Er war die letzte Hoffnung seines Volkes. Bereits im Jahr 599 war ein Heer aus Calakmul bis ins Zentrum der Maya-Stadt Palenque vorgedrungen. Zwölf Jahre später berannten dieselben Feinde erneut die Stadt. Zwar konnte der König ihnen entkommen. Aber die Adligen von Palenque wurden fast vollständig ausgelöscht oder als Gefangene geopfert. Als der König von Palenque starb, konnten die lebensnotwendigen Rituale nicht mehr durchgeführt werden, was den endgültigen Untergang der Stadt bedeutet hätte.
Da stemmte sich eine Frau dem Schicksal entgegen. Säk-K’uk, wohl ein Mitglied der regierenden Dynastie, übernahm die Regierung und steuerte Palenque durch die Existenzkrise. Obwohl ihr Mann noch lebte und sie sich selbst bester Gesundheit erfreute, übertrug sie am 24. Juli 615 ihrem Sohn Palak, der gerade zwölf Jahre alt geworden war, die Regierung. Er sollte 68 Jahre herrschen und Palenque ein goldenes Zeitalter bescheren.
K’inich Janaab’ Pakal, auch Pakal der Große genannt, zählt zu den bedeutendsten Herrschern der Maya-Kultur, die zwischen 250 und 850 im Süden Mexikos und in Guatemala, Belize, Honduras und El Salvador blühte. Unter seiner Regierung stieg Palenque nicht nur zu einem der mächtigsten Stadtstaaten auf, sondern wurde vom König auch prachtvoll ausgebaut.
Nun melden Archäologen vom mexikanischen Nationalen Institut für Anthropologie und Geschichte (Inah) einen spektakulären Fund: In den Ruinen des einstigen Königspalasts wurde bei Restaurierungsarbeiten eine Opferstätte entdeckt, in der neben einigen Gefäßen, Keramikfiguren und Tierknochen ein lebensgroßer Statuenkopf aus Stuck ans Licht kam. Er trägt die Züge eines älteren Mannes.
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Skulptur Pakal den Großen darstellen soll“, urteilen die Ausgräber. „Wir wissen, dass er bis zu seinem Tod im Alter von 80 Jahren regierte“, heißt es zur Begründung. Auch der Fundzusammenhang stützt die Datierung ins siebte Jahrhundert nach Christus. An dem Palast, mit einer Grundfläche von 100 mal 80 Metern der größte Komplex von Palenque, haben mehrere Generationen gebaut. Pakal und seine beiden Nachfolger haben sich in Reliefdarstellungen darauf als Herrscher verewigt.
Wie kein anderer König von Palenque vor oder nach ihm hat Pakal der Große der Stadt seinen Stempel aufgedrückt. Ausweislich der Inschriften, deren Entzifferung inzwischen einigermaßen gesichert ist, hat er mehrere große Tempel errichtet sowie den Palast von Grund auf umgestaltet und erweitert. Die Bauwerke waren Zeugnisse seiner Macht, gelang es ihm doch, den Einfluss von Palenque bis weit nach Norden zur Geltung zu bringen. Die Lage seiner Stadt an der wichtigen Ferntrasse vom Hochland ins Tiefland von Yucatán dürfte die Mittel erwirtschaftet haben. Selbst als Pakal 654 erneut eine Niederlage gegen Calakmul hinnehmen musste, konnte er einen schweren Rückschlag abwenden, indem er die Verbündeten seines Gegners attackierte.
Man hat lange die Ansicht vertreten, dass die Maya im Gegensatz zu den Azteken, die ab dem 14. Jahrhundert ihr Imperium im Becken von Mexiko-Stadt errichteten, einen weniger blutigen Opferkult pflegten. Zahlreiche Funde von Darstellungen, die Gefangene vor ihrer Opferung zeigen, sowie die rasanten Fortschritte in der Entzifferung der Maya-Schrift, haben Forscher eines Besseren belehrt. Auch die Maya glaubten daran, dass die Fruchtbarkeit der Felder, der Herrscherdynastie oder der Gemeinschaft nur durch Ströme von Menschenblut gesichert werden konnte.
Dafür musste auch Pakal der Große schmerzhafte Opfer bringen. In den Ruinen der Maya-Stadt Yaxchilàn haben sich Darstellungen von Selbstkasteiungen erhalten, denen sich die Fürsten zum Wohl ihrer Staaten zu unterziehen hatten. Die Herrscher stoßen darauf mit Stäbchen in ihren Penis, um ihr Blut zu gewinnen. Diener müssen sie stützen, damit sie nicht vor Schmerzen zusammenbrechen oder sich übergeben, während sie einen Absud aus dem Giftschleim einer Kröte trinken. Auch im berühmten Ballspiel musste sich ein Fürst hervortun, obwohl er wohl kaum zu der Mannschaft gehörte, die am Ende den Göttern geopfert wurde.
Auch seine Frau(en) – denn Polygamie war wohl üblich – musste(n) das ihre dazu beitragen. Der Bonner Ethnologe Berthold Riese, einer der Wegbereiter der Maya-Forschung in Deutschland, hat eine Darstellung beschrieben: „Durch ihre Zunge zieht sie sich eine dornenbewehrte lange Schnur, deren unteres Ende bereits in den Korb fällt und mit dem Zungenblut der Herrscherin das Opferpapier befleckt. Einiges an Dornen steht der Frau noch bevor, obwohl ihr Gesicht schon jetzt blutverschmiert ist.“
Pakal zählt auch deswegen zu den bekanntesten Maya-Herrschern, weil im Jahr 1952 sein unzerstörtes Grab unter dem von ihm errichteten Tempel der Inschriften entdeckt wurde. Vor dem Eingang zur Krypta stieß der mexikanische Archäologe Alberto Ruz Lhuillier auf die Skelette von fünf Männern und Frauen, denen die Aufgabe zugefallen war, den toten Herrscher ins Jenseits zu begleiten. Die Inschriften auf dem Steinsarg gaben Auskunft über die wichtigsten Daten und Taten im Leben des Fürsten.
Mit seiner Autorität als Ausgräber und Direktor des Nationalmuseums für Anthropologie in Mexiko-Stadt vertrat Lhuillier bis zu seinem Tod 1979 die Überzeugung, dass Pakal aufgrund des Zustands seiner Knochen allenfalls 40 bis 50 Jahre alt geworden sein konnte. Das wurde im Zuge der Entschlüsselung der Maya-Schrift ab 1980 anhand der Inschriften eindrucksvoll widerlegt.
Obwohl Pakal die Herrschaft an seine beiden Söhne weiterreichen konnte, markierte sein Tod den Beginn des Niedergangs von Palenque. „Der letzte palenkanische Herrscher, Sechs-Tod, der 799 seine Regierung antritt, ist nur aus der Inschrift auf Scherben einer Tonschale bekannt“, schreibt Riese, keine Steininschrift und kein Grab zeugen von ihm. Damit war Palenque die erste größere Maya-Stadt, die dem allgemeinen Kollaps am Ende des sogenannten Klassikums der Maya-Kultur erlag.
Bald folgten auch die anderen Städte des Hochlands, die Aufständen, Bürgerkriegen oder Invasoren zum Opfer fielen. Als möglicher Grund wird die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen durch das überdimensionierte Repräsentationsbedürfnis der Eliten genannt. Sollte das zutreffen, hätte Pakal der Große mit seinem ambitionierten Bauprogramm das Seine dazu beigetragen.
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