Joseph Goebbels war zufrieden. „Lange noch mit General Jodl technische Fragen besprochen“, notierte der Propagandaminister am 4. Dezember 1940 in sein Tagebuch: „Mit ihm kann man gut arbeiten, weil er so zuverlässig ist.“ Allerdings blieb das Verhältnis nicht immer so freundlich entspannt; während die 6. Armee in Stalingrad vor dem endgültigen Zusammenbruch stand, schob Goebbels dem Wehrmachtsoffizier die Mitschuld für den Zusammenbruch der deutschen Front zu: „Der Führer hat eigentlich gar nicht gewollt, dass unsere Bundesgenossen an der Ostfront eingesetzt wurden; aber Jodl hat ihn dazu überredet, selbstverständlich aus besten Beweggründen“, diktierte er seinem Sekretär am 23. Januar 1943 und fuhr fort: „Das rächt sich heute ungeheuer bitter.“
Wer war dieser Alfred Jodl? Aktuell ist die Frage durch den Rechtsstreit zwischen dem Aktionskünstler Wolfram Kastner und dem Großneffen einer der beiden Ehefrauen Jodls. Kastner hatte eine kreuzförmige Tafel zwischen dem Grab dieser beiden Ehefrauen beschädigt und mit roter Farbe beschmiert. Auf dem Kreuz steht der Name Alfred Jodl. Kastner wollte gegen die Ehrung für den in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilten und hingerichteten Wehrmachtsgeneral protestieren.
Das Landgericht München hat Kastner jetzt verurteilt, den entstandenen Schaden zu bezahlen. Sein Handeln sei „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berechtigt“, heißt es in der Urteilsbegründung, die WELT vorliegt. Kastner könne sich auch nicht auf das Recht zur freien Meinungsäußerung oder die Kunstfreiheit berufen. Zudem handele es sich bei dem Gedenkkreuz nicht um Volksverhetzung, wie Kastner argumentiert hatte.
Jodl war 1890 unehelich geboren worden; seine Eltern durften nicht heiraten, weil seine Mutter als nichts standesgemäß für einen bayerischen Berufsoffizier aus bürgerlichem Hause galt. Erst nach dem Ausscheidens des Vaters aus dem Militärdienst 1899 heirateten sie; nun durfte der kleine Alfred den Namen Jodl tragen.
So eine kindliche Demütigung kann prinzipiell zwei Folgen haben: entweder Verachtung für das starre System, das seine Eltern an ihrer Liebe hatte hindern wollen – oder den Wunsch, eben dieses System selbst zu beherrschen. Alfred Jodl entschied sich für den zweiten Weg und trat mit 13 Jahren ins königlich-bayerische Kadettenkorps ein.
„Ich kann wohl sagen, der Soldatenberuf lag mir im Blute“
Im Verhör in Nürnberg begründete er seine Entscheidung schlicht. „Ein Urgroßvater von mir war Offizier, mein Vater war Offizier, mein Onkel war Offizier, mein Bruder wurde Offizier, mein späterer Schwiegervater war Offizier. Ich kann wohl sagen, der Soldatenberuf lag mir im Blute.“
Jodl wählte den schwierigsten Weg seiner Zeit, die Zulassung zum Artillerieoffizier, und machte Karriere: 1910 Fähnrich, 1912 Leutnant, dann Fronteinsatz und 1916 die Beförderung zum Oberleutnant. Mehrfach wurde er verwundet. Nach Kriegsende galt er als aussichtsreicher Offizier und wurde in die auf 100.000 Mann geschrumpfte deutsche Armee übernommen, die Reichswehr.
Mit Politik hatte der Bayer, der nacheinander in Landsberg, München und schließlich Berlin diente, nichts zu tun; seine beiden wichtigsten Förderer waren der erklärte Nazi-Gegner General Wilhelm Adam und der überzeugte Nationalsozialist Konstantin Hierl. Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ las Jodl nicht, und Antisemit war er auch nicht.
In die Nähe des Diktators kam der Karriereoffizier allerdings trotzdem: Als Mitarbeiter im neuen Oberkommando der Wehrmacht (OKW), einer eigentlich überflüssigen neuen Hierarchie, versuchte er, die Zentralisierung der Armee voranzutreiben. Darüber geriet er in Konflikt mit den selbstbewussten Vertretern der einzelnen Waffengattungen, vor allem des Heeres. Dieser Druck wiederum machte Jodl als militärischen Berater für Hitler attraktiv.
Leitung des Wehrmachtführungsamtes
Wenige Tage vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen übernahm Jodl die Leitung des neu geschaffenen Wehrmachtführungsamtes im OKW, das 1940 in Wehrmachtführungsstab umbenannt wurde. Nun war er der engste Berater Hitlers in allen Fragen der Gesamtkriegführung. OKW-Chef Wilhelm Keitel hingegen vertrat Hitlers Befehle gegenüber der Wehrmacht, was ihm seiner Willfährigkeit dem Diktator gegenüber den bitteren Spitznamen „Lakeitel“ eintrug.
Beide gehörten zum engsten Kreis des Führerhauptquartiers und waren im Prinzip bei allen Lagebesprechungen dabei; es gab nichts an der Kriegsplanung und Kriegsführung, was sie nicht erfuhren. Jodl, der rein fachlich ein exzellenter Militär war und Keitel intellektuell deutlich überlegen, ließ sich immer mehr von Hitler faszinieren. Oft saß er mit ihm zusammen und erklärte dem Gefreiten des Ersten Weltkrieg die Grundsätze der Kriegskunst; umgekehrt näherte er sich immer stärker dem Nationalsozialismus an.
Gleichwohl war das Verhältnis der beiden nicht freundschaftlich-entspannt; im Gegenteil gab es längere Phasen, in denen Hitler Jodl missachtete. Doch die Kraft, daraus Konsequenzen zu ziehen und sich aus dem Führerhauptquartier versetzen zu lassen, fand der Chef des Wehrmachtsführungsstabes zunächst nicht.
Erst nachdem ein Wutausbruch Hitlers ihn im September 1942 getroffen hatte, bemühte sich Jodl um ein Frontkommando, doch Hitler kanzelte ihn ab: „Ob und wann Sie gehen, bestimme ich.“ Aus Pflichtgefühl setzte Jodl seine Arbeit fort, doch gleichzeitig konnte er sich Hitlers Charisma nicht entziehen.
Inzwischen war der zum Generalobersten beförderte Jodl zum Leiter aller Operationen zu Lande außer der Ostfront aufgestiegen; und obwohl er diese Aufgabe angesichts der ungeheuren materiellen Überlegenheit von Briten und Amerikanern natürlich nicht mit dem erwünschten Erfolg meistern konnte, verstieß Hitler ihn nicht.
Am 22. April 1945, das Dritte Reich bestand nur noch aus der Innenstadt von Berlin und einigen Gebieten in Sachsen, dem besetzten Tschechien, Österreichs und Nordwestitaliens, trug Jodl zum letzten Mal im Führerbunker die Lage vor. Hitler reagierte mit dem vielleicht schlimmsten Tobsuchtsanfall seines Lebens. Aber wieder entließ er den General nicht.
So amtierte Alfred Jodl Anfang Mai 1945 als neben Wilhelm Keitel wichtigster Offizier der Wehrmacht – und unterzeichnete am frühen Morgen des 7. Mai 1945 im Hauptquartier der Westalliierten in Reims die Kapitulation der Wehrmacht. Stalin genügte das nicht; er verlangte eine zweite Unterzeichnung in Berlin-Karlshorst.
Jodls Weg führte nun in die Gefangenschaft und auf die Anklagebank im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Hier wurden ihm alle vier Vorwürfe zur Last gelegt – Verschwörung gegen den Frieden, Vorbereitung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen gegen gegnerische Truppen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der ersten drei Anklagepunkte war Jodl eindeutig schuldig: Er hatte den Zweiten Weltkrieg als zweiter Mann des OKW vorbereitet und durchgeführt und dabei schwere Kriegsverbrechen zu verantworten, besonders den Kommissarsbefehl gegen sowjetische Politoffiziere und den Kommandobefehl, der westliche Spezialkräfte direkt dem Mord auslieferte.
Aber wie war es mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Hier warf das Gericht Jodl unter anderem zwei Taten vor: die mehr als zweijährige Aushungerung Leningrads Ende 1941 bis Anfang 1944 sowie die Zerstörung von bis zu 30.000 Häusern in Nordnorwegen. Jodl bestätigte seine entsprechenden Weisungen, behauptete aber, dafür keine Verantwortung zu tragen; er habe auf Befehl Hitlers gehandelt.
Das Gericht akzeptierte diese Verteidigungsstrategie nicht; das allerdings durchaus umstrittene Urteil lautete schuldig im Sinne der Anklage, das Strafmaß Tod durch den Strang. Am 16. Oktober 1946 gegen zwei Uhr morgens starb Alfred Jodl am Galgen, sein Leichnam wurde unter dem Decknamen „Archibold K. Struthers“ eingeäschert und die Asche in die Isar gestreut.
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