Sahra Wagenknecht bei Lanz: „Der Westen wird immer tiefer in den Krieg hineingezogen“

Sahra Wagenknecht bei Lanz: „Der Westen wird immer tiefer in den Krieg hineingezogen“

Zum ersten Jahrestag der russischen Invasion verteidigt die Linke-Politikerin ihr „Manifest für den Frieden“. Die Talk-Runde ist ihr nicht besonders wohlgesonnen.

Sahra Wagenknecht, Die Linke.
Sahra Wagenknecht, Die Linke.Sammy Minkoff/imago

Eines muss man Sahra Wagenknecht schon lassen: Rhetorisch hat die ehemalige Linke-Fraktionschefin die Talk-Runde bei Markus Lanz am Dienstagabend für sich entschieden. Ihr gegenüber saßen in einer Aufstellung von eine gegen vier dabei Kevin Kühnert (SPD), die ukrainische Wissenschaftlerin Ljudmyla Melnyk, die russische und im Exil lebende Journalistin Marina Owsjannikowa und ein reibungslustiger Moderator Markus Lanz.

Eigentlich war die Sendung anlässlich des ersten Jahrestages der russischen Invasion in die Ukraine angekündigt worden. Doch im Grunde kommt es nicht zu vielen verschiedenen Aspekten dieses Kriegsverlaufes oder seinem Ausblick, die Sendung ist eine One-Woman-Show. Fast jeder Diskussionsaspekt kommt aus defensiver Lage, fast jeder Punkt bezieht in irgendeiner Weise Stellung gegen das von Wagenknecht kürzlich veröffentlichte „Manifest für den Frieden“ – und ihre Ausführungen in der Sendung. Und davon gibt es reichlich.

Zu Redaktionsschluss hatten rund 586.000 Personen den Aufruf unterzeichnet

In dem sogenannten Manifest, das eigentlich ein offener Brief mit Petition auf der Kampagnenplattform change.org ist, ruft Wagenknecht gemeinsam mit Alice Schwarzer den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, die „Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“. Scholz solle „sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt!“, so der Absatz des Briefes. Zu Redaktionsschluss hatten rund 586.000 Personen den Aufruf unterzeichnet.

Das „Manifest“ ist in seinem Inhalt in den vergangenen Tagen viel kritisiert worden – nicht nur für die Position, die Waffenlieferungen zu stoppen. Auch Klüngelei mit den Rechten wird den Verfasserinnen vorgeworfen. So gehört inzwischen etwa auch der AfD-Fraktionsvorsitzende zu den Unterzeichnern. Und seine Partei ruft teilweise zur Teilnahme an einer von Wagenknecht und Schwarzer initiierten Kundgebung auf, die am Samstag in Berlin stattfinden soll.

Anschlussfähig für die Rechte sei der Wagenknecht’sche Aufruf unter anderem wegen seiner Fixiertheit auf den Nationalstaat, schreibt der Politikwissenschaftler Daniel Keil Anfang der Woche in einem Twitter-Thread.

Doch so detailliert wird die Analyse am Dienstagabend unter Lanz’ Aufsicht nicht. Auch wenn er Wagenknecht gleich zu Beginn der Sendung die Beteiligung der AfD vor die Füße wirft: Die Linke-Politikerin geht gar nicht darauf ein. Geschickt pfeffert sie die zentralen Thesen ihres Aufrufes ins Studio und Fernsehpublikum. Vonseiten des Westens und der USA sehe sie „keine Initiative, kein Angebot“ für Verhandlungen in Richtung Kreml-Chef Wladimir Putin. Die Ukraine könne „gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen“. Der Westen würde durch seine Waffenlieferungen „immer tiefer in diesen Krieg hineingezogen“.

Markus Lanz: Aber Frau Wagenknecht, bitte

Lanz hat sich in der Vorbereitung für das heikle Thema dieser Sendung offenbar eine ebenso heikle Taktik zurechtgelegt. Einerseits: Wagenknecht nicht ausreden zu lassen. Seine Methode aber gleicht dabei einem etwas verzweifelten Versuch des ständigen, aber inhaltsleeren Widerspruchs – „aber Frau Wagenknecht, bitte“ – und entsetztem Kopfschütteln.

Zugleich hat Lanz sich offenbar vorgenommen, seine Aufreger-Gästin mit der vorhandenen Kritik zu konfrontieren. Das gelingt allerdings nur mäßig gut, denn diese Taktik arbeitet der ersten entgegen und verschafft Wagenknecht eher mehr Redezeit. Auf die Frage, warum sie die Kriegsverbrechen von russischer Seite, wie etwa in Butscha, nicht auch erwähnt, wenn sie nach Friedensverhandlungen mit Putin ruft, entgegnet sie: „Kriegsverbrechen sind doch kein Grund, einen Krieg weiterzuführen.“ 

Kevin Kühnert: Niemand hat etwas gegen Verhandlungen

Lanz schafft es sachlich nicht, sachlich zu widersprechen, der SPD-Generalsekretär versucht es. Das sei ja „das Verfängliche an dem ‚Manifest‘“, sagt Kühnert, niemand habe etwas gegen Verhandlungen. Dass das Sterben aufhören soll, „dem würde jeder sofort zustimmen.“ Doch aus seiner Sicht bliebe Wagenknecht mit ihren Forderungen die Antwort auf eine simple Frage schuldig: Worüber soll verhandelt werden? Was seien die Ziele, was die Konditionen aus Sicht der Angegriffenen, der Ukraine?

Kühnerts Kritik lautet also: Wagenknecht unterschlage die Selbstbestimmung der ukrainischen Bevölkerung, die der Regierung unter dem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Sie machen die Ukraine von einem Subjekt zum Objekt“, sagt Kühnert. Die Ukraine gebe es heute nur noch wegen der bisherigen Waffenlieferungen, ohne sie wäre sie längst russisch besetzt – und eine Verhandlung nicht mehr möglich.

Ljudmyla Melnyk: Wagenknecht betreibt Anti-Amerikanismus

Auch Ljudmyla Melnyk, die am Institut für Europäische Politik in Berlin ein Projekt zur Vernetzung ukrainischer und deutscher Forschender leitet, geht auf die ukrainische Selbstbestimmung ein. Es sei falsch, über ukrainische Zugeständnisse zu sprechen, womit sie sich auf Wagenknechts Forderung bezieht, für Verhandlungen müssten „beide Seiten“ Kompromisse machen. „Wir haben die Ukraine sehr lange durch die russische Brille betrachtet“, sagt Melnyk, „und jetzt wird die Ukraine als amerikanische Marionette betrachtet.“ Melnyks Kritik lautet also: Wagenknecht betreibe Anti-Amerikanismus, nehme die Ukraine als eigenständige Akteurin nicht ernst.

Marina Owsjannikowa: Mit wem wollen Sie denn verhandeln?

Und die Kritik der Journalistin Marina Owsjannikowa? Sie wurde im März 2022 bekannt, weil sie als Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehens eine Protestaktion mitten in einer Live-Sendung veranstaltete. Owsjannikowa beschuldigt Wagenknecht, von Putin bezahlt zu sein. Owsjannikowa fragt: Mit wem wolle sie denn verhandeln?

Auch wenn Lanz zum Schluss etwas nachglätten muss – dass Putin Wagenknecht bezahlt, glaube er nicht, so ist doch immerhin eine Politshow, in der gestritten wird, doch etwas Gutes. Allein, wenn vier im Stuhlkreis gegen eine wettern – und diese dann rhetorisch überlegen ist, jeden Angriff abfängt, ihn sich zu eigen macht und inhaltlich nur schwachen Gegenwind erfährt – dann bleibt ein Punkt fast unbemerkt. Denn auch zum Schluss sind Fragen wie „Unter welchen Bedingungen will sie verhandeln?“ und „Über welche Ziele eigentlich?“ noch immer offen.

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