Jud S�ss – Film ohne Gewissen (D/� 2010) : KRITIK : artechock

Jud S�ss – Film ohne Gewissen

Deutschland/�sterreich 2010120 min. � FSK: ab 12
Regie: Oskar Roehler
Drehbuch:
Kamera: Carl F. Koschnick
Darsteller: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohn�nyi, Armin Rohde u.a.
Goebbels im Film

Mit Goebbels spielen

Sittenbild des Faschismus: Gedanken zu Oskar Roehlers Film

Er lacht, macht schlechte Witze, klopft seinem Gegen�ber aufmun�ternd auf die Schulter, hat hier ein Zwinkern f�r die Damen, dort ein Prost auf seinen Darsteller – der Mann hat ganz offen�kundig seinen Spa�. Mit rhei�ni�schem Akzent, dezentem Hinken und viel sardo�ni�schem Charme inter�pre�tiert Moritz Bleibtreu in Oskar Roehlers Jud S�ss – Film ohne Gewissen die Rolle des Joseph Goebbels. Ein gro�ar�tiger Auftritt, das Herz von Roehlers Film.

Es gab, wie f�r den ganzen Film, bei seiner Berlinale-Premiere viel Beifall und viel Buhs, und manchen, die ihn mochten, ging gerade Bleib�treus Auftritt gegen den Strich, f�r andere wieder war dies der einzige Licht�blick eines eher miss�gl�ckten Films. Zumindest aber waren sich die meisten Zuschauer in einem einig: Wenigs�tens gab es mal Streit und Kontro�verse. Denn was immer der eine oder andere gegen Roehlers Film einwenden mochte: Lang�weilig ist er nicht.

Wie kann man ihn �berhaupt darstellen, den fr�hen Hitler-Gefolgs�mann, Leiter des �Reichs�mi�nis�te�riums f�r Volks�auf�kl�rung und Propa�ganda�, und, als solchen auch, �Film�mi�nister� (Felix Moeller) des Dritten Reichs? Den, der die Seite �seines� F�hrers bis in dessen letzten Stunden suchte und sogar davor nicht zur�ck�schreckte, am Ende noch die sechs eigenen Kinder mit in den Tod zu nehmen? Viele deutsche Schau�spieler haben es probiert in den letzten Jahren, und viel�leicht kann man, auf einer ganz grund�s�tz�li�chen Ebene, nur scheitern an dieser Rolle. Denn war nicht Goebbels selbst ein Schmie�ren�kom��diant erster G�te? Narziss�tisch und unsicher, beifall�s�hei�schend und eitel? Ein Selbst�dar�steller, dessen �ffent�liche Reden Auftritten glichen, und der sich an diesen eigenen Szenen berauschte?

Das gr��te Dilemma eines jeden Schau�spie�lers ist hier der Vergleich mit dem Original, das in Wort und Gestik durch unz�hlige Doku�men�tars�t�cke l�ngst im kollek�tiven Unbe�wussten der meisten Deutschen verankert ist. So geht es jedem Auftritt in der Goebbels-Rolle wie schon Charlie Chaplin mit dem Gro�en Diktator und allen seinen Nach�fol�gern als Hitler oder Hitler-�hnlicher Macht�haber: Man kann ihn nur als Inter�pre�ta�tion verstehen, als bewusste Variation des Originals unter gleich�zei�tiger Ausein�an�der�set�zung mit ihm.

Blickt man in einschl�gige Lexika, so entdeckt man �ber 60 Goebbels-Darstel�lungen: Der Minister scheint zum Richard III., zum Traumpart des deutschen Kinos, geworden zu sein, den jeder zumindest einmal gern spielen m�chte: Von Olli Dietrich bis Martin Wuttke, von Ulrich M�he zu Johannes Silber�schneider, schon fr�her Uli Lommel und Ian Holm, als einer der wenigen nicht-deutschen Goebbels-Darsteller. Ulrich Matthes im Untergang setzte vor allem auf K�rper�lich�keit, auf die selbst�qu�le�ri�sche, aske�ti�sche Ausstrah�lung des vergleichs�wese kurzen Mannes mit dem verkr�p�pelten Fu� – am deut�lichsten eine zitat�hafte Nach�ah�mung, kein inter�pre�tie�rendes Spiel. Sylvester Groth spielte ihn zweimal: In Inglou�rious Basterds gab er der Figur viel K�lte und Bosheit, und sie lag ganz in der Stimme und in seinem Blick. Der Auftritt in Dani Levys Mein F�hrer hingegen war dem Kom�dien-Genre gem�� greller.

Die Heraus�for�de�rungen der Rolle scheinen im Kern darin zu liegen, eine gewisse ober�fl�ch�liche Leut�se�lig�keit, Witz fast, mit Goebbels Bosheit, mit seiner Scha�den�freude, seinem Sarkasmus und dem Abgrund an Skru�pel�lo�sig�keit zu verbinden, die bei diesem Mann st�rker bemerkbar ist als bei anderen NS-Granden: Weder war er ein k�hler Manager, noch ein blo�er Schreib�tischm�rder, noch ein plump-brutaler Menschen�metzger.

Bleibtreu entdeckt in ihm nun den zur Macht gekom�menen Gangster, der seine Stra�en�ma�nieren noch nicht ganz abgelegt hat. Kein Clown, sondern eine mephis�to�phe�li�sche Figur, in der die absolute Bedrohung, die von ihr ausgeht, immer pr�sent bleibt. Der Teufel steckt in der allzu guten Laune. Wer glaubt, dass gro�es Schau�spiel immer nur im Dezenten liegt, wird hier widerlegt: Ein gro�ar�tiger Auftritt, einen der besten in Bleib�treus Karriere.

Die Darstel�lung f�gt sich gut in Roehlers Gesamt�an�satz: Er zeigt anhand des Haupt�dar�stel�lers Ferdinand Marian eine Art �Making Off� von Veit Harlans Jud S��, bekannt�lich einem der schlimmsten Hetzfilme des Dritten Reichs – den freilich, weil er hier�zu�lande indiziert ist, kaum einer gesehen hat. Das merkt man auch manchen Kritiken des Films an, denen offenbar der histo�ri�sche Zusam�men�hang eben�so�wenig bewusst ist, wie jener �Ufa-Ton�, eine gewisse grund�s�tz�liche �ber�trei�bung des Spiels, und wie die histo�ri�schen Fakten: Kritiker, die jene drama�ti�sche Szene, in der Marian Goebbels einen Aschen�be�cher vor die F��e wirft, als typische Roehler-�ber�trei�bung bel�chelten, k�nnen diese in der einschl�gigen Literatur belegt finden.

Roehler inter�es�siert sich f�r die histo�ri�schen Fakten trotzdem nur am Rande, benutzt sie als Material f�r ein Sitten�bild des Faschismus, eine Groteske �ber Erotik und Tode�s�trieb und deren Beziehung zur Gewalt. Das ist hoch�gradig �politisch inkorrekt� und regte daher vor allem jene auf, die sich in Deutsch�land schon immer sicher sind, auf der richtigen Seite zu stehen. Ausl�n�di�sche Medien reagierten neugie�riger und offener.

Der histo�ri�schen Wahrheit kommt Roehler indes n�her, als der deutsche Nazi-Kitsch � la Untergang. Der Kritiker Georg See�en hat es perfekt auf den Punkt gebracht:

�Ferdinand Marian war alles andere als ein Nazi, nicht einmal das Bild eines Oppor�tu�nisten und Mitl�u�fers pa�t so recht; aber er ist eben auch kein Held, nicht einmal ein besonders sympa�thi�scher Mensch, einer, der sich schwer tut, �ber sich selbst hinaus zu schauen, aber eben doch auch einer, der dazu gezwungen ist, dem es nicht voll�s�t�ndig gelingt, sich zu bet�uben und sich heraus�zu�reden. Die Fragen ›Was h�tte man tun k�nnen?‹, ›Was h�tte man tun m�ssen?‹, ›Was h�tte man nicht tun d�rfen?‹, stellen sich f�r diese Person pr�ziser, wenn man so will, eben drama�ti�scher als f�r die Mehrheit. Mit dem histo�ri�schen Ferdinand Marian hat Roehlers Figur viel�leicht gar nicht so viel zu tun. ... Ohne das zum Mitschreiben kenntlich zu machen, wechselt der Film zwischen Biogra�phie und Sinnbild, Zeitbild und surrea�lis�ti�schem Phantasma.�

Gleich f�nfmal ernannte eine Berliner Lokal�zei�tung im Februar den Film zum �Flop� der Berlinale – als ob Henri 4 wirklich besser gewesen w�re, um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen. Das Bedau�er�lichste an solchen Reak�tionen und an der deutschen Rezeption war, dass wieder einmal ein deutscher Film hinge�richtet wird, der gerade riskant, mutig und kontro�vers ist. Es geht nicht darum, Schw�chen sch�n�zu�reden oder Roehler zum verkannten Genie zu erkl�ren. Aber wenn einer sich offen Bl��en gibt in Deutsch�land, dann leckt die Meute Blut; feige Konsens�filmer hingegen kommen immer wieder durch.

Nochmal Georg See�len:

�Der Schnitt�punkt, viel�leicht ist es das, was deutsche Kritiker so aufregt, nicht der Diskurs des Oppor�tu�nismus, sondern der der Sexua�lit�t. ... Das ist etwas ganz anderes als die �bliche Entschul�dungs�dra�ma�turgie, auch wenn die Figur so viel ›besser‹, kompli�zierter und selbst�kri�ti�scher darge�stellt wird, als ihr reales Modell war. So gesehen 'stimmt' in diesem Film so gut wie nichts, und doch schl�gt er den einen oder anderen Weg zu einer Wahrheit vor, die sich uns st�ndig entzieht, weil wir das Innen und das Au�en, die Macht und die Gef�hle, Sexua�lit�t und Politik im Faschismus, nicht zusammen zu denken verm�gen. Oskar Roehler hat es mit diesem Film riskiert. Wer etwas riskiert, kann auch scheitern. Aber bitte nicht an gedan�ken�losen Bei߭re�fle�xiven deutscher Kritiker.�

Es stimmt also: Nicht alles klappt, vor allem die Figur Veit Harlans bleibt blasser, als es dem Film guttut, aber Roehler gelingt es, den Schurken bei der Arbeit zusehen – und beim ganz normalen Leben. Ohne sie auszu�schlachten, arbeitet der Film mit faschis�ti�scher �sthetik, zeigt Verf�h�rungs�kraft und die Mecha�nismen des Systems. Und er zeigt die dunkle immer noch schwer begreif�bare Verbin�dung von Sexua�lit�t und Faschismus: Etwa in der Schl�s�sel�szene, in der eine SS-Offi�ziers�gattin Marian zum Spon�tansex auf den Dachboden bittet, weil sie die Verge�wal�ti�gungs�szene des Films mit dem zum Juden�fe�tisch gewor�denen Darsteller nach�spielen� will. Zugleich geschieht ein Bomben�an�griff und man sieht im Hinter�grund das brennende Berlin.

In solchen Momenten trifft Roehler die rassis�ti�sche Porno�gra�phie von Harlans Jud S�� instinktiv ins Herz und wandelt auf den Spuren Viscontis, des italie�ni�schen �Sadico-Nazista�-Trash�films, von den histo�ri�schen Frei�heiten von Taran�tinos Inglou�rious Basterds. Roehlers Film ist riskant, mutig und kontro�vers, er gibt sich Bl��en und zeigt der Mehrheit auch seiner Kollegen eine lange Nase.