Vor 30 Jahren: Johannes Rau und die Hammerschläge zur Eröffnung der Bauhütte
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Vor 30 Jahren: Johannes Rau und die Hammerschläge zur Eröffnung der Bauhütte

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Rückschau – Betrachtung – Ausblick in der Bauhütte, die dritte übrigens in der Geschichte der Wiesenkirche: Jürgen Prigl (vorn) mit (von links) Detlef Schönberger, Dombaumeister Gunther Rohrberg, Werner Paetzke, Dr. Brigitta Ringbeck, Dr. Bruno Denis Kretzschmar und Peter Füssenich freuen sich auf den Tag der offenen Tür in der Bauhütte, Walburger Straße 56, am Samstag,13. April, von 14 bis 17 Uhr.
Rückschau – Betrachtung – Ausblick in der Bauhütte, die dritte übrigens in der Geschichte der Wiesenkirche: Jürgen Prigl (vorn) mit (von links) Detlef Schönberger, Dombaumeister Gunther Rohrberg, Werner Paetzke, Dr. Brigitta Ringbeck, Dr. Bruno Denis Kretzschmar und Peter Füssenich freuen sich auf den Tag der offenen Tür in der Bauhütte, Walburger Straße 56, am Samstag,13. April, von 14 bis 17 Uhr. © Dahm

Ein denkwürdiger Tag prägte Soest vor 30 Jahren. Johannes Rau griff auf einen Hammer und einen Meißel. Was folgte, war der Auftakt einer Generationenarbeit.

Soest – Das passte, das klappte! Siebzehnmal sausten die Steinhauerhiebe von Johannes Rau auf den tonnenschweren Oberkirchener Sandsteinblock nieder. Dann löste sich die Steinnase, die Jürgen Prigl, damals Hüttenmeister, eigens für den symbolischen Eröffnungsschlag hatte stehen lassen. Geschafft. Das Publikum strahlte, und der Landesvater staunte ein wenig, denn eigentlich sei er eher den Füllfederhalter gewohnt, statt mit Hammer und Meißel zu hantieren, bekannte er. Das ist jetzt 30 Jahre her, ein denkwürdiger Tag in der Gemeinde-Chronik und der Beginn eines neuen Kapitels, damals stand die junge, moderne – und in der historischen Abfolge dritte – Bauhütte an St. Maria zur Wiese am Anfang ihres Weges.

Was ist bisher nicht alles geschehen, um die weit über Soest hinaus bekannte und als Meisterwerk ersten Ranges gerühmte gotische Halle in gemeinsamer Anstrengung, größer Sorgfalt und der gebotenen Sachkenntnis zu erhalten?! Eine Herkulesaufgabe! Eine komplette Generation kennt Maria zur Wiese nur eingerüstet. Allmählich rückt der Abschluss der Restaurierung in Sicht.

Ein Meißel, ein Block Sandstein und der Beginn einer Generationenarbeit

Die Eröffnung der Bauhütte jährt sich zum 30. Mal, ein guter Grund, kurz innezuhalten, um den Blick auf das, was war und was noch ansteht, zu richten. Alt-Dombaumeister Jürgen Prigl, zweiter Vorsitzender des Westfälischen Dombauvereins St. Maria zur Wiese und Kurator, erinnerte jetzt bei einem Werkstatt-Gespräch im Kreis von Wegbegleitern an den 13. April 1994, der ihn in vielen Details im Gedächtnis blieb. Zum Beispiel die Geschichte über den Sinn des Tuns, die Johannes Rau als Kind beeindruckt auf einem Kalenderblatt gelesen hatte und die er nun in Soest an den Anfang seiner Ansprache stellte: Drei Männer bei der derselben Arbeit – aber mit unterschiedlichem Eifer – werden von einem Passanten gefragt: Was machst du da? Und der erste Mann sagt griesgrämig: „Das sehen Sie doch, ich klopfe Steine.“ Der zweite erwidert gelangweilt: „Ich ernähre meine Familie.“ Er klopft ebenfalls Steine. Und der dritte sagte mit leuchtenden Augen: „Ich baue einen Dom.“ Und auch er klopft Steine.

Grüße an und von Christina Rau

Über diese Grüße aus Soest freute sich Christina Rau, Ehefrau des 2006 verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Johannes Rau, sehr. Jürgen Prigl erweist dem großen Freund der Wiesenkirche einmal mehr in besonderer Weise Referenz, denn er arbeitet derzeit an einer Rau-Chimäre, unentgeltlich und nur zur Übung, wie er sagt. Wer das in Stein gehauene Werk sieht, betrachtet es mit einem Lächeln: Das ist unverkennbar „Bruder Johannes“ in seiner besonnenen, unkomplizierten Art im Umgang mit den Menschen. Dr. Birgitta Ringbeck, die Vorsitzende des Westfälischen Dombauvereins St. Maria zur Wiese, schickte vom Termin in der Werkstatt per Handy-Nachricht ein Foto des von Prigl geformten Charakterkopfes an Christina Rau. Die Antwort kam prompt. Sie ist begeistert: Gut getroffen!

Chimären, also Fantasiegeschöpfe oder fiktive Mischwesen, faszinieren Jürgen Prigl schon lange – so sehr, dass der renommierte Fachmann beschloss, an St. Maria zur Wiese die 88 Figuren auf den markanten Türmchen (Fialen) zu erneuern. Ein spannendes Thema auch für den jungen Steinmetz Matthias Krabbe aus dem Sauerland, der in der Bauhütte derzeit sein fachliches Wissen erweitert und den Bogen schlägt zwischen traditionellem Handwerk und dem Einsatz moderner Technologie wie dem 3D-Druck.

Soest und die Wiesenkirche sind immer einen Ausflug wert, wissen der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich und Hüttenmeister Uwe Schäfer, die nun zum Gratulieren vom Rhein nach Soest fuhren und von Jürgen Prigl freundschaftlich-kollegial begrüßt wurden. Sie vertraten sozusagen den „großen Bruder“ Kölner Dom. Doch schöne kleine Schwestern könnten in besonderer Weise glänzen, traf Peter Füssenich mitten in Westfalen den richtigen Ton und drückte charmant aus, was es heißt, wenn ein Rheinländer mit gewisser Gelassenheit meint: „Mer muss och jünne künne (Man muss auch gönnen können)!“

Förderzusage von 1990 ermöglichte Einrichtung der Dombauhütte

Recht hat er, dürften ihm Jürgen Prigl und Dr. Birgitta Ringbeck, die Vorsitzende des Westfälischen Dombauvereins St. Maria zur Wiese, aus vollem Herzen zugestimmt haben, ebenso Wiese-Dombaumeister Gunther Rohrberg, Dr. Bruno Denis Kretzschmar vom Landesdenkmalamt, Steinmetzmeister Werner Paetzke und Detlef Schönberger, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe, die das 30-Jährige ebenfalls würdigten. Die Besucher aus Köln wünschten viel Glück und alles Gute für die nächsten 30, besser 300 Jahre. Peter Füssenich nahm erfreut eine Kopie der in den 1980-Jahren von Prof. Arnold Wolff – unvergessener langjähriger Dombaumeister in Köln – erstellten Expertise zur Einleitung der Restaurierung von Maria zur Wiese entgegen. Jürgen Prigl trug Füssenich zudem die Mitgliedschaft im Kuratorium an. Dafür dankte dieser herzlich. Eine schöne Aufgabe und eine besondere Anerkennung.

Die Einrichtung der neuen Dombauhütte geschah anhand einer Förderzusage des Landes 1990. Ausgangspunkt war 1985 ein großer Ministerialtermin auf Grundlage des Gutachtens von Arnold Wolff zur Erhaltung der Westfassade und der Umfassungsmauern, nachdem 1983 Pfarrer Heinz-Georg Scholten ernsthafte Schäden am Bauwerk gemeldet hatte.

Gäste aus Politik und Handwerk

Nach der Eröffnung der Bauhütte im April 1994 wurde von der Staatskanzlei ein Kontakt hergestellt zwischen der Handwerkskammer Dortmund und Jürgen Prigl als Leiter der Bauhütte. Es folgte der Aufbau einer Meisterschule für Steinmetzen und Bildhauer an der Dombauhütte, die am 25. April 1997 durch den Innenminister Franz-Josef Kniola und Handwerkspräsident Otto Kentzler eröffnet wurde.

Besuch von Johannes und Christina Rau im Dezember 2003 in der Bauhütte der Wiesenkirche. Vor dem festlichen Konzert „Weihnachten mit dem Bundespräsidenten“ signierte Johannes Rau in der Werkstatt einen Stein für das Friedenstor der Kinderfeldkirche mit einem Bibelvers aus dem Buch der Richter: „So sollen umkommen Herr, alle deine Feinde. Die ihn aber lieb haben, sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht...“ archi
Besuch von Johannes und Christina Rau im Dezember 2003 in der Bauhütte der Wiesenkirche. Vor dem festlichen Konzert „Weihnachten mit dem Bundespräsidenten“ signierte Johannes Rau in der Werkstatt einen Stein für das Friedenstor der Kinderfeldkirche mit einem Bibelvers aus dem Buch der Richter: „So sollen umkommen Herr, alle deine Feinde. Die ihn aber lieb haben, sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht...“ archi © Dahm

Jürgen Prigl nennt die weiteren Stationen: 1998 besuchte Ministerpräsident Wolfgang Clement sowohl die Bauhütte als Bildungsstätte als auch die Wiesenkirche und lud danach im Advent zum Landeskonzert ein. 1999 legte er den Grundstein zur Sanierung des Nordturmes. Am 21. August 1998 fand in der Dombauhütte ein mit französischen Freunden vorbereiteter internationaler Gesprächskreis zur Bildung und Kultur im Handwerk der Steinmetzen statt.

Fertigstellung des Nordturmes ist für 2027 angestrebt

Dieser wuchs in den Folgejahren als „Soester Runde“ an, und 2003 gründeten in Brüssel 16 Nationen als Europäische Vereinigung für gestaltendes Handwerk die EACD (European Association of Building Crafts and Design, Europäische Vereinigung im gestaltenden Handwerk, der Baukultur und Denkmalpflege); 2006 wurde, auf Vermittlung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers unter der offiziellen Schirmherrschaft des EU-Kommissars für Bildung und Kultur, beispielhaft für ausgesuchte Stipendiaten eine Europatournee an Kathedralen, Bildungseinrichtungen und renommierten Unternehmen kreiert. Die Bildungsmaßnahme war später ein Argument im Antrag an die UNESCO, welche 2020 schließlich weltweit das Bauhüttenwesen zum immateriellen Kulturerbe erklärte. Zusätzlich wurde 2007 auf dem Gelände der Bauhütte aus einer alten Scheune ein Grünsandsteinmuseum errichtet.

Die Bauhütte vollendete gemäß einer vom Land NRW 1997 erstellten Planung 2013 den Südturm. Zusätzlich waren um den Jahrtausendwechsel ein Glockenstuhl mit neuen Glocken eingebaut worden sowie 17 neue Fenster. 2003 ließ Johannes Rau als Bundespräsident ein Weihnachtskonzert von bundesweiter Tragweite veranstalten. 2014 erfolgten die Einrüstung des Nordturmes und der sofortige Weiterbau dort. Hinzu kam ein überjähriges Programm der Restaurierung historischer Fenster und deren Schutzverglasung. Die Fertigstellung des Nordturmes ist für 2027 angestrebt. Die 2019 begonnene Instandsetzung der Traufgesimszone umfasst auch die Erneuerung der Maßwerkgalerie sowie 22 Fialen mit jeweils vier Chimären.

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