Über die Verschiebung von Werten
Es ist schon ein paar Jahre her, da hörte ich den Kommentar von Anja Reschke in der Tagesschau. Es war am 5. August 2014. Ich war perplex. Die Politikchefin des NDR forderte einen „Aufstand der Anständigen.“
„Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun, dagegen halten, den Mund aufmachen, Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen.“
Verdammt mutig kommt das rüber. Aber was verlangt sie? Soll ich den Drecksack, der Flüchtlinge anzünden oder vergasen will, ernsthaft darauf hinweisen, dass sich das nicht gehört? Vertritt er
einen Standpunkt, über den sich reden lässt? In Wirklichkeit handelt es sich nicht um eine Meinung, sondern um einen Straftatbestand. Das zeigt man an. Oder man lässt es sein. Diese Äußerungen
abzulehnen ist keine Haltung, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Mir erschließt sich die Gefahr der „Volksverhetzung“ nicht. Ich werde das Verbrennen von Menschen nicht gutheißen, weil es mir empfohlen wird. Der Strafantrag geschieht womöglich in der Hoffnung,
die Gefahr ließe sich bannen, indem man Nazis mundtot macht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich glaube, Kurt Tucholsky erklärte, man solle anstößige Sprache nicht verbieten, sondern hinhören. Damit
man die Verbrecher oder Nazis erkennt, bevor sie zur Tat schreiten.
Und dann der unsägliche Ruf nach einem „Aufstand der Anständigen“. „Anstand“ sei eine kontaminierte Vokabel, erklärte der Theologe Knut Berner am 17. 8. 2013 im Deutschlandfunk. Heinrich Himmler
nannte in seiner Rede vor SS-Offizieren am 4. Oktober 1943 in Posen diejenigen „anständig“, die den Anblick der von ihnen hingerichteten Menschen aushalten konnten.
„Der Massenmord durch die Nationalsozialisten geschah nicht trotz, sondern wegen dieses probaten Begriffes. Mit ihm wurde treffend eine Gesinnung bezeichnet, die
Unrecht legitimiert. Und so funktionierte der Begriff auch. Warum sollte er inzwischen diese Funktionalität verloren haben?“ Das fragt sich und uns Knut Berner.
Frau Reschke erreicht etwas anderes: sie nimmt diejenigen aus der Kritik, die Flüchtlinge gar nicht ins Land lassen wollen. Sie schont diejenigen, die Flüchtlinge um jeden Preis abschieben wollen. Sie gehören zum Kreis derer, die sich gegen Nazis wehren sollen.
Ich bin überzeugt davon, nicht die Nazis sind unser Problem, sondern diejenigen, die das Asylrecht aushöhlen. Wenn es nach Frau Reschke geht, wird sie niemand daran hindern.
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