Länder rufen nach Schwarz-Rot: Die große Koalition hat plötzlich einen neuen Reiz

Länder rufen nach Schwarz-Rot: Die große Koalition hat plötzlich einen neuen Reiz

In der Union werden die Rufe nach einem Regieren mit der SPD lauter. Doch wie realistisch ist eine weitere Groko? Und wer könnten prägende Köpfe sein?

länder rufen nach schwarz-rot: die große koalition hat plötzlich einen neuen reiz

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, l.) und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag

„Ein christlich-soziales Bündnis von CDU/CSU und SPD wäre ein echtes Aufbruchssignal“, sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) jüngst der „Welt“. Kurz zuvor hatte der CSU-Vorsitzende Markus Söder für eine Neuauflage der großen Koalition plädiert, gegen eine Regierung mit den Grünen gewettert. „Wenn man sich die zentralen Felder der Politik anschaut, von der Wirtschafts- über die Außen- bis zur Migrationspolitik, dann weiß man: Mit den Grünen ist kein Staat zu machen und mit Olaf Scholz auch nicht mehr“, sagte der bayerische Ministerpräsident der „Welt am Sonntag“.

Groß also ist die Sehnsucht in der Union nach dem Regieren mit den Sozialdemokraten. Zwölf Jahre hatten CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Land geführt, zuvor bereits unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) von 1966 bis 1969.

Mit den Grünen ist kein Staat zu machen und mit Olaf Scholz auch nicht mehr.

Markus Söder, CSU-Chef

Die Rufe nach einem Bündnis mit den Sozialdemokraten kommen bezeichnenderweise nicht von Bundespolitikern der Union, sondern aus den Ländern. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz lässt solche Vorlieben nicht erkennen und verhält sich, wie es für einen möglichen Kanzlerkandidaten sinnvoll erscheint: Er verbaut sich keine Machtoption (außer einem Bündnis mit der AfD, versteht sich).

Die Rufe nach Schwarz-Rot zeigen, dass in den Unionsparteien eine neuerliche schwarz-gelbe Koalition als aussichtslos gilt. Jenes „Traumbündnis“ hatte, ebenfalls unter Merkel, von 2009 bis 2013 mehr schlecht als recht regiert. Nun steht schon die Mathematik dagegen: Die Union liegt in der jüngsten Umfrage bei 30 Prozent, wie die Forschungsgruppe Wahlen für Tagesspiegel und ZDF ermittelt hat.

Schwarz-Gelb ist ausgeträumt

Die FDP wäre mit 4 Prozent hingegen nicht mal mehr im Bundestag vertreten. Selbst bei einem Wert von 5 oder 6 Prozent für die Liberalen wären diese und die Union von der nötigen Kanzlermehrheit (die Hälfte der Mandate plus eins) weit entfernt. Plädoyers wie das von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai für eine „bürgerliche“ Koalition aus Union und FDP sind bei CDU/CSU nicht (mehr) zu vernehmen.

Der Reiz, der Charme des Rufes nach einer Koalition aus Union und SPD besteht also darin, dass diese Parteien eine realistische Chance auf eine Mehrheit im Bundestag haben und das gemeinsame Regieren gewohnt sind. Die SPD kommt derzeit auf 15 Prozent, wie die Forschungsgruppe Wahlen jüngst ermittelte. Das miserable Ansehen der Ampel-Koalition und von Kanzler Scholz verhageln der SPD also nicht automatisch eine Machtoption.

Dass Union (30 Prozent) und SPD (15 Prozent) auf Basis aktueller Umfragen eine absolute Mehrheit der Mandate im Bundestag besäßen, liegt an der geringen Zustimmung für FDP, Linke und sonstige Parteien, die alle an der Sperrklausel scheitern würden. Das spült den ins Parlament einziehenden Parteien Sitze zu.

Zwei neue schwarz-rot regierte Länder

Ein weiterer Trend für ein Regieren von Union und SPD zeigt sich in den Ländern. Im vergangenen Jahr wurden in Berlin und Hessen CDU-SPD-Koalitionen gebildet. Dabei werden nur diese zwei der 16 Bundesländer schwarz-rot regiert. Schwarz-Grün gibt es hingegen in NRW, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Fast jeder zweite Deutsche wird im Land von Schwarz-Grün regiert.

Auf Basis der aktuellen Umfragen hätte auch Schwarz-Grün eine Mehrheit im Bundestag. Aber ob die CSU solch ein Bündnis mittrüge? Bei allen Klagen über das komplizierte Regieren in der Dreier-Konstellation namens Ampel wird zuweilen vergessen, dass auch große Koalition und Schwarz-Grün im Bund aus drei Parteien bestünden: aus der CDU, der CSU mit ihrem spezifischen Eigensinn und der SPD.

Nur die wenigsten Deutschen würden heute wohl bei einer Wette viel Geld auf die SPD als stärkste Partei nach der nächsten Bundestagswahl setzen. Ausgeschlossen aber ist ein solches Szenario nicht, man denke an die Bundestagswahl 2021. (Vor vier Jahren, im April 2020, lag die SPD in der ZDF-Umfrage bei 16 Prozent. Bei der Wahl 2021 erzielte sie 25,7 Prozent.) Die Wähler sind volatil, die von Demoskopen befragten Bürger erst recht.

Söder setzt auf Pistorius

Wenn Boris Rhein und Markus Söder nun für eine große Koalition werben, dann stets unter der Voraussetzung, dass die Union sie anführt. Söder spekuliert für diesen Fall schon über eine „SPD ohne Scholz“ und mit dem amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) als neuem starken Mann der Sozialdemokraten, mithin als „Juniorpartner“ der Union.

Diese Spekulation setzt voraus, dass die Union besser als die SPD abschneiden würde. Doch die Umfragewerte der CDU/CSU sind trotz der miesen Ampel-Performance derzeit bescheiden, liegen unter allen von Angela Merkel (CDU) eingefahrenen Wahlergebnissen. Der Wahlforscher Matthias Jung sagt: „Die Union hat ein Kurs-Problem und ein Merz-Problem.“

Sollten ihre Wahlaussichten mit einem CDU-Kanzlerkandidaten Hendrik Wüst besser aussehen? Eine jüngste Landtagswahl-Umfrage sieht die CDU im von Ministerpräsident Wüst regierten NRW bei beachtlichen 38 Prozent. NRW galt mal als SPD-Stammland. In der Union deutet gerade viel auf einen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, entschieden ist die Sache nicht.

Möglicher Rückzug von Olaf Scholz

Im Falle einer SPD-Wahlniederlage und in einer großen Koalition unter Unions-Führung dürfte sich Olaf Scholz aus der Politik zurückziehen. Ein ehemaliger Kanzler als Minister? Das wäre extrem unkonventionell. Pistorius, mit Abstand Deutschlands beliebtester Politiker, dürfte dann eine wichtige Rolle in der SPD spielen, wenngleich er bisher weder Parteiamt noch Bundestagsmandat innehat. Das kann sich rasch ändern.

Als Vizekanzler also käme Pistorius (Jahrgang 1960) in einem solchen Szenario in Betracht. Der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil (Jahrgang 1980) und Arbeitsminister Hubertus Heil (Jahrgang 1972) wären mögliche weitere Anwärter, vielleicht Innenministerin Nancy Faeser (Jahrgang 1970). Eine wichtigere Rolle käme wohl auch Generalsekretär Kevin Kühnert (Jahrgang 1989) zu. Und was würde aus Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (Jahrgang 1970)?

Neu sortieren würde sich im Falle einer neuerlichen Wahlniederlage auch die CDU/CSU. Sollte Scholz über 2025 hinaus Kanzler bleiben, wäre das wohl das endgültige Aus für (den erfolglosen Kanzlerkandidaten) Merz. Er wird Ende 2025 seinen 70. Geburtstag feiern. Unter anderem mit Wüst (Jahrgang 1975), Fraktionsvize Jens Spahn (Jahrgang 1980), Generalsekretär Carsten Linnemann (Jahrgang 1977), Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (Jahrgang 1973) und der Verteidigungspolitikerin Serap Güler (Jahrgang 1980) steht eine Führungsreserve bereit.

Zunächst einmal aber muss die Union ihre K-Frage klären. Die Europawahl in fünf Wochen ist faktisch eine kleine Bundestagswahl, eine Bewährungsprobe für Merz. Unter der Last des Regierens war die CDU/CSU 2019 auf 28,9 Prozent gekommen, die SPD auf 15,8 Prozent. Und diesmal? Und was wird Markus Söder am Abend des 9. Juni sagen?

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