Gewinner des Silbernen Bären

Schwarze Komödie mit Starbesetzung: „Sterben“ von Matthias Glasner

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Klarsichtig und spielerisch blickt Matthias Glasner auf eine zerrüttete Familie: Lars Eidinger spielt einen Dirigenten, Lilith Stangenberg seine durchgeknallte Schwester, Corinna Harfouch die sterbenskranke Mutter und Robert Gwisdek den besten, depressiven Freund.

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Eine Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs

Es ist eine Familiengeschichte: normal dysfunktional. Die sehr individuellen Mitglieder dieser Familie sind schon lange keine Familie mehr.

Mutter Liss ist im Stillen froh, dass ihr dementer Mann Gerd in ein Pflegeheim kommt. Doch ihre neu gewonnene Freiheit ist nur von kurzer Dauer: Diabetes, Krebs und Nierenversagen bedeuten, dass auch ihr nicht mehr viel Zeit bleibt.

Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Lissy Lunies (Corinna Harfouch), Mitte 70, ist im Stillen froh darüber, dass ihr dementer Mann Uwe (Hans-Uwe Bauer) ins Pflegeheim kommt. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Doch ihre neue Freiheit währt nur kurz, denn sie wird selbst sterbenskrank. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Im Zentrum dieses Panoptikums der Todgeweihten aber steht ihr Sohn, der Dirigent Tom Lunies (Lars Eidinger), Anfang 40. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Mit seinem depressiven besten Freund Bernard (Robert Gwisdek) arbeitet er an einer Komposition namens „Sterben“, und der Name wird zum Programm. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Gleichzeitig macht ihn seine Ex-Freundin zum Ersatzvater ihres Kindes, das eigentlich auch sein eigenes hätte sein können. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) verweigert es, im System zu funktionieren, und wählt stattdessen die Lust und den Rausch. Aber alles im Leben hat seinen Preis. Bild in Detailansicht öffnen

Ihr Sohn Tom, ein Dirigent um die 40, arbeitet an einer Komposition mit dem Titel „Sterben“ und wird gleichzeitig zum Ersatzvater für den Sohn seiner Ex-Freundin.

Toms Schwester Ellen, eine wilde, impulsive junge Frau beginnt eine Affäre mit dem verheirateten Sebastian, mit dem sie eine Vorliebe für Alkohol teilt.

Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) beginnt eine wilde Liebesgeschichte mit dem verheirateten Zahnarzt Sebastian (Roland Zehrfeld).

Eine Komödie zum Thema Sterben

Dieser Film ist trotz seines Titels eine Komödie. Wer ihn zu ernst, zu wörtlich nimmt, verfehlt die Ästhetik und auch den Spaß, den dieser Film macht – und verfehlt nicht zuletzt die Intention seines Regisseurs.

„Sterben“ ist unter anderem auch ein autobiografischer Film, der uns etwas über die Person des Regisseurs und Drehbuchautors Matthias Glasner erzählt, vermutlich auch über seine Familie und vermutlich auch über seine Kunstauffassung.

Filmstill (Foto: © Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_Senator 2024)
Corinna Harfouch über das Sterben im Film und auf der Bühne: „Ich bin hundertmal gestorben. Und das nehme ich auf der Bühne und im Film sehr ernst. (...) Ich habe keine Lust, da schauspielerisch sozusagen ein Glanzstück hinzulegen, weil ich das obszön fände. Aber es macht auf eine seltsame Weise Spaß, das zu spielen.“

Durchgeknallte Geschichte mit autobiografischen Bezügen

Zugleich erzählt der Film aber eine völlig fiktive, durchgeknallte, überhitzte Geschichte über eine Familie und ein heutiges Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruchs. Klarsichtig und spielerisch blickt Matthias Glasner auf diese keineswegs leichten Konstellation.

Jeder stirbt und jeder kämpft auf die eine oder andere Weise ums Überleben, auch wenn er sich die meiste Zeit in einem so betäubenden Zustand befindet, dass er eher einer Trägheit als einer Energie ähnelt, die sich bewegen und verwandeln kann.

Sterben als Dauerzustand

Das Sterben des Films ist also kein vorübergehender, sondern ein Dauerzustand. Wie ein buntes Puzzle aus vielen Teilen fügt sich alles zusammen, während wir die besondere Persönlichkeit jeder der Figuren kennen lernen, die alle meisterhaft interpretiert werden.

Wir alle sterben. Wie wir davor leben, müssen die Zurückgebliebenen selbst herausfinden.

„Sterben“ von Matthias Glasner ab 25.4. im Kino

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Rüdiger Suchsland