegende Erklärung: Dem Kreml, der 100 Soldaten zu Traorés persönlichem Schutz abgestellt und weitere Entsendung versprochen hat, hätten Bilder mit einer deutschen Ministerin nicht gefallen. „Ich fand den Empfang ernüchternd“, sagte jedenfalls der mitgereiste FDP-Abgeordnete Knut Gerschau. „Burkina Faso hat die Chance nicht genutzt, wieder wirklich in Kontakt zu kommen. Das ist bedauerlich, weil eine derartige Hinwendung zu Russland fast unumkehrbar ist.“

Das Wort Russland wird lieber vermieden

Dabei – und auch das ist eine Erkenntnis des Besuchs – hat Burkina Faso Entwicklungshilfe nötiger denn je. Und sie wirkt durchaus an richtigen Stellen. In der Bildung, der ländlichen Entwicklung und in der widerstandsfähigen, aber spürbar von der Junta eingeschüchterten Zivilgesellschaft. So traf Schulze etwa die Faktenprüfer von „FasoCheck“, eine Kooperation mit der „Deutschen Welle“, die unter anderem russischen Desinformationskampagnen in Afrika entgegenwirkt.

Das Wort Russland vermeiden die Journalisten jedoch bewusst, schließlich droht Kritikern der Junta die Einberufung an die Front gegen den Terrorismus. Oder, bei unliebsamer Berichterstattung über militärische Operationen, bis zu zehn Jahre Haft. Und so sprechen sie lieber über den angeblichen Druck von Banknoten einer neuen Gemeinschaftswährung der drei Kreml-hörigen Sahelstaaten oder von neu entdeckten Diamanten- und Erdöl-Vorkommen.

Die Wagenburg-Mentalität der drei Länder zeigt sich auch auf den Straßen von Burkinas Hauptstadt Ouagadougou. An fast jeder Kreuzung hängen die Fahnen der Ecowas-Aussteiger Burkina Faso, Niger und Mali – und die von Russland. Die Mehrheit wurde keineswegs von der Junta aufgehängt.

Künstler haben im vergangenen Jahr aufwendige Graffiti von Putin und Junta-Chef Traoré an einer Mauer angefertigt. Beide sind im Volk populärer, als es der Westen wahrhaben will. So mancher Beobachter glaubt, dass Traoré bei Wahlen gute Chancen hätte. Die Adresse der Mauer lautet: Avenue de la Révolution (Deutsch: Allee der Revolution). An ihr ist auch der sozialistische Nationalheld Thomas Sankara verewigt.

Im Sommer 2023 angefertigte Graffitis in Ouagadougou, Burkina Faso
Im Sommer 2023 angefertigte Graffitis in Ouagadougou, Burkina Faso
Quelle: Christian Putsch
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Gerade einmal 80 Minuten Flug sind es von Burkina Faso nach Benin, und der Ortswechsel offenbart, wie groß die Kontraste in Westafrika derzeit sind. Die Nation gilt als loyal gegenüber Frankreich, als stabile Demokratie mit robustem Wirtschaftswachstum trotz deutlicher Defizite. Aber auch als Land, in dessen Norden der islamistische Terror aus Burkina Faso und Niger einsickert.

Hier sprach Schulze mit Frauen aus bedrohten Dörfern, in denen eskalierenden Konflikte zwischen Hirten und Landwirten mithilfe deutscher Unterstützung reduziert werden konnten. Über bessere Wasserversorgung oder gemeinsame Agrarprojekte, Anreize für die geordnete Niederlassung von Hirten. Aber auch über schlicht aufwendige Verhandlungen, bis klare Korridore für das Treiben der Herden vereinbart werden.

Svenja Schulze (SPD, 3.v.l.) in Benin
Svenja Schulze (SPD, 3.v.l.) in Benin
Quelle: Christina Peters/dpa-Zentralbild/dpa

Im Gegensatz zu Burkina Fasos Junta zeigte sich Benins Regierung derart emsig, dass die deutschen Entwicklungshelfer vor Ort Mühe hatten, Schulze ihre wichtigsten Projekte zu zeigen. Präsident Patrice Talon empfing sie – und drängte darauf, dass die Ministerin die neue Sonderwirtschaftszone des Landes besichtigte. Hier stampft die Regierung gerade zusammen mit von Steuer- und Bürokratie-Erleichterungen angelockten Firmen Tausende Arbeitsplätze für die Verarbeitung von Baumwolle und Cashewkernen aus dem Boden.

Und so musste Schulze für Fotos mit indischen Unternehmern herhalten – Wasser auf die Mühlen des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, der sich beklagt hatte, dass keine Firmenvertreter zur Reise eingeladen worden waren. In diesem Fall eine doch etwas merkwürdige Kritik, wäre es wohl kaum vermittelbar gewesen, beim ersten Stopp in Burkina Faso gleich für Investitionen zu werben.

Schulze besucht das von der Weltbank geförderte naturwissenschaftliche Internat Lycée Scientifique National de Ouagadougou
Schulze besucht das von der Weltbank geförderte naturwissenschaftliche Internat Lycée Scientifique National de Ouagadougou
Quelle: Christina Peters/dpa/picture alliance

So manche Anregungen kommen manchmal auch im Kleinen. In Burkina Faso besuchte Schulze ein von der Weltbank mitfinanziertes naturwissenschaftliches Gymnasium, ließ sich an modernen Geräten von den Schülern komplexe physikalische Experimente erklären – und hörte danach von Schüler Saba Isaac Brice, 17, dass es an ganz Grundsätzlichem fehle.

„Wir haben keine Internetverbindung im Unterricht“, sagte er, „und nach dem Abitur gibt es kaum Stipendien für das Studium“. Das sei ein großes Hindernis auf der Jobsuche. Sie endet für die meisten Jugendlichen im informellen Sektor und damit im Hungerlohn.

„Wir nehmen das auf jeden Fall mit“, sagte Schulze und ließ einen ausgesprochen eloquenten Jugendlichen zurück, der hofft, bei diesem Versprechen nicht geghostet zu werden.

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