Black Friday – so shoppen Sie dieses Jahr nachhaltiger

Schnäppchenjagd kann Spaß machen – aber Fehlkäufe tun trotzdem weh. Im  Interview verrät Konsumkultur-Experte Dirk Hohnsträter, woran man Qualität erkennt, wie man sich vom Black-Friday-Rummel nicht kirre machen lässt und wo man nachhaltig sparen kann.
Grüne Keramikteller auf einem schwarzen Marmortisch
Hochwertige Materialien, über Jahre vertiefte Fertigkeiten bei der Herstellung, durchdachte Form – die moosgrünen Keramikteller und -schüsseln von K.H. Würtz, die Andreas Murkudis 2019 während des AD House of Crafts in Berlin zeigte, sind ein schönes Beispiel für Qualität (und nein, sie waren kein Schnäppchen).Ragnar Schmuck

Black Friday: „Wie wäre es mal mit einem Quality Friday?“ – Warum man am Black Friday nicht die Qualität aus den Augen verlieren sollte.

Der Black Friday rückt näher, das Schnäppchenfieber steigt. Die einen stürzen sich begeistert ins Angebotsgetümmel, andere haben ein eher mulmiges Gefühl angesichts des enthemmten Konsums. Gerade bei längerfristigen Anschaffungen wie Möbeln, Wohnaccessoires oder Haushaltsgeräten stellen sich Fragen. Verleiten Sonderangebote und Zeitdruck nicht zu Spontankäufen, die man hinterher bereut? Möbel etc. online kaufen, kann das überhaupt  funktionieren? Bleibt da nicht die Qualität auf der Strecke?

Wir haben mit jemandem gesprochen, der es wissen muss: Der Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter ist Experte für Konsumkultur und hat sich gerade in einem neuen Buch mit allen Facetten des Themas Qualität befasst. Im Interview verrät er, wie man Qualität erkennt, ob Qualität automatisch nachhaltig ist –  und wie sich die „Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken und klug zu wählen“ erlernen lässt!

Dirk HohnsträterJulia Steinigeweg / Brandstätter Verlag

Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter im AD-Interview

Herr Hohnsträter, Ende der Woche ist Black Friday. Auf Schritt und Tritt begegnen einem vermeintlich unschlagbare Sonderangebote, on- genauso wie offline. Sind Schnäppchenjagd und Qualitätsbewusstsein denn grundsätzlich miteinander vereinbar?

Wenn Schnäppchenjagd heißt, etwas zu kaufen, weil es billig ist, und nicht, weil es gut ist, dann sind sie nicht vereinbar. Aber man kann die Perspektive auch umdrehen und sich zunächst einmal klar darüber werden, was man sucht und dann schauen, ob man es zu einem vergleichsweise niedrigen Preis bekommt, beispielsweise, weil die Ware aus der letzten Saison stammt oder zwar gebraucht, aber gut erhalten ist. Noch interessanter wird es, wenn man sich fragt, wie lange etwas in Gebrauch bleibt. Dann stellt sich ein vermeintlich teures, aber langlebiges Objekt unter Umständen als preiswert heraus, weil es auf die Lebensdauer gerechnet weniger kostet als der wiederholte Kauf kurzlebigerer Dinge.

Woran erkennt man ganz allgemein Qualität, gibt es allgemein gültige Indizien?

Klassische Anhaltspunkte für die Qualität materieller Objekte sind Material, Verarbeitung, Funktion und Form. Nehmen wir zum Beispiel einen Stuhl. Ist das Material, aus dem er gemacht wird, zur Herstellung eines Stuhls geeignet? Wird es so verarbeitet, dass der Stuhl nicht auseinander fällt? Erfüllt er seinen Zweck, also kann man rückenschonend oder bequem darauf sitzen? Und welche Anmutung hat seine formale Gestalt? Meines Erachtens kommt aber noch ein fünftes Merkmal hinzu, das zwar gerne übersehen, aber immer wichtiger wird, nämlich die Wirkung. Gemeint ist damit zum einen die Wirkung eines Gegenstandes auf die Menschen, die ihn gebrauchen, in Fall des Stuhls das Sitzerlebnis. Stühle erziehen die Sitzenden ja geradezu, indem sie sie je nach Gestaltung faul oder nachdenklich oder aufmerksam stimmen. Mit der Wirkung ist darüber hinaus auch die Wirkung auf „people & planet“ gemeint, also die Produktionsumstände und der ökologische Fußabdruck. Für viele Menschen spielt ein solches erweitertes Qualitätsverständnis eine zunehmend größere Rolle.

Sie schreiben, es sei „eine Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken und klug zu wählen“. Kann man diese Kunst erlernen?

Es geht dabei weniger um ein Wissen, das man sich aneignet, als um ein informiertes Gespür, das man durch Umgang mit gut gemachten Dingen und durch Übung erlangen kann. Natürlich hilft es, sich warenkundlich schlau zu machen, aber dazu muss man nicht nur wissen, wo man brauchbare Informationen erhält, sondern auch in der Lage sein, die Qualität von Bewertungen einzuschätzen. Gütesiegel zum Beispiel zertifizieren oft nur eine Minimalqualität, Nutzerurteile können gekauft sein. So etwas kritisch einschätzen zu können, ist Teil eines entwickelten Gespürs für Qualität. Die gute Nachricht lautet, dass es durchaus ein angenehmer Prozess sein kann, den eigenen Qualitätssinn zu verfeinern. Denken sie nur an das Verkosten von Wein. Je geschulter Ihr Gaumen ist, desto fundierter können die Urteile ausfallen.

Was sind gute Informationsquellen, um die Qualität von Einrichtungsgegenständen
einschätzen zu können?

Bei der Anschaffung von Einrichtungsgegenständen sollte man sich schon allein deshalb viel Zeit nehmen, weil wir tagtäglich mit ihnen Umgang haben. Zudem können sie teuer sein und einen sehr lange begleiten. Der eigene Augenschein, das Anfassen und Probesitzen kann ein erster Schritt zur Einschätzung der Qualität sein. Gute Händler können ebenso hilfreiche Informationen beisteuern wie die Hersteller. Was lässt sich über Material, Verarbeitung und Produktionsbedingungen in Erfahrung bringen? Wie sieht es nach dem Kauf aus? Sind zum Beispiel neue Bezüge bei einem Sofa möglich? Bietet der Hersteller einen Reparaturservice an? Es lohnt sich, mit Experten ins Gespräch zu kommen, vielleicht sogar Betriebe zu besuchen. Oder mit Menschen zu sprechen, die das Objekt der Begierde bereits besitzen. Welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?

Die persönliche Auseinandersetzung mit Produkten, das Berühren und Vergleichen, ist angesichts der Corona-Lage ja leider momentan nur eingeschränkt möglich; viele Menschen meiden den Besuch von stark frequentierten Geschäften. Wie lässt sich Qualität beim Online-Shopping erkennen, welche Indizien gibt es?

Marken und Händler können bei Möbeln durchaus ein Indiz für Qualität darstellen. Ich rate dennoch dazu, immer auch die Qualität des Einzelobjektes in den Blick zu nehmen. Wenn man meint, das Ende der Pandemie nicht abwarten zu können, empfehle ich möglichst informationsintensive Websites – und immer auch zu schauen, wozu sich keine Informationen finden. Da Firmen naheliegenderweise die Vorzüge ihrer Produkte herausstellen, kann es sehr aufschlussreich sein, wozu sie sich nicht äußern. Dann empfiehlt sich unter Umständen eine Nachfrage am Telefon, per Mail oder im Chat.

Earth Day 2024
Was aus einer Studentenbewegung entstand, ist heute internationaler Feiertag: Am 22. April ist „Earth Day“. Wir verraten, was hinter dem Feiertag steckt und blicken zurück auf seine Ursprünge.

Die Attraktivität des Black Friday beruht ja auf der Gelegenheit, teure Waren ausnahmsweise günstig zu bekommen, und damit auf der Gleichsetzung Teuer = Gut. Stimmt das überhaupt, insbesondere für Möbel und Wohnaccessoires?

Der Preis ist kein Qualitäts-, sondern ein Knappheitsindikator. Darüber herrscht in der Forschung weitgehend Einigkeit. Auf der anderen Seite können bestimmte, sehr gut gemachte Dinge nicht billig sein. Das gilt nicht zuletzt bei handwerklich hergestellten Möbeln oder Wohnaccessoires. Hochwertige Materialien, in Jahren der Übung erworbene Fertigkeiten bei der Herstellung, durchdachtes Design – das alles hat seinen Preis.

Gibt es typische Warnsignale, die einen bei Supersonderangeboten misstrauisch machen sollten?

Je lauter die Reklame, desto misstrauischer sollte man werden. Interessant ist doch, dass bei Aktionen wie dem Black Friday alles Mögliche in den Vordergrund gerückt wird, nur nicht die Qualität. Preise, Verfügbarkeit, vielleicht auch die Lust auf das Einkaufserlebnis, aber eben nicht die Eigenschaften der Dinge selbst und ihre Güte. Wie wäre es mal mit einem Quality Friday?

Mit Schlagworten wie „limitiert“ oder „nur für begrenzte Zeit“ lösen Händler kalkuliert eine Art Torschlusspanik bei den potenziellen Käufern aus. Kann man am Black Friday sinnvolle Schnäppchen machen, ohne sich so unter Druck setzen zu lassen?

Der Trick besteht darin, sich lange vor dem Schnäppchenrummel Klarheit darüber zu verschaffen, was man will. Dann kann man schauen, ob sich durch ein Sonderangebot etwas Geld sparen lässt.

In Ihrem Buch stellen Sie die These auf, ein relativ hoher Preis gehe zwar nicht automatisch mit hoher Qualität einher, verhindere aber oft unbedachte Spontankäufe. Je tiefer man in die Tasche greifen muss, desto gründlicher überlegt man es sich – und kommt dann mitunter auch zu dem Schluss, dass man das betreffende Produkt doch nicht wirklich braucht oder haben möchte. Wird dieser Abwäge-Mechanismus durch zeitlich begrenzte Schnäppchen-Angebote ausgehebelt, sodass man sich leichter zu spontanen Fehlkäufen verleiten lässt?

Wer die eigene Haltung erst einmal auf Qualität umgestellt hat, verliert nach meiner Erfahrung das Interesse an manchem Auswuchs der Konsumkultur. Das Spektakel sinkt unter die Attraktivitätsschwelle, man wird gleichsam immun. Ist das freudlos? Vielleicht. Auf jeden Fall empfinden viele Menschen es als wohltuend. Und es bedeutet ja nicht, dass man sich nunmehr in Verzicht übt. Im Gegenteil: Das Verhältnis zu den verbleibenden Dingen intensiviert sich sogar. Und nichts spricht gegen Spontankäufe, wenn man zum Beispiel auf Reisen etwas Besonderes entdeckt.

Kann andersrum nicht manchmal auch der Zeitdruck hilfreich sein – indem er zwingt, statt lange zu grübeln spontan und eher intuitiv zu entscheiden? („Does it spark joy?“, würde Marie Kondo vielleicht einfach fragen.)

Man kann sicherlich auch zu viel Zeit mit einer Entscheidung verbringen. Aus einer Qualitätsperspektive gedacht, empfehlen sich spontane Käufe meines Erachtens vor allem, wenn man zufällig auf etwas stößt, das „genau das Richtige“ ist. Dann ist es klug, das Objekt gleich zu kaufen, auch wenn man es gerade gar nicht braucht. So spart man sich später die möglicherweise aufwändigere oder sogar vergebliche Suche.

Weshalb ist es überhaupt wichtig, auf Qualität zu achten? Kann man nicht auch an einem günstig „geschossenen“, schlampig produzierten Plastikobjekt Freude haben, wenn einem der Look gefällt, man damit etwas Schönes assoziiert oder es einfach seinen Job gut macht?

Natürlich, man könnte sogar von Trash allererster Güte sprechen. Problematisch wird das erst, wenn man ethische Aspekte wie etwa die Produktionsumstände oder die ökologischen Konsequenzen in Betracht zieht.

Black Friday und ähnliche Rabatt-Aktionen sind ja nicht die einzige Möglichkeit, um qualitätvolle Produkte zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zu erwerben. Gerade bei Möbeln und Wohnaccessoires gibt es traditionell zahlreiche Gelegenheiten, besondere Stücke zu günstigen Preisen zu „ergattern“, vor allem im Bereich Antiquitäten und Vintage: Auktionen, Vintage-Shops, Flohmärkte, Haushaltsauflösungen … Welche davon halten Sie für besonders sinnvoll, um Qualität zu entdecken und eventuell auch das eigene Auge zu schulen?

Das sind alles gute Möglichkeiten, um probeweise mit Dingen in Berührung zu kommen. Wenn bei einem Händler zudem eine besondere Expertise vorhanden ist, umso besser.

Kann ein Qualitätsbegriff heute die Moral ausklammern? Wie wichtig sind Herkunft, Transparenz, nachhaltiges Wirtschaften oder ethische Produktionsstandards für die Qualität eines Produkts?

Zum einen sind ethische Aspekte Teil eines erweiterten Qualitätsverständnisses, das die Wirkung der Dinge in einem umfassenden Sinn bedenkt. Zum anderen wirken hohe ethische Standards aber auch auf die klassischen Qualitätsmerkmale zurück. Besonders interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass in meinen Experteninterviews eine Reihe von Herstellern betont hat, wie sehr beispielsweise der Bezug von Rohstoffen auf Augenhöhe mit den Produzenten eine bessere Qualität bewirkt. Ganz einfach weil der Dialog mit den Menschen und deren faire Entlohnung die Hersteller zu besseren Ergebnissen motiviert.

Andersrum gefragt: Ist Qualität automatisch nachhaltig? Oder kann auch unter undurchsichtigen, unfairen Bedingungen Qualität entstehen?

Leider ist Qualität nicht automatisch nachhaltig. Ein exquisit ausgestatteter Privatjet wirkt sich nicht gerade positiv auf das Klima aus. Es kommt auch darauf an, um welche Art von Produkt es sich handelt. Allerdings kann ein tiefer ökologischer Fußabdruck bei der Produktion durch eine lange Nutzungsdauer relativiert werden. Aus einer zeitlichen Perspektive betrachtet, kann es ökologisch vorteilhafter sein, zum Beispiel mit hochwertigen Naturmaterialien zu arbeiten.

Und zuletzt: Haben Sie selbst schon eine Wunschliste für Black Friday? Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit der Schnäppchenjagd?

Ich fürchte, dass diejenigen Produkte, die ich gerade ins Auge gefasst habe, am Black Friday nicht reduziert werden. Aber wenn mein Weinhändler Rabatt anbietet, kann ich der Versuchung nur selten widerstehen.

Dirk Hohnsträter ist immer wieder „fasziniert, welche unglaublichen Qualitätsleistungen das Kulturwesen Mensch zu vollbringen vermag“. Der Kulturwissenschaftler, Autor und Experte für kulturelle Aspekte der Wirtschaft leitet die Forschungsstelle Konsumkultur an der Universität Hildesheim und ist Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin. Im Brandstätter Verlag ist gerade sein Buch „Qualität!“ erschienen – eine fundierte und unterhaltsam geschriebene Analyse und ein Plädoyer für klugen Konsum.


6 Tipps für ein nachhaltigeres Shopping-Erlebnis am Black Friday

  1. Kaufen Sie lieber ein etwas teureres, langlebiges Stück als viele kurzlebige.
  2. Beziehen Sie den ökologischen Fußabdruck von Produkten in ihre Kaufentscheidung ein.
  3. Hinterfragen Sie Gütesiegel und Online-Nutzerbewertungen – und fragen Sie im Zweifel beim Hersteller nach.
  4. Achten Sie darauf, wie gut ein Produkt zu reparieren ist, sollte es einmal defekt sein.
  5. Kaufen Sie nicht spontan, sondern überlegt Dinge, die Sie wirklich brauchen.
  6. Eine gute Alternative zum neuen Schnäppchen: gebrauchte Vintage-Objekte.

DIY Ideen Muster Prints Interior Stuhl Pink Rosa
Die beiden Gründerinnen des New Yorker Interiorlabels „Pepper” zeigen uns, wie wir die eigenen vier Wände schnell mit Hilfe von Mustern und Prints umgestalten können. Auf die Strukturen, fertig, los!
Shabby-Chic-Stuhl, vor und nach Aufarbeitung
Federica Pittarello bereitet mit ihrem Unternehmen Helloagain Decor Vintage-Möbel auf und weiß, wie man dafür Original-Elemente mit frischen Details kombiniert.
Blick von oben auf einen zur Hälfte gerodeten Wald
Heute, am 28. Juli, haben wir den Earth Overshoot Day erreicht: Höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie wir im Alltag Klima und Ressourcen schonen können. Fangen wir doch einfach in der Küche an!
Earth Day 2024
Was aus einer Studentenbewegung entstand, ist heute internationaler Feiertag: Am 22. April ist „Earth Day“. Wir verraten, was hinter dem Feiertag steckt und blicken zurück auf seine Ursprünge.