Mitte der Achtzigerjahre betrieb Interflug eine technisch veraltete Flotte: Tu-134 für Kurz- und Mittelstrecken, viermotorige Il-18 für Mittel- und Langstrecken und das Jet-Flaggschiff Il-62. Doch auch dieser Vierstrahler schaffte den Flug nach Havanna (Großkreis-Entfernung 8403 km) nicht ohne einstündigen Tankstopp in Kanada. Dort, in Gander, Neufundland, blieben vor dem Weiterflug nach Kuba immer wieder DDR-Bürger auf der Strecke. 1984 waren es allein hier zum Beispiel acht DDR-Flüchtlinge. Die Standardrumpf-Il-62 war aber auch zu klein: Nur 158 bis 186 Passagiere passten an Bord, zu wenige für den wachsenden Luftverkehr. Dafür saßen vier bis fünf Mann im Cockpit: 1. Pilot, 2. Pilot, Flugingenieur, Flugnavigator und teilweise noch ein Funker. Doch die Sowjetunion hatte damals keine passenden Flugzeuge im Angebot, auch wenn Interflug-Werbeplakate zum "Kurs 2000" bereits stolz die Tu-204 und Il-96-300 in Interflug-Farben zeigten. Ein Wessie sollte schließlich das Rennen machen, der Airbus A310 aus Toulouse.
Technik aus dem Westen
Angeblich ließ die DDR ihren Wunsch nach Westflugzeugen erstmals über den Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags in die bayerische Staatskanzlei tragen, bis der damalige bayerische Ministerpräsident und Airbus-Aufsichtsratschef Franz Josef Strauß den Interflug-Generaldirektor – und aktiven DDR-Luftwaffengeneral – Klaus Henkes im Juli 1988 zur Vertragsunterzeichnung per Corvette-Privatjet nach Toulouse einfliegen ließ. Der Kauf von Westflugzeugen durch östliche Airlines war damals neu. Für Airbus lockte ein riesiger Markt im Osten, die Ost-Airlines, wie LOT, bald auch CSA, Tarom und Aeroflot, wollten endlich zeitgemäßes, wirtschaftlicheres Gerät beschaffen, mit gegenüber den Sowjet-Mustern halbierten Kosten pro Sitzmeile, und dies unter Einhaltung der neuen, westlichen Lärmgrenzen.
Doch im Kalten Krieg durfte westliche Hochtechnologie mit militärischen Anwendungsfeldern aus Sorge vor Spionage und Nachbau nicht einfach exportiert werden. Erst musste Airbus eine Freigabe nach der sogenannten COCOM-Liste für gesperrte Hochtechnologie einholen, darunter für die GE-CF6-80C2A2-Triebwerke und die moderne US-Avionik. Die gesamte A310-Wartung wurde deshalb an Lufthansa Technik in den Westen ausgelagert. Im täglichen Einsatz blieben die wichtigsten Elektronikboxen bei Interflug verplombt.
Gewünscht war maximale Reichweite
Schließlich wollte die DDR eine A310-Variante mit maximaler Reichweite: Dafür erhielt die Interflug-Version A310-304ET (Extra Tank) einen Container-Zusatztank mit 7200 Litern Fassungsvermögen im Frachtraum. Der Kerosin-Gesamtvorrat stieg damit auf 68 270 Liter. Genug für bis zu zwölf Stunden Flugzeit und Havannanonstop mit 218 Passagieren, aber ohne Fracht. Interflug landete am 21. November 1989 nach einem 13,25 Stunden dauernden A310-Sonderflug von Kumamoto in Japan nach Schönefeld sogar im Guinness-Buch der Rekorde. In der Kabine mit Ton- und Video-Projektionsanlage wurden 198 Sitze der Economy Class (Sitzabstand 34 Zoll) und im Bugabteil 20 Sitze der First Class (Sitzabstand 38 Zoll) installiert, was Ambitionen belegt, dass die A310 auch westliche Fluggäste als Devisenbringer gewinnen sollte.
Als Kaufpreis für die drei A310-304 wurden 220 Millionen DM genannt. Dafür erhielt die DDR einen westdeutschen Kredit, für den direkt der Bund bürgte, sodass letztlich die Bundesrepublik die Flugzeuge für die DDR erwarb. Die Triebwerke wurden separat geleast. Zwischen Juni und Oktober 1989 wurden die drei Jets aus Toulouse nach Schönefeld gebracht; mit einem Umweg über die Tschechoslowakei, denn die innerdeutsche Grenze durfte nicht direkt überflogen werden.
Andere Ausbildung und ungewohnte Abläufe
Die handverlesenen Interflug-Piloten für die A310 wurden bei Airbus in Toulouse, Lufthansa in Frankfurt und in Schönefeld geschult, wo Interflug ein neues Ausbildungszentrum aufbaute. Sie mussten sich von sowjetischen Standards auf ein westliches Zweimann-Cockpit und eine völlig andere Bedienungsphilosophie umstellen und technisch mehrere Flugzeuggenerationen überspringen. Dies zeigte sich auch bei einem schweren Zwischenfall im Anflug auf Moskau-Scheremetjewo am 11. Februar 1991, als die D-AOAC mit 109 Insassen durchstartete, die Piloten aber den Autopiloten unbemerkt eingeschaltet ließen. In einer Art Kampf der manuell gegensteuernden Piloten mit dem Autopiloten vertrimmte letzterer das Flugzeug immer mehr hecklastig, bis die A310 mehrere spektakulär steile Steigflüge mit Abkippen vollführte. Erst nach mehreren Minuten gelang durch Gegentrimmen und Schubwegnehmen die Stabilisierung des Jets, der strukturell nicht beschädigt wurde. Die Piloten hatten in ihrer Verzweiflung zuletzt sogar die elektrischen Sicherungen gezogen, um jede Automatik lahmzulegen, was aber bei der Rettung des Flugzeugs nicht half.
Von Interflug zur Luftwaffe
Interflug setzte ihre drei A310 neben der Havanna-Route unter anderem auch für Flüge nach Peking und Singapur ein. Nach der Deutschen Einheit und mit dem Ende der Interflug übernahm der Bund im Mai 1991 "seine" drei noch jungen Flugzeuge direkt und übergab sie an die Luftwaffe. Hier bewährten sie sich bis 2021 als VIP-Regierungsflugzeuge und Transporter.
Die drei Interflug-Airbus A310-304
1. Werknummer MSN 498, F-WWCU, DDR-ABA, ab 03.10.1990: D-AOAA, 10+21 "Konrad Adenauer", seit März 2015 bei Novespace als F-WNOV (Parabelflugzeug für Schwerelosigkeitsversuche).
2. Werknummer MSN 499, F-WWCT, DDR-ABB, ab 03.10.1990: D-AOAB, 10+22 "Theodor Heuss", 2011 über Armenien an Mahan Air in den Iran verkauft, EP-VIP, EP-MMX und Tehran Air EP-THR.
3. Werknummer MSN 503, F-WWCL, DDR-ABC, ab 03.10.1990: D-AOAC, 10+23 "Kurt Schumacher", ausgemustert im September 2021, Demontage in Hannover, geplante Aufstellung im Serengeti-Park Hodenhagen.
Airbus A310-304ET
Langstrecken-Passagierflugzeug für 218 Passagiere
Cockpitbesatzung: 2
Triebwerke: 2 x GE CF6-80C2A2
Länge: 46,66 m
Höhe: 15,80 m
Spannweite: 43,90 m
Rumpfdurchmesser: 5,64 m
max. Startmasse: 157 Tonnen
max. Landemasse: 124 Tonnen
Leermasse: 80 Tonnen
Reichweite mit 218 Passagieren und Gepäck mit Reserven: 9220 Kilometer
Reisegeschwindigkeit: Mach 0.79
Dienstgipfelhöhe: 11 890 Meter