Ex-Trump-Berater vermisst Strategie im Ukraine-Krieg: „War ein Riesenfehler“
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„War ein Riesenfehler“: Ex-Trump-Berater vermisst Strategie im Ukraine-Krieg

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John Bolton, der frühere Nationale Sicherheitsberater der USA, über eine klare Ansprache an Putin, die fehlende westliche Strategie und die drohende Gefahr aus China.

Ambassador Bolton, wie bewerten Sie die Lage in der Ukraine? Sie waren ja zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, welche Eindrücke haben Sie da gewonnen?

Es gab sehr unterschiedliche Ansichten über den weiteren Verlauf des Ukraine-Krieges, optimistische Stimmung, andere waren eher besorgt. Ich sehe eine positive Entwicklung im vergangenen Jahr, weil Europa so reagiert hat, wie es schon vor der Invasion der Fall hätte sein sollen.

Das heißt?

Es war ein Riesenfehler der USA und der Nato, die Ukraine nicht gleich massiv zu unterstützen. Die Reaktion war wie im Kalten Krieg: Wir wollen keinen Krieg mit den Russen und halten uns daher zurück wie bei den Sowjets. Man ging davon aus, dass Wladimir Putin in ein paar Wochen den Krieg gewinnen würde, eine weitere schwere Fehleinschätzung! Angesichts der russischen Kriegsführung sollte man sich schon fragen, ob die Angst vor Russland berechtigt war. Meine Frage ist: Welche Strategie haben wir jetzt? Meine Antwort: Wir haben keine!

Bolton vermisst Strategie im Ukraine-Krieg

Woran machen Sie das fest?

An dem Herumtappen, welche Waffensysteme man nun liefern soll und welche nicht. Man hangelt sich wie an einer Leiter von Waffensystem zu Waffensystem hoch, aber eine öffentlich geführte Debatte ist noch lange keine Strategie. Eine Strategie besteht darin, seine Ressourcen so zu nutzen, dass die gesetzten Ziele auch erreicht werden können. Man sagt nun, man wolle Russland nicht besiegen, die Ukraine dürfe nur nicht verlieren. Was aber heißt das genau? Bedeutet es, die Russen aus dem Donbass zu drängen oder sie wieder hinter die Grenzen von 2014 zu bringen – oder sind es die Grenzen von 1991? Zudem frage ich mich, warum die Ukraine nicht von Anfang an in den Stand gesetzt wurde, sich selbst zu verteidigen. Man hätte die alten Bestände der Sowjetunion direkt komplett liefern sollen, also auch die MiG-Kampfflugzeuge. Ich bin sehr besorgt, dass in einem Jahr, also am zweiten Jahrestag des Krieges 2024, alles zugunsten Russlands gelaufen sein wird.

Das klingt nicht sehr optimistisch.

Das Land ist viermal so groß wie die Ukraine, und in der Regel ist es so, dass in einem Krieg die größere Macht den Sieg davonträgt. Und ohne eine Strategie für die Ukraine wird es schwer.

Wie bewerten Sie die angekündigte chinesische Friedensinitiative? Vielleicht ist das ein Ausweg.

Ich weiß, dass auch in München viel darüber gesprochen wurde, die Menschen trösten sich mit den Worten von Wang Li, dass China die territoriale Integrität wichtig sei. Alles, was ich dazu sagen kann, besonders zu den europäischen Lesern: Jedes Wort, das China über die Ukraine sagt, hat etwas mit der Taiwan-Politik von Peking zu tun. Mit territorialer Integrität meint man – da Taiwan von China als chinesisches Territorium angesehen wird –, dass man diese nicht in Zweifel ziehen sollte. Sie ziehen also implizit eine Schlussfolgerung für Taiwan, auch wenn das unsinnig ist. Auch der Schluss zur Ukraine ist falsch, wenngleich es die russische öffentliche Meinung widerspiegelt. Nicht alleine Putin ist ja der Ansicht, dass die Ukraine eigentlich zu Russland gehört. Sie wollen das russische Imperium wieder zusammenfügen.

Könnte es zu einem Krieg zwischen den USA und China in nächster Zeit kommen, wie einige meinen?

Der Ballon-Zwischenfall hat einige Leute in den USA wachgerüttelt und hatte auch in Europa einen gewissen Effekt. Viele Leute – einige in den USA, viele in Europa, wenngleich schon weniger als früher, auch Kanzler Scholz – sprechen über eine Normalisierung der Handelsbeziehungen zu China, und das, obwohl Huawei oder ZTE oder andere Kommunikationsfirmen Waffen des chinesischen Staates sind. Wir sehen jeden Tag, wie China die internationalen Abmachungen attackiert, wie es das Ein-Land-zwei-Systeme-Abkommen für Hongkong zerstört hat. Ich denke nicht, dass wir jede Handelsbeziehung zu China untergraben müssen, aber wir sollten mit Wirtschaftsbeziehungen, die sensible nationale Sicherheitsbereiche tangieren, äußerst vorsichtig umgehen. Wenn Europa oder Deutschland China wie einen ganz normalen Handelspartner behandelt, dann ist das ein riesiger Fehler. Ein Krieg würde nicht von den USA ausgehen, er wäre die Folge eines chinesischen Angriffs auf Taiwan.

Auch in Washington gibt es Stimmen, die sagen, dass man Putin das von den Russen eroberte Land nicht zugestehen sollte, da man ihm sonst die Gelegenheit gebe, das Sowjetreich wiederherzustellen. Stimmen Sie zu?

Ich denke nicht, dass er die Sowjetunion wiederherstellen will, sondern eher das russische Imperium. Es ist eher ein zaristischer Ansatz, weniger ein kommunistischer. Das mag auf den ersten Blick keinen Unterschied machen. Putins Ansatz entspricht aber dem Gefühl der russischen Bevölkerung, die nicht zurück in ein kommunistisches System will. Der russische Nationalismus ist hingegen weit verbreitet. Deshalb müssen sich mehr Staaten als die Ukraine Sorgen machen.

Die Menschen in der Ukraine kämpfen mit einer so hohen Motivation für ihre Unabhängigkeit, dass es Präsident Wolodymyr Selenskyj schwerfallen dürfte, ein Friedensabkommen mit Russland zu schließen, bevor die russischen Invasoren das Land verlassen haben.

John Bolton

Was meinen Sie genau?

Die Staatschefs von Weißrussland, der Ukraine und Russland haben 1991 ein Abkommen unterzeichnet, welches festhielt, dass die UdSSR entlang der Grenzen der alten Sowjetrepubliken aufgelöst werden sollte. Mit Boris Jelzin hat dieses Dokument der einzige jemals frei gewählte Präsident Russlands unterschrieben. Wenn Putin sich jetzt hinstellt und sagt, das Abkommen sei illegitim, die damals akzeptierten Grenzverläufe sind nichts mehr wert, dann ist das eine Warnung an alle unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken. Jeder könnte nun ein Ziel sein. Moldawien, Georgien, Aserbaidschan, Armenien, die zentralasiatischen Republiken haben gute Gründe, sich Sorgen zu machen.

John Bolton
John Bolton, fotografiert im Jahr 2019. (Archivfoto) © Evan Vucci / AP / dpa

Bolton über den Panzerdeal im Ukraine-Krieg

Wenn Sie ein Friedensabkommen heute verhandeln müssten, wie würden Sie da vorgehen?

Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Bei Putin kann ich keinerlei Verhandlungsbereitschaft erkennen. Und die Menschen in der Ukraine kämpfen mit einer so hohen Motivation für ihre Unabhängigkeit, dass es Präsident Wolodymyr Selenskyj schwerfallen dürfte, ein Friedensabkommen mit Russland zu schließen, bevor die russischen Invasoren das Land verlassen haben. Die lettische Premierministerin sagte vor ein paar Monaten auf die Frage, was man Putin anbieten sollte: Was soll man ihm schon anbieten, er muss mit seinen Truppen raus aus dem Land. Das ist es, was auch die Ukrainer sagen.

Zur Person

John Robert Bolton, 74, arbeitete schon für die US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush senior im Justiz- und im Außenministerium, bevor er am 9. April 2018 zum Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump bestellt wurde. Von diesem Posten trat der US-amerikanische Politiker und Diplomat am 10. September 2019 zurück. Er war zudem von August 2005 bis Dezember 2006 US-Botschafter bei den Vereinten Nationen.

Bolton schilderte seine Sicht auf die Trump-Regierung in seinem Buch „Der Raum, in dem es geschah“, das den früheren Präsidenten als außenpolitischen Risikofaktor darstellte.

Könnte der Panzerdeal eine Wende bringen? Wie bewerten Sie da den deutschen Kanzler Scholz, konnte er Biden unter Druck setzen?

Wenn man eine Strategie hat, dann weiß man, dass man neue Panzer, Schützenpanzer, Flaks braucht. Aber wenn man ein Waffensystem nach dem anderen liefert, hat man noch lange keine Strategie entwickelt. Olaf Scholz hatte vielleicht Erfolg. Aber was hat es gebracht, sich hinter den USA zu verstecken? Der deutsche Kanzler sprach vor einem Jahr von der Zeitenwende, dennoch leistet Deutschland weiterhin nicht den militärischen Beitrag in dem Bündnis, zu dem es sich 2014 verpflichtet hat, nämlich endlich zwei Prozent seines BIP in seine Verteidigung zu investieren. In Japan gab es bereits in den 1990er Jahren eine Debatte zur Frage, ob man eine „normale Nation“ sein möchte, gerade erst wurde das Verteidigungsbudget verdoppelt. Vielleicht sollte Deutschland diese Diskussion auch einmal führen.

Werden die Europäer irgendwann für ihre eigene Sicherheit sorgen können?

Viele osteuropäische Staaten und auch Großbritannien tun eine Menge für ihre Sicherheit. Es geht nicht nur um die europäische Sicherheit beziehungsweise die der Europäischen Union. Die größte Bedrohung für den Westen im 21. Jahrhundert ist China, das nun der Seniorpartner von Russland ist, eine Verkehrung der Reihenfolge des Kalten Krieges. Vor 15 Jahren forderte der spanische Ministerpräsident, dass die Nato eine globale Organisation werden sollte, mit Australien, Singapur und Israel. Darüber sollte man sprechen, vor allem da ein Staat inmitten Europas eine Invasion erleidet.

Könnte Putin Atomwaffen benutzen, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt? Sollte man ihm klarer machen, dass das harte Folgen für ihn haben würde?

Man muss Atomwaffen immer ernst nehmen. Es ist denkbar, dass die ukrainischen Truppen die Russen hinter die Grenzen zurückdrängen und Putin als Folge davon angreifbar wird und daher darüber nachdenken könnte. Unsere Aufgabe ist es, ihm klarzumachen, dass er bei einem Einsatz von Atomwaffen sein eigenes Todesurteil unterschriebe. Das mag hart klingen, aber Atomwaffen einzusetzen, ist ebenfalls hart. Putin steht verantwortlich für das russische Militär, er wäre in einem solchen Fall ein eindeutiges militärisches Ziel.

Bolton denkt über Kandidatur für US-Wahl 2024 nach

In Europa wird vor allem eine Frage diskutiert, die auch auf den Ukraine-Krieg der Russen Auswirkungen haben könnte: Könnte Trump wiedergewählt werden?

Ich glaube nicht, dass Donald Trump von den Republikanern nominiert werden wird. Seine Zeit ist vorüber. Die Republikaner wollen im Jahr 2024 das Weiße Haus zurückerobern, und mit ihm wird das nicht möglich sein, das dürften mittlerweile alle verstanden haben. Auch Joe Biden wird von den Demokraten meiner Meinung nach nicht nominiert werden.

Und Sie wollen kandidieren, heißt es in US-Medien.

Ich denke noch darüber nach. Schon 2016 stand das für mich im Raum, da hatte ich mich jedoch dazu entschieden, nicht ins Rennen zu gehen. Aber das ist jetzt ein ganz anderes Jahr, und es sind ganz andere Umstände. Ich hatte allerdings nicht daran gedacht zu kandidieren, bis Trump vorhatte, die US-Verfassung zu zerstören.

Was denken Sie über Seymour Hershs Bericht, der die USA als Urheber der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines sieht?

Das ist nur eine Erfindung Hershs. Vermutlich war das Russland, um Druck auf Europa auszuüben, das Gas benötigt. Wenn die Pipeline zerstört ist, muss man mehr dafür zahlen. Die Schweden sagten ja, dass sie den Staat nicht identifizieren können, der dafür verantwortlich ist. Hershs Bericht ist reine Fiktion. (Interview: Michael Hesse)

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