Selten so gelacht

Karneval

Friedrich Merz hat beim diesjährigen Karneval wenig gelacht. Das weiß man, weil das Gesicht des CDU-Chefs oft gefilmt wurde auf der Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst“, während die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann – verkleidet als Vampirin – in ihrer Büttenrede harte Salven in seine Richtung reimte. Ein „Flugzwerg aus dem Mittelstand“ sei er, den „zweimal keiner haben wollte“. Sie warf ihm Rassismus und Milde gegenüber der Reichsbürgerszene vor. Merz nahm das eher schmerzhaft, als scherzhaft auf. Sein Parteifreund und Sitznachbar, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, kämpfte dagegen gegen das Lachen an, was nicht immer gelang. CDU-Generalsekretär Mario Czaja forderte hinterher eine Entschuldigung, die Düsseldorfer Karnevalistin Strack-Zimmermann lehnte ab, die sozialen Medien brannten. So kann es zugehen, wenn Politik wieder auf Karneval trifft.

Endlich wieder, kann man sagen. Zuletzt mussten die tollen Tage wegen der Pandemie ausfallen. Das war zuletzt wegen des zweiten Golfkriegs der Fall. Nun, da mit Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine ein Krieg in Europa tobt und in Berlin nur noch über Umfang und Form militärischer Unterstützung für die Ukraine gestritten wird, war von Absagen keine Rede. Zufall, dass der 24. Februar, der Jahrestag des russischen Überfalls, nicht in die tollen Tage fällt. Annalena Baerbock, Außenministerin und im Bundeskabinett in Sachen Militärhilfe ein Widerpart des zögernden Bundeskanzlers Olaf Scholz, hat sogar den Aachener Ritterorden wider den „tierischen Ernst“ angenommen. Der wurde für „ihre Standhaftigkeit, ihren Humor auf dem diplomatischen Parkett und ihren Kampf für Hoffnung und Frieden“ vergeben, wie es in der Begründung hieß.

Auch wenn – wie das bei derlei Würdigungen oft der Fall ist – die Ehre auch auf denjenigen abstrahlen soll, der sie den Prominenten zuteilwerden lässt, ist das zweifellos ein Politikum, für die Grünen-Politikerin eine schöne Sache und vielleicht gar zukunftsweisend im innerparteilichen Wettstreit. Konrad Adenauer war einst mit dem Preis bedacht worden („Für sein Talent, komplizierte Sachverhalte einfach darzustellen“) und auch Helmut Schmidt hatte ihn erhalten, als er noch Verteidigungsminister war und weil er es Soldaten erlaubte, damals moderne – genauer: längere – Haare zu tragen. „German Hair Force“, hieß Schmidts Erlass von 1972. Was für Zeiten das waren!

Eine Hand wäscht die andere

Zwar gehört es zum karnevalistisch-widerständischen Brauchtum, die Politik und deren bekannte Gesichter „aufs Korn“ zu nehmen, in Büttenreden und Umzügen – eher harmlos-liebevoll in Mainz und Köln, eher politisch zugespitzt in Düsseldorf mit seinem dortigen Wagenbauer Jacques Tilly. Doch ebenso gern lassen sich Politiker im Umfeld des Frohsinns blicken. Minister und Ministerpräsidenten, Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in fraglichen Hochburgen ohnehin, pflegen auf Sitzungen von „Mainz bleibt Mainz“ und im Kölner Gürzenich, der sogenannten guten Stube der Domstadt, zu erscheinen. Sie gieren geradezu danach, Gegenstand der Witzeerzähler (vulgo: Büttenredner) zu sein. Gern auch laden die Karnevalsvereine Maßgebende aus der Politik dazu ein, rosenmontags auf einem der sogenannten Prunkwagen mit durch ihre Stadt zu fahren. Die einen genießen wählerwirksame Volksnähe, die anderen ihre Nähe zur politischen Prominenz. Und weil die Karnevalsvereine meist von städtischen Honoratioren und lokalem Unternehmertum getragen werden, mag das Motto „Eine Hand wäscht die andere“ klammheimlich eine Rolle spielen.

Der SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist in Köln beheimatet. Er tat daher sehr gut daran, sein kurzfristig bekannt gemachtes Nichterscheinen bei der dort überaus wichtigen Proklamation des karnevalistischen Dreigestirns aus „Prinz, Bauer und Jungfrau“ ordentlich und nicht bloß nebenbei zu begründen. „Ich bin leider noch hier in Berlin. Wir haben heute sehr wichtige Sitzungen zum Thema Krankenhausreform und Digitalisierung. Ich kann es daher nicht schaffen“, teilte Lauterbach dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Die Entschuldigung war angebracht, hatte sich der Gesundheitsminister doch mit seinem Vorschlag ziemlich in die Nesseln gesetzt, wegen der Corona-Seuche könnten die – schon mehrfach abgesagten – Rosenmontagszüge im Sommer abgehalten werden. Es folgte eine geharnischte Belehrung vom Festkomitee Kölner Karneval. „Der Karneval ist ein Fest im Jahreskreislauf wie Weihnachten oder Ostern“, hieß es in einem offenen Brief an den Minister. „Niemand würde ernsthaft fordern, alle weihnachtlichen Feiern vom Weihnachtsmarkt über die Christmette bis zu den Treffen im Familienkreis auf den Sommer zu verlegen – selbst in Pandemiezeiten nicht.“ Das saß.

Merkels lästige Pflicht

Lauterbach, der bisher regelmäßig über den Gewinn des Wahlkreises Leverkusen-Köln IV in den Bundestag gewählt wurde, lernte, welche politische Untiefen der Karneval in sich birgt – zumal, seit sich der Regierungssitz nicht mehr im dem rheinischen Frohsinn nahen Bonn befindet, sondern fern an der Spree, wo das Verständnis für den tagelangen Ausnahmezustand in „Westdeutschland“ denkbar gering ist. Auffällig war auch, dass sich zu Angela Merkels Kanzlerinnenzeit Rücktritte zu Karnevalszeiten häuften: Christian Wulff, Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan. Versuche einiger „Bonner“, die Tollheiten nach Berlin zu exportieren, stießen dort auf überaus geringe Resonanz. Und das, obwohl Merkel an der Bonner Tradition festhielt, eine Abordnung des „Bundes Deutscher Karneval“ zu empfangen – mit, wie er angibt, seinen 5.300 Vereinen und 2,6 Millionen Mitgliedern.

Doch die Veranstaltungen im Bundeskanzleramt nahmen sich wie ein Fremdkörper an der Spree aus: Die Karnevalisten in vollem Ornat, die Kanzlerin mit Sakko und ihren zur Raute geformten Händen. Merkel pflegte zwar bei solchen Gelegenheiten einen gelockerten Umgang. „Endlich mal wieder Stimmung in der Bude“, sagte sie dann und: „Solche Besucher lobe ich mir. Denn sie zeigen: Auch ein Ausnahmezustand kann wohltuend sein.“ Lob und Würdigungen hatte sie auch parat. Die Närrinnen und Narren seien „für unsere Demokratie und unser Gemeinwesen unentbehrlich“. Karneval sei ein Kulturgut. Aber ob sie das ehrlich meinte? Im Internet hat ein Videoschnipsel Karriere gemacht, in dem die Kamera auf die Kanzlerin zoomt, während vor ihr Tanzmariechen auftreten. Frohsinn war in ihren Gesichtszügen nicht zu erkennen, eher Langeweile. Auch schunkeln wollte Merkel nicht. Sie wusste: Auftritte, die heute Freude verbreiten, können morgen schon als peinlich und unangemessen empfunden werden.

Mancher schon hat das übersehen. Annegret Kramp-Karrenbauer etwa, die bei fraglichen Anlässen als „Putzfrau Gretel“ auftrat, vergaloppierte sich in einer Büttenrede über die Latte-macchiato-Männer in Berlin, das dritte Geschlecht und dazu passende Toiletten, was sich für die damalige CDU-Vorsitzende „AKK“ auf dem Berliner Parkett als kommunikative Katastrophe entpuppte. Auch Andrea Nahles erwischte es auf üble Weise, als Videoaufnahmen auftauchten, die die SPD-Chefin beim Absingen vorgestriger Karnevalslieder zeigten. Markus Söder zog – medienerfahren und machtbewusst – daraus seine Schlüsse. Ehedem zeigte er sich mit aufwendigen Kostümen. Als Shrek, als Mahatma Gandhi oder als König Ludwig von Bayern trat er auf. Als bayerischer Regierungschef erfand er sich neu. „Der Smoking ist das Kostüm des Ministerpräsidenten.“

Spiegelbild der Gesellschaft

Und Armin Laschet? 2020 wurde er – als erster Sohn der Stadt – in Aachen zum Ritter wider den tierischen Ernst gekürt. Eine Rede hielt er, die wegen ihrer Spitzen auf Merkel und AKK den Saal schier zur Raserei brachte. Es wurde skandiert: „Armin, Armin, Armin.“ Ob Laschet klug war und das Ende bedachte? Merkel war wohl gut beraten, nicht in Aachen aufgetreten zu sein, obwohl sie wie wenige sonst auch die Form launiger Festansprachen beherrscht. Ohnehin stand sie oft genug wie ein Elefant im Raum. Etwa für Friedrich Merz, 2006, der boshaft-ironisch sagte: „Niemand nennt sie mehr die späte Rache an der DDR, heute ist sie unsere Bundeskanzlerin.“ Markus Söder, 2016, gab sich scheinbar devot: Die Kanzlerin habe immer recht. „Denn die Angela Merkel hat festgelegt, dass jeder das Recht auf ihre Meinung hat.“

Das Brauchtum als Spiegelbild. Die Festkomitees wurden – 200 Jahre ist das nun her – von preußischen Besatzern in die Rheinprovinz installiert, um die wilden Umtriebe während der Karnevalszeit zu zivilisieren. Die einst als Karikatur preußischen Soldatentums gedachten Uniformen wurden alsbald ziemlich ernst genommen. Dunkle Kapitel wurden in der Nazizeit geschrieben. Die Rock- und Popmusik der sechziger Jahre prägte fortan die Melodien des Karnevals. Parallel mit den Grünen entstand in Köln mit einer „Stunksitzung“ ein „alternativer“ Karneval, der mittlerweile fest etabliert ist. Die erste Garde der Kölner Musikgruppen drohte, ein Hotel, in dem sie während der tollen Tage auftraten, zu boykottieren, weil dort ein AfD-Parteitag stattfinden sollte.

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen in Berlin, hatte sich zu entschuldigen, dass sie sich als Kind gern als Indianer verkleidet habe. Schunkellieder werden einer Prüfung unterzogen, ob sie feministischen Ansprüchen genügen. Längst gibt es in Köln nicht nur die „Roten Funken von 1823“, sondern auch die „Rosa Funken von 1995 e. V.“. Nun wurde über eine Bemerkung der Oberbürgermeisterin Henriette Reker debattiert: Ob dem „Dreigestirn“ (Prinz, Bauer und Jungfrau, traditionsgemäß alles Männer) nicht auch einmal eine Frau angehören solle? Das Problem: Eine Frau durfte erstmals 1938 Teil des Dreigestirns sein, weil die Nazis Angst vor Transvestiten hatten. Sage also niemand, der karnevalistische Frohsinn habe nichts mit Politik zu tun. Olaf Scholz hat die Freunde des Faschings nicht im Kanzleramt empfangen. Das hätte nicht in diese Zeiten gepasst. Und irgendwie auch nicht zu ihm.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.