Kurt Georg Kiesinger: Der umstrittene Kanzler der ersten Großen Koalition
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Kurt Georg Kiesinger: Der in Vergessenheit geratene Nachfolger von Ludwig Erhard

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Der damalige Kanzler Kurt Georg Kiesinger.
Nach Ludwig Erhards Rücktritt wird Kiesinger 1966 zum Bundeskanzler gewählt und bleibt nur knapp drei Jahre im Amt. © picture alliance / Alfred Hennig/dpa

Kurt Georg Kiesinger: Der Bundeskanzler mit der kürzesten Amtszeit führt Deutschland durch die Wirtschaftskrise und polarisiert mit seiner Vergangenheit.

  • Kurt Georg Kiesinger wird 1904 in Ebingen geboren. Schon früh tritt er in Studentenverbindungen ein und kommt so erstmals mit nationalsozialistischem Gedankengut in Kontakt.
  • Während der Zeit des NS-Regimes ist Kiesinger NSDAP-Mitglied, später wird er im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft und beginnt ab 1949 seine politische Karriere in Nachkriegsdeutschland.
  • Nach Ludwig Erhards Rücktritt wird Kiesinger 1966 zum Bundeskanzler gewählt. Nur knapp drei Jahre bleibt er im Amt, dann muss er seinen Posten an Willy Brandt abgeben.

Kurt Georg Kiesinger kommt 1904 in Ebingen auf die Welt. Seine liberal demokratische Familie ermöglicht ihm eine gute Ausbildung, während des Studiums in Berlin tritt Kiesinger der katholischen Studentenverbindung Askania bei. Dort kommt er mit frühen Unterstützern des Nationalsozialismus in Kontakt, nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler 1933 tritt Kiesinger dann auch in die NSDAP ein.

Zwar wird er nach Kriegsende als Mitläufer eingestuft, die Diskussion um Kiesingers NS-Vergangenheit bleibt jedoch ein kontroverses Thema seiner Karriere. Ab 1949 ist er politisch aktiv, 1958 wird er zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gewählt. Als 1966 die Regierung unter Ludwig Erhard zerbricht, wird Kiesinger dann zum Bundeskanzler gewählt. Da die Verhandlungen mit der FDP scheitern, leitet Kiesinger die erste Große Koalition mit der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik. Bei der Bundestagswahl 1969 muss sich Kiesinger schließlich Willy Brandt geschlagen geben.

Kurt Georg Kiesinger: Kindheit und politische Anfänge

Kurt Georg Kiesinger wird am 6. April 1904 im württembergischen Ebingen geboren. Sein evangelischer Vater ist kaufmännischer Angestellter, seine katholische Mutter verstirbt kurz nach Kiesingers Geburt. Als er ein Jahr alt ist, heiratet Kiesingers Vater erneut und bekommt sieben weitere Kinder. Auch seine Stiefmutter ist katholisch, der spätere Bundeskanzler wird daher von beiden christlichen Konfessionen nachhaltig in seiner Erziehung geprägt. Kiesinger bezeichnet sich Zeit seines Lebens häufig als evangelischen Katholiken. Seine Großmutter mütterlicherseits nimmt sich dem jungen Kurt Georg an, sie ist maßgeblich an seiner Förderung beteiligt. Die Familie Kiesinger ist liberal demokratisch eingestellt.

Nach seinem Schulabschluss 1919 beginnt Kurt Georg Kiesinger eine Ausbildung zum Lehrer. In dieser Zeit verfasst er auch vermehrt politische Gedichte, die sich mit der Situation der Weimarer Republik auseinandersetzen und bereits eine nationalistische Gesinnung erkennen lassen. Als er 1925 erstmals wählen darf, schenkt Kiesinger seine Stimme dem rechten Republikfeind Paul von Hindenburg.

1926 holt Kurt Georg Kiesinger das Abitur nach und beginnt ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin. Dort tritt er der katholischen Studentenverbindung Askania bei, durch die er Kontakt zu Zentrumspolitikern wie Konrad Adenauer, aber auch zu frühen Unterstützern des Nationalsozialismus erhält. Nach seinem Abschluss 1931 arbeitet Kiesinger als Referendar und Repetitor.

Kurt Georg Kiesinger unter dem NS-Regime

Als Adolf Hitler 1933 zum Reichskanzler gewählt wird, tritt Kurt Georg Kiesinger in die NSDAP ein. Laut einigen Biografen ist der spätere Bundeskanzler begeistert von der Ideologie der Nationalsozialisten, Kiesinger selbst gibt unterschiedliche Gründe für seine Mitgliedschaft in der Partei an: In seiner Autobiografie behauptet er beispielsweise, dass er die NSDAP von innen heraus verändern wollte. Außerdem habe er vorgehabt, die antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten zu bekämpfen.

Ab 1933 ist Kurt Georg Kiesinger Korporationsführer der Askania und treibt in seinem Posten die Gleichschaltung der Studentenverbindung entscheidend voran. Artikel, die er in dieser Funktion schreibt, verheimlicht Kiesinger später.

Nach dem Röhm-Putsch 1934, so Kiesinger später, habe er die Gefahr erkannt, die von den Nationalsozialisten ausgeht, weshalb er einen angebotenen Richterposten ablehnt. Stattdessen beginnt er als Rechtsanwalt zu arbeiten und vertritt unter anderem in zwei Fällen Gestapo-Verfolgte.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entgeht Kurt Georg Kiesinger dem Dienst in der Wehrmacht, indem er eine Stellung am Auswärtigen Amt annimmt. Zuletzt bekleidet er dort sogar die Position des stellvertretenden Leiters der Rundfunkpolitischen Abteilung und überwacht die ausländische Nachrichtenübermittlung.

Kurt Georg Kiesingers Rolle während des NS-Regimes bleibt während seiner politischen Karriere ein stark diskutiertes Thema. Er selbst beteuert stets, dass er weder aus Überzeugung noch aus Opportunismus für die Nationalsozialisten tätig war. Stattdessen habe er die Gefahren, die ein Regime unter Hitler birgt, schlichtweg nicht als solche erkannt.

Kurt Georg Kiesinger: Entnazifizierung und Aufstieg zum Bundeskanzler

Nach Kriegsende im April 1945 wird Kurt Georg Kiesinger von den US-amerikanischen Besatzungsmächten, da er durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP automatisch verdächtig war. Im September 1946 wird er freigelassen und kann zu seiner Frau und den gemeinsamen Kindern ins mittelfränkische Scheinfeld ziehen. Kiesinger unterzieht sich dem deutschen Entnazifizierungsverfahren, in dessen Folge er als Mitläufer eingestuft und 1948 endgültig entlastet wird.

Bereits ab 1949 ist Kiesinger Mitglied des deutschen Bundestages. Über die Jahre nimmt er verschiedene Positionen ein, bevor er 1958 zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gewählt wird. Dieses Amt hat er bis zu seiner Wahl zum Bundeskanzler 1966 inne. Vom 1. November 1962 bis zum 31. Oktober 1963 bekleidet er außerdem den Posten des Bundesratspräsidenten.

Als 1966 die Regierung unter Ludwig Erhard zerbricht, sucht die CDU nach einem neuen Kanzlerkandidaten, um die Partei aus der Krise zu führen. Kurt Georg Kiesinger setzt sich schließlich durch und tritt als Kanzlerkandidat in die Koalitionsverhandlungen ein. Als klar wird, dass mit der FDP keine Regierungsbildung möglich ist, beginnt er die Verhandlungen mit der SPD. Im November 1966 tritt Erhard von seinem Amt zurück und Kiesinger wird der erste Bundeskanzler einer Großen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland. Auch in der Reihe der CDU-Parteivorsitzenden folgte er Ludwig Erhard nach.

Besonderheiten in Kurt Georg Kiesingers Amtszeit

Die Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger nimmt sich ab 1966 insbesondere der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesrepublik Deutschland an. Es gilt, die herrschende Wirtschaftskrise zu überwinden und die wachsenden Arbeitslosenzahlen zu bekämpfen.

Besonders umstritten sind während Kiesingers Amtszeit die Notstandsgesetze, die die Handlungsfähigkeit des deutschen Staates während Krisensituationen sichern sollen. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) kritisiert die 1968 in Kraft tretenden Grundgesetzänderungen stark, da sie befürchtet, dass der Staat so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erneut zu viel Einfluss bekommt. Die studentische Proteste weiten sich zur sogenannten 68er-Bewegung aus.

Im Zuge der 68er-Bewegung wird auch Kiesingers NS-Vergangenheit erneut zum Thema. Am 7. November 1968 kommt es dann auf dem CDU-Parteitag zum Eklat: Beate Klarsfeld, eine deutsch-französische Journalistin, ohrfeigt Kiesinger in aller Öffentlichkeit, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Mitwirkung des Bundeskanzlers am nationalsozialistischen Regime nicht ausreichend besprochen wird.

Während Kiesingers Amtszeit können jedoch auch die Kontakte in den Osten verbessert werden. Zwischen 1967 und 1968 werden diplomatische Beziehungen zu Rumänien, der CSSR und Jugoslawien aufgenommen.

Bei der Bundestagswahl 1969 müssen Kurt Georg Kiesinger und die CDU eine Niederlage akzeptieren: Neuer Bundeskanzler wird der SPD-Vorsitzende Willy Brandt.

Kurt Georg Kiesinger: Sein Verhältnis zur Partei

Kurt Georg Kiesinger war nur knapp drei Jahre im Amt - kürzer als alle anderen Bundeskanzler. Als Politiker galt Kiesinger häufig als nicht durchsetzungsfähig, man bezeichnete ihn scherzhaft auch als „wandelnden Vermittlungsausschuss“. Kiesinger hatte den Ruf eines Diplomaten, der versuchte, den Status Quo zu halten und Konflikte zu vermeiden.

Heute wird dieses Bild teilweise revidiert. Einige Historiker sehen in Kiesinger nun eher einen unterschätzten Amtsträger, der mit Bedacht und auf lange Sicht handelte. Von besonderer Bedeutung ist heute auch Kiesingers Leitung der ersten Großen Koalition in Deutschland.

Problematisch für die CDU bleibt jedoch weiterhin Kiesingers Rolle in der Zeit des NS-Regimes. Während sein Vorgänger Ludwig Erhard als Wirtschaftsexperte für die Nationalsozialisten arbeitete, war Kiesinger selbst NSDAP-Parteimitglied und übernahm bedeutende Funktionen in der Rundfunkpolitischen Abteilung. Erhard und Kiesinger stehen oft im Zentrum der Diskussion um die mangelnde Vergangenheitsbewältigung bei den Christdemokraten.

Kurt Georg Kiesinger: Seine Familie und sein Privatleben

Kurt Georg Kiesinger heiratet am Weihnachtsabend 1932 Marie-Luise Schneider, die Tochter eines Berliner Anwalts. Die beiden hatten sich 1927 bei einer Veranstaltung von Kiesingers Studentenverbindung Askania kennen gelernt. 1940 werden sie Eltern einer Tochter namens Viola. 1942 folgt der gemeinsame Sohn Peter.

Erst nach 1980 zieht sich Kiesinger endgültig aus der Politik zurück. Er plant, seine Autobiografie herauszubringen, kann jedoch nur noch die Jahre bis 1958 auf Papier bringen, weshalb es keine Aufzeichnungen über seine Zeit als Ministerpräsident und Bundeskanzler gibt.

Am 9. März 1988 stirbt Kurt Georg Kiesinger im Alter von 83 Jahren. Nach seinem Tod wird er mit einem Staatsakt auf dem Stuttgarter Schlossplatz geehrt. Beigesetzt wird Kiesinger in Tübingen.

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