Man war wieder wer – in den 1950er Jahren am Steuer der formsch�nen Isabella. Die Automobilfirma Borgward war Synonym f�r das westdeutsche Wirtschaftswunder, doch so kometenhaft der Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg, so abrupt kam 1960 der pl�tzliche Fall. Autor-Regisseur Marcus O. Rosenm�ller hat die Geschichte um die erste gro�e Unternehmenspleite der Nachkriegszeit als Doku-Drama verfilmt. Dem „Meister“ selbst legt Rosenm�ller sieben Komponenten des Untergangs in den Mund: die nicht wasserdichte Arabella, die Exporteinbr�che, zu viele Modelle, zu hohe Kosten, keine Bank hinter sich, der Senat, schlie�lich ein halbseidener Sanierer. „Die Aff�re Borgward“ (NDR / Cinecentrum) ist ein dichter, informationsges�ttigter 90-Min�ter, der die Interessenskonflikte von Politik & Wirtschaft beleuchtet, aber auch ein pers�nliches Drama erz�hlt. Thomas Thieme gibt dem analytischen Film, der nat�rlich anders funktioniert als ein Spielfilm, die n�tige Seele. Cool: statt Zeitzeugen werden Charakteren/Schauspielern Originalzitate in den Mund legt.
Foto: NDR / J�rg LandsbergDer Lieblingsplatz: Carl Borgward (Thomas Thieme) in seinem Konstruktionsb�ro
Man war wieder wer – am Steuer der formsch�nen Isabella. Die Automobilfirma Borgward war Synonym f�r das westdeutsche Wirtschaftswunder, allerdings nur f�r ein einziges glanzvolles Jahrzehnt. So kometenhaft der Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg, so abrupt kam der pl�tzliche Fall im Jahre 1960. Das gr��te Pfund der Firma war ihr Besitzer, der geniale Autokonstrukteur Carl Borgward, Jahrgang 1890, der 1932 seinen ersten Pkw kreierte, bevor er in Nazi-Deutschland Sch�tzenpanzer und Granatwerfer herstellte. „Der Gesch�ftsmann ohne Gesch�ftssinn“ war aber zugleich auch der Hauptverursacher des Niedergangs. Er stemmte sich massiv dagegen, seine drei Firmen in eine Aktiengesellschaft zu �berf�hren, um so Eigenkapital aufzubauen. „Meine Unabh�ngigkeit ist nicht verhandelbar“, sagt Thomas Thieme im Film „Die Aff�re Borgward“. Und so geht dem Selfmade-Unternehmer, der neben Lkws und Pkws auch Rennwagen und sogar einen Helikopter entwickelte, bald das Geld aus. „Es ist an der Zeit, dass Bremen dir was zur�ckgibt“, beruhigt ihn seine Frau. Der Senat jedoch befand sich in einem riesigen Dilemma: W�rde er Borgward den Kredit von 50 Millionen Mark gew�hren, so w�re das ein Versto� gegen die Grundlagen einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik. W�rde der Senat nicht helfen, k�men 22.000 Arbeitslose auf ihn zu und Bremen w�re wohl nicht l�nger das reichste Bundesland.
Foto: NDR / J�rg Landsberg"Ich kann diese Kerle nicht ausstehen." Noch kann sich der Unternehmer Carl Borgward (Thomas Thieme) mit seinen 22.000 Arbeitspl�tzen seine Arroganz leisten. Wenig sp�ter steht er als Bittsteller vor dem Bremer B�rgermeister (J�rgen Heinrich).
Der Autor-Regisseur Marcus O. Rosenm�ller („Wunderkinder“) hat die Geschichte um die erste gro�e Unternehmenspleite der Nachkriegszeit, die bei wirtschaftskundigen Menschen noch heute ungl�ubiges Kopfsch�tteln hervorruft, als Doku-Drama verfilmt. Der 90-Min�ter wirft zahlreiche Fragen auf. Wieso wurde gerade in den vielzitierten Wirtschaftswunderjahren kein Retter f�r das schlingernde Unternehmen mit dem so makellosen Image gefunden? Welche Rolle spielte die Politik bei der Entscheidung, Borgward fallen zu lassen? H�tte Ludwig Erhardt in Bonn ein schwarzes Bundesland ein Jahr vor der n�chsten Bundestagswahl genauso abblitzen lassen wie den roten Bremer Senat? Und welche unr�hmliche Rolle spielte der Sanierer, der gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender von BMW war und der im Film den Quandts ein Riesengesch�ft in Aussicht stellt („Ich lege Ihnen Borgward auf den Tisch“). Daraus wird am Ende zwar nichts, die wegweisende Konstruktionsabteilung von Borgward l�sst man allerdings systematisch ausbluten und zieht die besten Kr�fte der Firma in Richtung BMW ab. Was Rosenm�ller zu dem h�bschen Bonmot veranlasst: BMW = „Borgward macht weiter“. Rhetorik und Polemik gibt es auf allen Seiten: So wettert der Bremer Wirtschaftssenator gegen den Mann, der ihn einst �ffentlich blo�stellte, das Borgward-Image beschr�nke sich mittlerweile aufs „Borgen und Warten“. Dem „Meister“ selbst legt Rosenm�ller am Ende seines Films sieben Komponenten des Untergangs in den Mund: das Wasser in der Arabella, die Exporteinbr�che, zu viele Modelle, zu hohe Kosten, keine Bank hinter sich, der Senat und schlie�lich dieser vermaledeite Sanierer Semler.
Foto: NDR / J�rg LandsbergPerfekte Besetzung: Thomas Thieme. Ruppig, leise & der Wille zur sch�nen Form
�ber die Verwendung von Originalzitaten
„In den von Schauspielern vorgetragenen Zeitzeugen-Segmenten h�ren wir echte Zitate der historischen Figuren, die schriftlich belegt sind oder aus TV- und Radioberichten stammen. Andererseits war es unser Bestreben, auch in die Dialoge m�glichst viele �berpr�fbare Zitate einzubauen. Das ist eine besondere Herausforderung gewesen. Die historisch �berlieferten S�tze der Akteure sind echte Highlights, mal wahnsinnig witzig, mal dramatisch von gro�em Wert. Aber weder Politiker noch Wirtschaftsbosse sprechen unentwegt in Jahrhundertzitaten. Wir mussten also die Zwischent�ne finden und die privaten Momente so gestalten, dass sie den Figuren gerecht werden.“ (Marcus O. Rosenm�ller, Buch & Regie)
Foto: NDR / J�rg LandsbergSie entmachten Borgward und �bernehmen dessen Werke: Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff (August Zirner), B�rgermeister Wilhelm Kaisen (J�rgen Heinrichs) & Wirtschaftssenator Karl Eggers (Andr� Kl�hn). Ein ungew�hnlicher Vorgang 1960.
Die Kunst eines Doku-Dramas ist es, die richtige Balance zu finden zwischen Film und Wirklichkeit, zwischen Spiel und Fakten, zwischen Erz�hlfluss und Informationsvermittlung. Einem solchen Hybrid ist weder mit dem Spielfilm- noch dem Doku-Blick beizukommen und schon gar nicht mit Kriterien, die man m�glicherweise an diese Gattungen anlegt. Nat�rlich gibt es einige Szenen, in denen Figuren Sprachrohrcharakter bekommen, damit der Zuschauer beispielsweise erf�hrt, dass sich dieser Mann aus kleinen Verh�ltnissen hochgearbeitet hat, dass er mit den Nazis erfolgreich kooperierte und dass eben dieser Wehrwirtschaftsf�hrer unter Hitler nun unter Adenauer das Bundesverdienstkreuz umgeh�ngt bekommt. Aber nur selten hat man den Eindruck, Erkl�rdialogen beizuwohnen. Und auch wenn man wei�, wie die reale Geschichte ausgeht, so werden hier nicht einfach nur die Tatbest�nde bebildert. Vielmehr versucht Rosenm�ller immer wieder, visuelle Metaphern zu finden, die �ber die dokumentarisch (ab)gesicherte Handlungsebene hinausgehen. Ein verzweifelt paffender Borgward, am Zaun vor dem Werksgel�nde, ein Verlorener, dem man seinen Lebenssinn genommen hat, ist eines dieser nachhaltigen Bilder. Nicht nur daf�r ist Thomas Thieme, Spezialist f�r kernige Charaktere der Zeitgeschichte, von Helmut Kohl bis Uli Hoeness, die perfekte Besetzung. Der Bild gewordene, ruppig bis ungehobelte Kohlenh�ndlersohn, der Politiker nicht ausstehen kann. Ein Mann wie eine deutsche Eiche, die gef�llt wird. „Er braucht nicht immer nur das gesprochene Wort, um eine Figur zu charakterisieren. Ein Blick, ein Zug an der Zigarre, und du wei�t genau, was er meint“, sagt Rosenm�ller �ber Thieme.
"Buten & binnen": ein Filmbeitrag zu den Dreharbeiten von "Die Aff�re Borgward"
Die Hoch-Zeiten des politischen Doku-Dramas sind lange vorbei, Heinrich Breloer scheint in den letzten Jahren allein in Raymond Ley einen ebenb�rtigen Nachfolger gefunden zu haben. Seine beiden letztj�hrigen Doku-Dramen, „Lehman. Gier frisst Herz“ und „Die Aldi-Br�der“ waren sehenswert, aber keine allzu gro�en W�rfe. Da wirkt nun ausgerechnet das Doku-Drama eines Spielfilmmachers, der bei aller Erfahrung mit historischen Genres („Gottes m�chtige Dienerin“ / „Die Holzbaronin“) zuletzt die Untiefen der ZDF-„Taunuskrimis“ inszeniert hat, ein St�ck weit �berzeugender. Es gef�llt vor allem die Art, wie Rosenm�ller aus der Not eine filmische Tugend macht – und fehlende Zeitzeugen ersetzt durch die Charaktere/Schauspieler, denen er aufschlussreiche Originalzitate in den Mund legt. Dadurch kann er die Spielszenen von allzu viel Info-Ballast befreien und bringt eine willkommene andere Farbe in die Montage (Kameramann Stefan Spreer wechselt in diesen Statements auf Schwarzwei�). Eine unterhaltsame Abwechslung stellen auch gelegentliche Archivaufnahmen� dar: vom launigen Isabella-Werbefilm bis zu Adenauers Neujahrsansprache. Wie ein Fremdk�rper oder – positiv ausgedr�ckt – emotionaler V-Effekt wirkt dagegen die einzige Zeitzeugin im Film: Tochter Monica Borgward. Sicherlich ist es auch das Thema, das man so nicht auf der Agenda hatte, was f�r den Film einnimmt. Der „Fall Borgward“ –� dies w�re der ehrlichere, aber weniger wirkungsvolle Titel – bespiegelt Aufstieg und Fall eines Unternehmens, ein Ph�nomen, das gen�gend universale Kraft mit einem kr�ftigen Hauch von Wirtschaftskrimi besitzt, um aus sich selbst heraus zu faszinieren. Das d�rfte vor allem f�r Zuschauer funktionieren, die die 1950er und 1960er Jahre bewusst miterlebt haben, oder f�r die Babyboomer, die sich wunderten, dass eine der formsch�nsten Karossen im Autoquartett auf den Stra�en der sp�ten Sixties immer seltener zu sehen waren. Relevanz besitzt „Die Aff�re Borgward“ selbstredend auch als ein St�ck bundesdeutsche Zeitgeschichte. Und auch wenn sich die Zeiten und Machtverh�ltnisse ver�ndert haben, einiges in diesem Film k�nnte auch j�ngeren Menschen frappierend bekannt vorkommen. (Text-Stand: 15.12.2018)
Foto: NDR / J�rg LandsbergHat man den Bock zum G�rtner gemacht? Der Sanierer Dr. Semler (Bruno Eyron)
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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