Jens Spahn (CDU) sitzt auf der Regierungsbank im Plenarsaal des Bundestags, die Hände locker auf den Oberschenkeln abgelegt. Sprachlos, das Gesicht – offenbar ausdruckslos – hinter einer Maske. Neben ihm (SPD), ebenfalls mit Maske, in Papieren blätternd, auf dem Handy tippend. Auch er grimmig und sprachlos. Sie sitzen dort wie auf einer Anklagebank: Gesundheitsminister Spahn ganz klar, Arbeitsminister Heil ein wenig.
Sie würdigen sich kaum eines Blickes. 60 Minuten lang. So ist das bei Aktuellen Stunden im Parlament, wenn Minister unterschiedlicher Parteien, die sich in der Sache nicht einig sind, bei diesem Anlass im Feuer stehen. Eine Stunde werden die beiden mit Vorwürfen zur jüngsten Maskenaffäre konfrontiert, von Abgeordneten aller Parteien.
Es soll aufgeklärt werden, ob es wahr ist, dass das Gesundheitsministerium minderwertige Corona-Masken geordert und eigene Prüfstandards kreiert hat, um dann am Ende nur bedingt schützende Masken unters Volk zu bringen – an sozial Schwache, Kranke.
Aber diese Aktuelle Stunde im Bundestag schafft keine Klarheit. Kann sie ja auch nicht. Die richtigen Fragen werden immerhin gestellt. Vor allem aber bietet sie der Opposition die Gelegenheit für eine Generalabrechnung mit dem Gesundheitsminister und ein wenig mit der SPD – und sie bietet Szenen einer zerrütteten Polit-Ehe.
CDU/CSU und SPD beharken sich im Bundestag, als würden sie sonst nicht gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen, sondern wären politische Gegner. Die Debatte zeigt, dass die Zeit der GroKo endgültig abgelaufen ist. Und das nicht, weil schon Wahlkampf wäre; dessen Start lässt weiter auf sich warten. Sondern weil die Koalitionäre müde sind, einander leid und überdrüssig. Sie können nur hoffen, in den Wochen bis zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl Ende September nicht noch große Herausforderungen gemeinsam meistern zu müssen.
Nach knapp einer Stunde, als letzter Redner, tritt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ans Mikro. Da hat sich die größte Erregung schon gelegt, der Ton ist wieder sachlich geworden. Aber die Wunden sind groß, so groß, dass Ziemiak in Richtung SPD noch mal austeilt:
„Es gibt ein wunderbares Buch, ,Fredy flunkert‘“, sagt Ziemiak. „Nett und liebevoll“ würden darin Charaktere beschrieben. Es sei ein gutes Buch darüber, Kindern beizubringen, was passiert, wenn man schwindle und lüge und andere schlechte Dinge tue. „Das sollte man mal verteilen“, sagt Ziemiak an die Adresse der SPD. Und das ist nach den Reden zuvor fast schon eine liebevolle Kritik.
Die Linke beantragte diese Aktuelle Stunde, nachdem die Berichte über vermeintlich minderwertige Masken, die Spahns Leute an Obdachlose, Behinderte und hätten verteilen wollen, die Runde gemacht hatten. Aber die Linke nutzt ihre Chance nicht, Klarheit in die Vorgänge zu bringen oder das zumindest zu verlangen. Wie der FDP geht es ihr um eine Generalabrechnung mit der großen Koalition, besonders mit der Corona-Politik Spahns. Richtig scharf wird der Ton aber erst, als Vertreter von Union und SPD ans Pult treten – und sich den jeweiligen Koalitionspartner vorknöpfen.
Das Bemerkenswerte sei nicht, dass kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein an „den Haaren herbeigezogener Skandal“ öffentlich geworden sei, stellt fest. „Der Skandal ist das Handeln aus dem Willy-Brandt-Haus und der SPD“, des „Leitungspersonals des Koalitionspartners“, attackiert Maag die Sozialdemokraten.
SPD-Chefs hatten bereits ausgeteilt
Nachdem der „Spiegel“ berichtet hatte, dass das Bundesgesundheitsministerium Corona-Masken in Umlauf habe bringen wollen, die nicht die sonst hohen Qualitätsstandards in der EU erfüllten, und dafür ausgerechnet sozial Schwache als Zielgruppe auserkoren habe, erklärte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans: Es sei „unwürdig und menschenverachtend, wenn ein Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteilt, nämlich die mit Anspruch auf qualitätsgeprüfte Masken und die, für die absolut untaugliche Masken gut genug sind, um ihr Leben eben nicht zu schützen“.
Seine Co-Vorsitzende Saskia Esken sprach von einer „beispiellosen Verachtung“ für Teile der Gesellschaft und forderte Spahn indirekt zum Rücktritt auf: „Mit dieser menschenunwürdigen Haltung hat man in der Politik nichts verloren.“ Dabei hatten sich Union und SPD schon ein halbes Jahr zuvor auf einen Umgang mit den fraglichen Masken geeinigt. Die Empörung kam also ziemlich spät. Sehe so faire Wahlkampfführung aus, von der die SPD spricht, fragt CDU-Generalsekretär Ziemiak im Bundestag süffisant. Antwort: Nein, die SPD verstoße ja dagegen.
Die Union sieht sich in der Maskenaffäre also von der SPD getrieben und von den letzten guten Koalitionsgeistern verlassen. Die SPD wiederum stellt Fragen, denen man in der Tat nachgehen sollte – und eigentlich längst hätte müssen.
SPD-Fraktionsvize Katja Mast weist die Vorwürfe empört zurück, ihre Partei treibe mit der Maskenaffäre Ränkespiele und nutze die Lage für Wahlkampfmanöver. „Eines lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen – den Vorwurf einer parteipolitischen Debatte“, sagt sie, an die Union gerichtet. „Es geht hier einzig und allein darum, dass wir in der Pandemie alle Menschen im Land im gleichen Maße schützen.“ Zu den Vorwürfen der Union gegen die SPD sagt Mast: „Nichts davon ist wahr.“ Auf Zwischenrufe aus der Unionsfraktion reagiert sie verärgert mit den Worten: „Ihr Schreien bestätigt, dass ich recht habe.“
Die Fragen, die Mast stellt, sind die richtigen. Aber warum hat die SPD diese nicht schon vor einem halben Jahr gestellt? Damals waren die Maskenfrage und die der Qualitätsstandards in der Koalition heiß diskutiert und schließlich zu den Akten gelegt worden. Sprich: Die fragwürdigen Masken sollen in die nationale Reserve wandern. Und nur wieder hervorgeholt werden, wenn der absolute Maskennotstand herrscht.
Nun aber will die SPD-Fraktionsvizechefin wissen: „Wurde der Schutz durch das Haus Spahns gewährleistet? Gab es Versuche, die Qualitätsstandards zu unterlaufen? Gab es Versuche, die Masken an sozial Benachteiligte zu verteilen?“ Die richtigen Fragen, aber eben spät.
Im Grunde geht es bei dem Zwist über die Masken um einen Punkt: Ist der Standard für Corona-Masken, den das Bundesarbeitsministerium vorgibt, nötig für optimalen Schutz? Oder reicht die Prüfnorm, die sich das Gesundheitsministerium ausgedacht und als Standard verordnet hat? Die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink will das ganz genau wissen: „Kommen wir doch auf das Thema der Aktuellen Stunde zurück“, mahnt sie die Koalitionäre.
Der Verdacht, dass am Ende minderwertige Masken ausgegeben wurden, sei „tief verstörend“. „Wir verlangen sachliche Aufklärung und maximale Transparenz“, sagt Klein-Schmeink, an die GroKo gerichtet. „Geben Sie Einsicht in alle Akten, in die Prüfberichte. Damit die Gesundheitsreserve nicht am Ende aus Schrottmasken besteht.“