BVG: Darum bleibt die U6 nun noch länger gesperrt

Bus statt U-Bahn bei der BVG: Darum bleibt die U6 nun noch länger gesperrt

Die Bauarbeiten zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel verzögern sich. Im Norden Berlins fuhr die U-Bahn auf Trümmern: Das ist ein Problem.

Als zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel noch U-Bahnen fuhren: Im Herbst 2022 wurde die Strecke gesperrt. Heute ist sie eine Baustelle.
Als zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel noch U-Bahnen fuhren: Im Herbst 2022 wurde die Strecke gesperrt. Heute ist sie eine Baustelle.Jürgen Ritter/imago

SEV: Das sind drei Buchstaben, die Fahrgäste nicht gern hören oder lesen. SEV: Das steht für Schienenersatzverkehr – Busse ersetzen Bahnen. Wegen Bauarbeiten müssen die Reisenden auf dem Nordabschnitt der Linie U6 in Berlin schon seit fast 16 Monaten Bus fahren oder auf andere Verkehrsmittel ausweichen.

Bislang hieß es, dass der U-Bahn-Verkehr im Frühjahr 2025 wieder beginnen könnte. Doch jetzt teilten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auf Anfrage der Berliner Zeitung mit, dass die baubedingte Sperrung länger dauern wird. „Es wird Verzögerungen geben“, sagte Uwe Kutscher, der die U-Bahn-Bauabteilung leitet, während eines Ortstermins im Bezirk Reinickendorf. Intern schließt man nicht aus, dass es ein Jahr länger dauert.

Dass auf der Großbaustelle zwischen den U-Bahnhöfen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel im Nordwesten Berlins nicht alles rund läuft, ist einigen Anwohnern schon vor einiger Zeit aufgefallen. In einigen Bereichen passierte lange Zeit nichts, zum Teil begannen die Arbeiten offenbar mit großer Verspätung. Woanders wurde gebuddelt, aber jetzt so gut wie nicht mehr. Zweifel wurden laut: Was ist da los?

Nach Kabelbrand musste die BVG den U6-Schienenersatzverkehr verlängern

Die Großprofillinie ist Teil der ersten neuen U-Bahn-Verbindung, die nach 1930 in Berlin entstand. Zuletzt nutzten im Schnitt rund 25.000 Fahrgäste pro Tag das Teilstück nach Alt-Tegel, das 1958 fertig wurde. Statt bis zu 300 U-Bahn-Fahrten pro Tag gibt es seit dem 7. November 2022 Schienenersatzverkehr. Dabei sind bis zu 20 Busse im Einsatz. Mit Busspuren und anderen Fahrbahnmarkierungen versuchen Bezirk und Senat, den Schlenkis Vorrang einzuräumen. Doch oft sind die Gelenkbusse voll, und Rudelbildung mit zum Teil großen Abständen scheint die Regel zu sein. Damit nicht genug: Nach einem Kabelbrand musste der SEV bis Leopoldplatz noch bis April verlängert werden.

So sieht es heute auf dem oberirdischen Teil der U6 aus: Bahndamm ohne Schienen am U-Bahnhof Holzhauser Straße. Eine Informationstafel, die zuletzt auf dem Bahnsteig stand, liegt im Sand.
So sieht es heute auf dem oberirdischen Teil der U6 aus: Bahndamm ohne Schienen am U-Bahnhof Holzhauser Straße. Eine Informationstafel, die zuletzt auf dem Bahnsteig stand, liegt im Sand.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Keine leichte Zeit für viele Pendler und andere BVG-Nutzer. Jetzt teilte die landeseigene BVG mit, dass der Schienenersatzverkehr länger als geplant andauern wird. Auf Aushängen heißt es bisher, dass auf der U6 im Lauf des kommenden Jahres wieder U-Bahnen nach Alt-Tegel fahren werden. „Intern und gegenüber den Baufirmen haben wir uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass die Arbeiten zum Ende des Frühjahrs 2025 hin abgeschlossen werden“, ergänzte Kutscher. „Aber nun ist absehbar, dass einige Monate hinzukommen werden. Im Sommer 2024 werden wir genau wissen, in welchem Maße wir den Zeitplan bis zur Wiedereröffnung des Abschnitts anpassen müssen.“

Genaueres wollte er nicht sagen. Doch nach Informationen der Berliner Zeitung halten es die Experten nicht mehr für wahrscheinlich, dass der U-Bahn-Betrieb 2025 wieder beginnen kann. Intern ist bereits von einem Neustart im Jahr 2026 die Rede. Die Verzögerungen würden sich auf mindestens ein Jahr summieren. 

War wirklich nicht damit zu rechnen, dass der Zeitplan für die U6 aus den Fugen gerät? Was ist inzwischen passiert? „Uns war von Anfang klar, dass es bei einem Großprojekt wie diesem Überraschungen geben kann, die vorher nicht zu antizipieren sind“, entgegnete der Bauingenieur. Vor allem bei einem Teilprojekt sei es zu Komplikationen gekommen, die in dieser Form nicht vorhersehbar waren, erklärte Kutscher.

U-Bahn-Linie 6 nach Tegel: Auf „märkischem Karnickelsand“ gebaut

Es geht um den Damm, auf dem die U6 oberirdisch verläuft. Er ist rund 2300 Meter lang und zwischen sechs und sieben Meter hoch. Aufgeschüttet wurde er 1953, größtenteils mit Sand, den man beim Bau des Tunnelabschnitts der U6 in Wedding ausgebaggert hatte. „Allerdings wurde beim Dammbau damals unter anderen bautechnologischen Voraussetzungen gearbeitet, als es heute Standard ist“, so der Chef der U-Bahn-Bauabteilung. Beispielsweise dürfte ein solcher Damm heute nicht mehr so steil sein.

Schon seit längerem steht der oberirdische Teil unter Beobachtung. Die U-Bahn fährt auf „rolligem Boden“, auf „märkischem Karnickelsand“, der schon in den 1960er-Jahren immer wieder ins Rutschen kam, hieß es 2022 bei der BVG. Hinzu kommt, dass der Damm auch mit Schutt aus Kriegstrümmern aufgeschüttet wurde. „An manchen Stellen ist die Schotterdecke schon mehr als einen Meter dick“, hieß es.

Was ist auf dem oberirdischen Streckenabschnitt der U6 vorgesehen? „Unser Plan sieht vor, Teile der Dammschüttung auszutauschen und den Damm der U6 durch den Einbau eines Stahlkorsetts zu stabilisieren“, erklärte der Ingenieur. Den Dammfuß kann man nicht vergrößern, dafür fehlt der Platz. Um Stützmauern zu errichten, wären wiederum Baustraßen erforderlich, aber auch dafür sei der nötige Platz nicht vorhanden. Die Logistik war von Anfang an schwierig. Dann kamen neue Herausforderungen hinzu.

Als Erstes verwies Uwe Kutscher auf die Ersatzbaustoffverordnung des Bundes, die im vergangenen Sommer in Kraft trat. „Sie hat die Komplexität in ganz Deutschland für zahlreiche Erdbauprojekte deutlich erhöht – auch für unseres“, sagte er. „Die neue Verordnung sieht unter anderem vor, dass Erdbaumaterialien, die wiederverwendet werden sollen, von zertifizierten Laboren auf Schadstoffe hin untersucht werden müssen, bevor sie wieder eingebaut werden. Folge ist, dass bundesweit die Prüflabore überlastet sind, weil sich die Zahl der eingesandten Proben auf das 20- bis 30-Fache erhöht hat. Als Konsequenz verzögert sich auch unser Vorhaben.“

Auf der U6-Baustelle im Bezirk Reinickendorf. Uwe Kutscher, der die Bauabteilung der Berliner U-Bahn leitet, im U-Bahnhof Holzhauser Straße. Wo er steht, verlief einst das Gleis in Richtung Alt-Tegel.
Auf der U6-Baustelle im Bezirk Reinickendorf. Uwe Kutscher, der die Bauabteilung der Berliner U-Bahn leitet, im U-Bahnhof Holzhauser Straße. Wo er steht, verlief einst das Gleis in Richtung Alt-Tegel.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Thema Nummer zwei: Weil das Teilprojekt Dammbau immer komplexer wird, spricht die BVG mit der Baufirma Matthäi laufend über Anpassungen und Änderungen. „Das wirkt sich natürlich auch auf vertragliche Themen und die Kosten aus“, berichtete Kutscher. „Die Gespräche sind vertrauensvoll und gehen voran. Doch bevor wir wesentliche Themen abgearbeitet haben, können bestimmte Dammarbeiten erst einmal nicht in der gewünschten Geschwindigkeit fortgesetzt werden.“ Anders formuliert: Auf den meisten Abschnitten des U6-Damms geschieht seit längerem so gut wie nichts. 

Welche böse Überraschung die BVG an der Holzhauser Straße erlebte

Einflüsse von außerhalb haben zu der unguten Gemengelage beigetragen. Der Bau-Chef nannte ein Beispiel: die Sanierung des U-Bahnhofs Holzhauser Straße, der bei dieser Gelegenheit auch einen Aufzug bekommen soll. „Wir hatten die Vorbereitungen größtenteils abgeschlossen, bis sich nicht weit von dem Bahnhof entfernt eine Havarie im Stromnetz ereignete“, erklärte Kutscher. Betroffen war eine 100.000-Volt-Leitung, die unter der Holzhauser Straße verläuft. Eine böse Überraschung.

„Damit Stromnetz Berlin den Schaden beheben konnte, musste die Holzhauser Straße teilweise gesperrt werden. Damit war es nicht mehr möglich, dort auch eine unserer Baustellenflächen einzurichten. Dies hätte uns die Straßenverkehrsbehörde nicht genehmigt“, so der Ingenieur. „Wir konnten vieles vorbereiten, trotzdem war es uns erst mit rund einem Jahr Verzögerung möglich, die Arbeiten in vollem Umfang anzugehen.“ Inzwischen ist auch dieser Hochbahnhof eine Baustelle. Bahnsteigplatte und Gleise sind verschwunden, das Empfangsgebäude ist fast völlig entkernt. Das filigrane Betondach des Bahnsteigs hat Risse. Doch es kann saniert werden, sagen die Experten.

Der U-Bahnhof Borsigwerke liegt dagegen im Tunnel, er ist die letzte Station vor dem Endbahnhof Alt-Tegel. „Nachdem wir die Planung abgeschlossen hatten, ergaben Untersuchungen, dass auch die Bodenplatte des U-Bahnsteigs in absehbarer Zeit erneuert werden muss. Deshalb prüfen wir jetzt, ob wir dieses Thema in die nun anstehende Auftragsvergabe einbeziehen können. Denn der geplante Aufzugbau würde auf jeden Fall auch die Bahnsteigplatte betreffen.“ Zeitverzug: rund sechs Monate.

Es gibt auch gute Nachrichten vom BVG-Bauprojekt an der Linie U6

Es gebe aber auch Bereiche entlang des rund 4,5 Kilometer langen Nordabschnitts der U6, in denen die Arbeiten gut vorangehen, betonte der BVG-Planer. Kutscher nannte die Brücke, die 80 Meter weit die vierspurige Seidelstraße überspannt. Anfangs hatte die BVG hier eine Problemstelle verortet, aber die befürchteten Schwierigkeiten traten nicht ein.

Die alte Spannbetonbrücke aus den 1950er-Jahren war eine schlanke, optisch ansprechende Konstruktion. „Aber leider sind Bauwerke dieser Art nicht prüfbar, und wir konnten die statische Sicherheit nicht vollständig überprüfen. Nach einer so langen Standzeit mussten wir annehmen, dass sie nicht mehr gewährleistet ist“, erklärte der Ingenieur. „Aus Sicherheits- und Qualitätsaspekten haben wir uns letztlich entschieden, die Brücke abzureißen. Es ist damit begonnen worden, sie durch eine Stahlkonstruktion zu ersetzen. Das neue Bauwerk ist zu zwei Dritteln fertig, und wir gehen davon aus, dass die Arbeiten Ende 2024 abgeschlossen werden können. Wir sind im Zeitplan.“

Dieses Teilprojekt auf der U6 liegt im Zeitplan: Die Stahlbrücke, die seit den 1980er-Jahren die Autobahn A111 überspannt, wird erneuert. Jeweils einer von drei Fahrstreifen ist gesperrt.
Dieses Teilprojekt auf der U6 liegt im Zeitplan: Die Stahlbrücke, die seit den 1980er-Jahren die Autobahn A111 überspannt, wird erneuert. Jeweils einer von drei Fahrstreifen ist gesperrt.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Letzteres gilt auch für die Brücke, auf der die U6 die Autobahn A111 überquert. „Damit die Stahlkonstruktion aus den 1980er-Jahren von einer Arbeitsbühne aus saniert werden kann, musste sie über der Autobahn um rund zwei Meter angehoben werden“, erklärte Kutscher. „Aber auch bei diesem Teilprojekt sind wir im Zeitplan.“ Dort bekommen Autofahrer das BVG-Projekt zu spüren: Auf der A111 ist jeweils einer der drei Fahrstreifen gesperrt. Auch die Anschlussstelle Seidelstraße ist nicht nutzbar. Als die BVG die Baustellenfläche weiter ausdehnen wollte, erhob die Autobahn GmbH Einspruch.

Abseits der Baustelle sind ebenfalls Arbeiten vorgesehen. So werden die kleinen farbigen Fliesen, die den Bahnhöfen ihr eigenes Gepräge geben, nachgebrannt. Die Planer der ersten Berliner U-Bahn-Neubaustrecke seit 1930 legten Wert auf gute Gestaltung. Dezente Pastellfarben, elegante Konturen, Bahnhofsempfangshallen mit viel Licht, filigran wirkende Dächer: Als die Norderweiterung der damaligen U-Bahn-Linie C 1958, nur fünf Jahre nach dem Senatsbeschluss, komplett war, muss sie unglaublich modern gewirkt haben. Inzwischen steht sie unter Denkmalschutz.

Kosten sind gestiegen: Anfangs 90 Millionen Euro – heute 120 Millionen Euro

Bei der BVG weiß man: Die Nachricht, dass die U6 zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel im Frühjahr 2025 noch nicht fertig wird, dürfte viele Fahrgäste ärgern. Es bleibt länger als angekündigt unbequem und langwierig, in den Nordwesten Berlins zu gelangen.  Die S-Bahn Richtung Hennigsdorf ist eine Alternative, aber die S25 fährt nur alle 20 Minuten. 2026 steht das nächste große Bauprojekt an: Dann soll die Sanierung der A111 starten, was Autofahrern graue Haare bescheren wird. Erwartete Dauer: sieben Jahre.

Vor Beginn der Arbeiten an der U6 hieß es, dass das Projekt 90 Millionen Euro kosten würde. Dann wurde es mit 90 bis 100 Millionen Euro beziffert. Heute ist bei der BVG von 120 Millionen Euro die Rede. Das Unternehmen erwartet nicht, dass dieser Betrag noch wesentlich steigen wird. „Ungefähr in diesem Rahmen werden wir bleiben“, so Kutscher. Was sagt er den BVG-Kunden? „Es ist ein sehr komplexes Vorhaben mit vielen unterschiedlichen Themen. Wir haben so gut vorgeplant, wie es möglich war. Doch es ist nun einmal so, dass sich nicht alles en détail abschätzen und vorbereiten lässt.“

Fast völlig entkernt: Der U-Bahnhof Holzhauser Straße an der U6 wird erneuert. Die Hochbahnstation erhält auch einen Aufzug. Der Beginn der Arbeiten hat sich um rund ein Jahr verzögert, wegen einer Havarie im Stromnetz.
Fast völlig entkernt: Der U-Bahnhof Holzhauser Straße an der U6 wird erneuert. Die Hochbahnstation erhält auch einen Aufzug. Der Beginn der Arbeiten hat sich um rund ein Jahr verzögert, wegen einer Havarie im Stromnetz.Peter Neumann/Berliner Zeitung

„Für unsere Fahrgäste ist es nicht schön, dass der Schienenersatzverkehr nach Alt-Tegel aller Voraussicht nach verlängert werden muss“, sagte der Bau-Chef der Berliner U-Bahn. „Aber wir hoffen, dass unsere Fahrgäste verstehen werden, dass es sich um ein sehr komplexes Vorhaben handelt und dass sich die Geduld für die Zukunft auszahlt.“

Sag es mit Goethe: „Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel“

Dass sich das Sanierungsprojekt als sehr komplex erweist, ist für den Fahrgastverband IGEB keine Überraschung. „Beim Dammbau an der U6 in den 1950er-Jahren wurde Trümmerschutt verwendet“, bestätigte der Verbandssprecher Jens Wieseke am Sonntag.

„Schon in den vergangenen Jahren gab es deshalb immer wieder Probleme, und der Damm musste mehrmals verdichtet werden.“ Es seien „Gespenster der Vergangenheit“, mit denen die BVG, das Bauunternehmen und die anderen Beteiligten es jetzt zu tun hätten. Doch auch die Fahrgäste hätten ein Problem, denn sie müssten noch länger Bus statt Bahn fahren. Die U6-Misere treffe aber auch die Planer der Projektgesellschaft Deges, die 2026 eigentlich mit der Sanierung der Autobahn A111 beginnen wollen.

Sag es mit Goethe, meinte Jens Wieseke und zitierte aus Faust II: „Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel. Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel.“