Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer,

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Verehrte Damen und Herren Abgeordnete!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soldatinnen und Soldaten!

Verehrter Herr Präsident, vielen Dank für die Worte, die Sie auch im Namen des gesamten Hauses an die Bundeswehr als Ganzes und an die Soldatinnen und Soldaten, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz waren, gerichtet haben. Ich weiß, dass diese Worte, dass diese Wertschätzung wahrgenommen werden und auch sehr begrüßt werden.

Heute vor genau zwölf Jahren, am 23. Juni 2009, starben Hauptgefreiter Alexander Schleiernick, Hauptgefreiter Oleg Meiling und Hauptgefreiter Martin Brunn in Afghanistan, als sie mit ihrem Fahrzeug in der Nähe von Kunduz in ein Feuergefecht gerieten. Sie sind drei von 59 Soldaten, die während des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren ihr Leben verloren haben. Wir tun gut daran, die heutige Aktuelle Stunde in ihrem Namen zu führen.

Ich begrüße es sehr und bedanke mich, dass wir im Deutschen Bundestag noch in der letzten Sitzungswoche der Legislaturperiode Zeit freimachen für das Thema Afghanistan. Denn wir dürfen nie vergessen: Es ist der Deutsche Bundestag, der die Bundeswehr zu Recht als seine Parlamentsarmee betrachtet, und es ist dieses Parlament, das auch diesen drei Soldaten den Auftrag erteilt hat, in Afghanistan in einen wichtigen und gefährlichen Einsatz zu gehen.

Dieser Einsatz geht jetzt zu Ende. Und ja, es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Es ist an der Zeit, zu gedenken, ein bleibendes Andenken zu bewahren. Es ist an der Zeit, die richtigen Schlüsse aus 20 Jahren zu ziehen. Es ist vor allen Dingen aber jetzt noch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Männer und Frauen heil und gesund aus Afghanistan zurückkommen.

Und das tun wir. Das tun wir gemeinsam mit unseren Verbündeten, zurzeit noch insbesondere mit unseren Verbündeten aus den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Wir haben gerade gestern das Kontingent aus der Mongolei verabschiedet, das über so viele Jahre für die Sicherung in Masar-i-Scharif mit gesorgt hat. Wir sind – das ist, glaube ich, eine gute und wichtige Nachricht auch hier an dieses Haus – auf einem guten Weg. Das Redeployment findet geordnet statt. Die Sicherung ist auch in der Endphase sichergestellt, und ihr wird höchste Aufmerksamkeit gewidmet.

Ich weiß, dass zurzeit über die Frage diskutiert wird: Wie gefährlich ist die Situation in Afghanistan? Ja, es ist unbestreitbar so: Wir sehen Geländegewinne der Taliban; wir sehen, wie die afghanische Armee unter Druck gerät. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass im Moment nach wie vor die internationalen Truppen weniger im Fokus der Taliban stehen. Und eines wissen wir: Die Taliban der heutigen Tage sind auch Experten, wenn es um Propaganda geht. Deswegen rate ich in der Diskussion dazu, die Bilder genau zu hinterfragen. Nicht jedes Bild und nicht jede Meldung, die im Moment in den sozialen Medien veröffentlicht wird, drückt auch wirklich die aktuelle Realität in Afghanistan aus.

Es geht aber auch um die Ortskräfte. Ich bin sehr dankbar, dass es gelungen ist, eine Lösung zu finden, sodass wir sagen können: All diejenigen, die seit 2013 für die Bundeswehr oder die Bundespolizei gearbeitet haben, haben die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen. Wir werden – das ist jetzt unsere größte Aufgabe – dafür sorgen, dass wir das logistisch bewerkstelligen können. Wir stellen fest: Nicht jede Ortskraft will Afghanistan sofort verlassen. Nicht jede kann es sofort verlassen; denn es geht auch um die Familien. Und manche wollen das Visum als eine Art Versicherung haben.

Wir versuchen, eine wirklich gute Lösung für alle zu finden – eine Lösung, die auf der einen Seite die Sicherheit unserer eigenen Soldaten nicht gefährdet, auf der anderen Seite diese Menschen sicher nach Deutschland bringt und auf der dritten Seite Bilder von groß angelegten Evakuierungsmaßnahmen vermeidet. Das ist das Dreieck, in dem wir uns bewegen. Ich bin hier sehr dankbar für die Unterstützung auch aus den anderen Ressorts.

Wir reden darüber, wie nachhaltig der Erfolg war, für den die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan gekämpft haben. Sicherlich müssen wir kritisch hinterfragen, ob das, was wir uns an politischen Zielen gesetzt haben – Stichwort „Nation Building“ –, wirklich nachhaltig erhalten werden kann. Sicher ist aber auch: Diese letzten 20 Jahre haben auch dank des Einsatzes der Soldaten der Bundeswehr Raum geschaffen für Veränderungen. Dass in den letzten 20 Jahren überhaupt Mädchen und Frauen in Afghanistan in die Schule gehen konnten, zur Universität gehen konnten, Richterinnen, Journalistinnen werden konnten, das ist auch ein Verdienst und ein Ergebnis dieses Einsatzes. Ob das auf Dauer zu halten ist, das entscheiden die nächsten Monate, das entscheidet die militärische Lage in Afghanistan selbst. Das entscheidet sich vor allen Dingen aber auch am Verhandlungstisch.

Eines können wir heute mit Blick auf die Bundeswehr allerdings sagen: Die Bundeswehr, die Männer und Frauen, die im Einsatz waren, haben sich als Ganzes, aber auch in ihren Persönlichkeiten durch diesen Einsatz verändert. Der Generalinspekteur war vor wenigen Tagen in Masar-i-Scharif. Er hat mit Bundeswehrsoldaten gesprochen, die in den letzten 20 Jahren 14-mal in Afghanistan im Einsatz waren. Es glaubt doch niemand, dass jemand, der das erlebt hat, nicht verändert daraus zurückkommt. Wir haben als Bundeswehr vieles gelernt, auch harte Lektionen. Wir haben im Inneren unseren Umgang mit Traumatisierungen, mit Veteranen verändert aufgestellt.

Aber wir und vor allen Dingen die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten können heute mit Fug und Recht sagen, dass sie stolz sein können auf diesen Auftrag. Denn den Auftrag, den ihnen dieses Parlament mitgegeben hat – dass sie durch die Unterstützung, durch die Ausbildung der afghanischen Armee Raum geschaffen haben für Entwicklungen, für politische Möglichkeiten –, haben die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten erfüllt, und darauf können sie zu Recht stolz sein. Ich glaube, auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.

Vor Kurzem hat mir eine Angehörige eines in Afghanistan gefallenen Soldaten gesagt: Die größte Ehre und die größte Erinnerung, die Sie diesen Soldaten erweisen können, ist, dass wir offen darüber reden, wie es in Afghanistan war, was nicht gut war, was wir gelernt haben, und vor allen Dingen, dass wir diese Lektionen auch für die Zukunft beherzigen. Deswegen werden wir, nach einer stillen Ankunft der letzten Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan und bevor wir im September mit dem Bundespräsidenten einen großen Abschlussappell durchführen, in diesem Sommer in einer entsprechenden Veranstaltung die Gelegenheit nutzen, für das Bundesministerium für Verteidigung, für die Bundeswehr Bilanz zu ziehen und die Lektionen daraus deutlich zu machen. Denn weitere schwere Einsätze liegen vor uns – in einigen befinden wir uns schon, etwa in der Sahelzone –, und wir sollten vielleicht das, was wir in Afghanistan gerade auch mit Blick auf möglicherweise überzogene politische Ambitionen und Ziele gesehen haben, in den anderen Einsatzgebieten für die Zukunft nicht mehr wiederholen. Auch das ist ein Auftrag, und auch das ist etwas, was wir den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig sind.

Vielen herzlichen Dank.