Weckruf von Alt-Bundespräsident Gauck in Frankenberg
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Weckruf von Alt-Bundespräsident Gauck in Frankenberg

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Dem „Weckruf“ des Altbundespräsidenten Joachim Gauck, wie dem inneren und äußeren Druck auf eine liberale Demokratie zu begegnen sei, folgte das Publikum mit gespannter Anteilnahme. Thea Dorn regte ihn dazu mit engagierter Moderation an.
Dem „Weckruf“ des Altbundespräsidenten Joachim Gauck, wie dem inneren und äußeren Druck auf eine liberale Demokratie zu begegnen sei, folgte das Publikum mit gespannter Anteilnahme. Thea Dorn regte ihn dazu mit engagierter Moderation an. © Eva-Maria Schmidt

Beim Gastauftritt von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck beim Literarischen Frühling in Frankenberg ging es um aktuelle Politik und Sorgen um die Demokratie.

Frankenberg – Der Titel seines jüngsten Buchs „Erschütterungen“, das er zusammen mit der Publizistin Helga Hirsch geschrieben hat, gefiel dem Autor Joachim Gauck selbst erst mal gar nicht. „Ich fühle mich doch eigentlich zuständig für die Zuversicht“, versichert der ehemalige Bundespräsident auf der Bühne des mit rund 750 Zuhörern ausverkauften Philipp-Soldan-Forums in Frankenberg. Aber er bekennt sich dann doch zu seinem dramatischen Weckruf in einer Krisenzeit, „weil unsere Demokratie von innen und außen erschüttert wird“.

Der Abend gerät, immer wieder vom Beifall des Publikums bestärkt, zu einem großen Appell, statt einen „nostalgischen Pessimismus“ zu pflegen, stärker den Menschen klarzumachen, „wie wir aus der bitteren Not unserer Vorväter heraus ein Land gebaut haben, das heute für unzählige Menschen auf der Welt ein Sehnsuchtsort ist, ein Land der Rechtssicherheit, ein Sozialstaat, in dem niemand um seine Freiheit betrogen wird“.

Thea Dorn, die Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin, die nach einer kurzen Leseprobe des Autors aus seinen „Erschütterungen“ das Gespräch mit ihm führt, nennt Gaucks Zustandsbeschreibung der deutschen Demokratie „ein Buch der Stunde. Wir spüren es, dass Deutschland tief in der Krise steckt.“ Sie führt Studien an, nach denen auch weltweit nur 8 Prozent der Menschen in einer vollständigen Demokratie, hingegen 40 Prozent in klar autoritären Systemen leben. Sie will wissen: Wie empfindet ein Theologe, der die friedliche Revolution in der DDR als führendes Mitglied des Neuen Forums in Rostock miterlebt und erkämpft hat, diese Gefahr?

Gauck beschreibt seine Jugend in der DDR

Eigentlich hebt sich Joachim Gaucks aktuelles Buch im kritischen Diskurs mit deutscher Gegenwart deutlich von üblichen (und seinen früheren) autobiografischen Politiker-Memoiren ab. Aber er wird in solchen Momenten auf der Bühne des Philipp-Soldan-Forums dann doch ganz persönlich, thematisiert Ängste, erzählt Beispiele. Er beschreibt seine Jugend in der DDR, den erfüllten Traum von der Freiheit 1989, dann wie sich jetzt, „am Abend meines Lebens, das Gefühl der Sicherheit reduziert, unsere liberale Demokratie eine doppelte Bedrohung durch den russischen Angriffskrieg von außen und die rechtspopulistischen Kräfte von innen erfährt“.

Thea Dorn stellt mehrfach die Frage, wie man dem allen als „Citoyen“, als aufgeklärter Staatsbürger im Sinne J. F. Kennedys von 1961 („Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt!“), entgegenwirken kann. Gauck fordert mehr Selbstbewusstsein und Engagement gegenüber einer „Fluchtbereitschaft aus der Verantwortung heraus“ (Erich Fromm: Escape from Freedom). Es gelte, Ängste aus der Mitte der Bevölkerung aktiv aufzufangen, wertkonservative Angebote zu definieren. „Man muss den Mut haben, eine Veränderung zu debattieren. Das Thema Migration hat überall dafür gesorgt, dass nationalpopulistische Parteien reüssieren.“

„Erschütterungen“ handsigniert: Viele Male musste Gauck nach dem Vortrag sein neues Buch den Besuchern widmen
„Erschütterungen“ handsigniert: Viele Male musste Gauck nach dem Vortrag sein neues Buch den Besuchern widmen © Privat

Nach den inneren Problemen der Demokratien um Deutschland geht Thea Dorn ein auf Gaucks „flammendes Plädoyer, dass sich die Deutschen nicht aus Angst vor dem mächtigen Russland dazu verleiten lassen sollen zu glauben, dass Appeasement-Politik (Beschwichtigung) den Frieden sichern kann“. Von der Ostpolitik früherer Bundesregierungen handelt auch der erste, größte Teil von Gaucks Buch, den er lediglich streifen kann.

Plötzlich habe dieses Politikmodell nach Willy Brandt und Helsinki-Verträgen nicht mehr funktioniert, mit Putins Annexion der Krim und der Ost-Ukraine sei ein „Nicht-Wahrnehmen der Wirklichkeit“ verbunden gewesen, das dem „Kriegsbrandstifter“ einen unprovozierten Angriffskrieg ermöglicht habe, bedauert der Politiker und tritt für größere Verteidigungsbereitschaft ein.

„Demokraten haben in dieser Welt noch eine Menge zu tun“, schloss Joachim Gauck, „hier und auch im globalen Süden. Dazu brauchen wir Mut, Willen und Zutrauen. Wir wollen es miteinander trainieren.“

Dank gab es von Festivalleiterin Christiane Kohl für einen tiefgehenden politischen Diskurs, langen, stehenden Beifall vom Publikum. Joachim Gauck musste dann noch viele Bücher signieren.

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