Gleich in der Einleitung adressiert Karl-Theodor zu Guttenberg den Elefanten im Raum: „Ja, jede Zeile dieses Buches habe ich selbst verfasst.“ Der Lebensbedarf, sich mit fremden Federn zu schmücken, darf „als gedeckt gelten“.
Klingt direkt nach dem etwas gedrechselten Guttenberg-Sound, an den man sich noch vage aus seiner Zeit als Wirtschafts- und als Verteidigungsminister erinnert. Das Zoon politikon, auch so ein Terminus des politischen Menschen Guttenbergs, schaffte es schon zu Glanzzeiten, selbst Momente der Demut ausgiebig zu zelebrieren.
Die große Geste und der fränkische Freiherr gehörten immer zusammen – ob mit ausgebreiteten Armen am Times Square, in Bundeswehr-Kluft im Heli oder maßangefertigt gekleidet am Pult im Bundestag. Bilder, die zu Guttenberg nicht erst nach der vermasselten Doktorarbeit viel Häme einbrachten.
Alles lang her, alles hinreichend ausgewalzt. Zu Guttenberg ging zum Wunden lecken in die USA, arbeitete bei einem Thinktank, investiert in künstliche Intelligenz und Start-ups, macht jetzt Podcasts und dreht seit Kurzem auch Dokumentarfilme. Auf die Frage, welchen Beruf er derzeit ausübt, antwortete der 51-Jährige kürzlich: „Mensch“.
Der Mensch Guttenberg ist nun unter die Autoren gegangen. Zuerst textete er immer sonntags eine Kolumne über seinen Alltag, die auf dem Karriere- und Selbstbepreisungsnetzwerk LinkedIn Hunderttausende Leser fand. Daraus wurde nun ein Buch „3 Sekunden – Notizen aus der Gegenwart“, das diese Woche erschien.
Auf 144 Seiten erzählt Guttenberg Gegenwarts-Miniaturen aus seinem Alltag, „eine Einladung zum Innehalten“, wie der Unternehmer schreibt. Wer nun die Ankündigung eines Comebacks erwartet, wird allerdings enttäuscht sein. Abgerechnet mit dem politischen Betrieb wird trotzdem.
Etwa, wenn zu Guttenberg süffig notiert, wie ihm die CSU zu seinem vorigen Geburtstag per Mail einen Fünf-Euro-Gutschein für den Fanshop schickte – der Mindestbestellwert liegt dort allerdings bei 20 Euro. Und dann auch noch versehen „mit den besten Grüßen unseres Parteivorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder“, der, wie zu Guttenberg belustigt über seinen Intimfeind schreibt, „eher Keuchhusten bekommen würde, bevor er mir im realen Leben solche Liebenswürdigkeiten zuflüstern würde“.
Zur Amtszeit seiner früheren Chefin Angela Merkel (CDU) fällt ihm der „Mehltau“ ein, der manche Glut im Land gelöscht habe. Da ist einer bedient, zumal sich der Ex-Minister attestiert, nicht für die große Politik gemacht zu sein. Im Podcast „OMR“ antwortete der Unternehmer auf die Frage nach weiteren Comeback-Versuchen kürzlich: „Ich finde, einmal im Leben gnadenlos überschätzt zu werden, reicht.“
Nachdenken über große Lebensfehler
Guttenberg ist dennoch ein Vielreisender geblieben, reportiert von Flügen und Bahnfahrten, von Dinnereinladungen und Bürobesuchen. Die Kleintexte sind dann am stärksten, berühren auch, wenn sich der Autor auf die lakonisch erzählte Szene verlässt, ohne zu viele Rückkoppelungen an die großen politischen Entwicklungen einzuweben.
Da sind die Treffen und Erinnerungen an alte und berühmte Freunde – etwa Mentor Henry Kissinger –, Machtbeobachtungen, Nachdenken über große Lebensfehler.
Etwa bei einem Abendessen in einer stattlichen Villa im Londoner Stadtteil Notting Hill in einem prunkvollen, aber zerrütteten Haushalt. Der immer abwesende Managervater steht vor den Trümmern seines Familienlebens, wenn die Tochter zu den Dinnergästen sagt: Wenn ihr Vater mal nach Hause komme, dann „um sich zurückzuziehen. Vor uns.“ Nach der Verabschiedung in der Garderobe hört Guttenberg den Vater zum Sohn sagen: „Verstehst du nicht? Um dieses Haus zu ermöglichen, war das alles notwendig.“ Der Sohn entgegnet: „Vielleicht wären wir in einer Wohnung glücklicher geworden.“ Ein verdichteter Familienabgrund.
Manchmal wird es bei der Lektüre anstrengend, wenn aus jeder Alltagsszene der höhere Sinn rausgeschält wird. Einmal steht zu Guttenberg in einer Apotheke in Hessen und lauscht geflüsterten Gesprächen über Hämorrhoiden-Salben und Antidepressiva. Einige Tage später geht es im großen New York City – bei den Kolumnen passt oft vieles erstaunlich gut zusammen – bei einem Dinner mit Freunden auch ums eigene Seelenleben. Guttenberg bekennt sich zu manchmal düsteren Gedanken, dann muss aber unbedingt noch der Hinweis an den nur langsam vorankommenden gesellschaftlichen Wandel beim Reden über Depressionen sein.
Einige der Miniaturen sind schon auf LinkedIn erschienen. Interessant ist, dass die manchmal bemüht koketten Anklänge an den ins Heilsame umgedeuteten Absturz in der Buchversion minimiert wurden. Heißt es bei LinkedIn zum problematischen Umgang mit Jetlag noch: „Die tatsächliche Routine war ein Mix aus Melatonin und Schlafmitteln. Hat mir ebenso wenig gutgetan wie – bekanntlich – das Schaumschlagen“ – fehlt im Buch der Hinweis auf das frühere Schaumschlagen.
Einmal sitzt Guttenberg im Auto und reflektiert über die eigene eingebildete Unverzichtbarkeit und wird dann von Passanten ertappt, wie er schief einen Billy-Joel-Song mitträllert. Guttenberg schließt: „Manches ist so wundervoll bedeutungslos. Am meisten gelegentlich wir selbst.“ Diese Bescheidenheitsgeste nimmt man ihm dann doch nicht so ganz ab.