»Das hat mich irritiert« | Jüdische Allgemeine

Leitkultur

»Das hat mich irritiert«

Jens Spahn: »Es geht nicht darum, eine Religion an den Pranger zu stellen.« Foto: dpa

Herr Spahn, Sie haben in einem Rundfunkinterview gesagt, dass Sie mit orthodoxen Juden, die einer Frau nicht die Hand geben, ein Problem haben. Wie oft hatten Sie denn dieses Problem schon ganz konkret?
Es ist gelebtes Miteinander, dass wir uns die Hand zur Begrüßung geben. Wer dieses kulturell normale Ritual verweigert, muss sich zumindest erklären und transparent machen, was ihn dazu bewegt. Hat die Verweigerung des Handschlags einer Frau mit deren angeblicher Unreinheit oder sonst einer Form von Missachtung zu tun, dann habe ich damit ein Problem. Ich habe es einmal bei einem Besuch beim früheren israelischen Gesundheitsminister – einem orthodoxen Juden – erlebt, dass er den weiblichen Mitgliedern unserer Delegation nicht die Hand geben wollte. Es war für mich irritierend, dass man Frauen nicht die Hand gibt, nur weil sie Frauen sind.

In Deutschland haben Sie diese Irritation durch orthodoxe Juden noch nicht erlebt?
Es geht nicht darum, eine Religion an den Pranger zu stellen. Wenn wir über Leitkultur und Integration sprechen, dann darf man fragen, warum der Umgang mit Frauen aus religiösen und kulturellen Gründen anders ist als mehrheitlich üblich. Die gleiche Frage stelle ich auch an Imame, die den Handschlag verweigern.

Auch manche orthodoxe Frauen geben anderen Männern nicht die Hand.
Wie gesagt: Das ist erst mal irritierend, denn dahinter steckt ja auch ein bestimmtes Bild von Mann und Frau, das sich nicht von selbst erklärt. Deshalb müssen wir darüber reden, uns gegenseitig zuhören, auch wenn es manchmal vielleicht schwierig ist. Nur so kann Zusammenhalt entstehen.

Irritiert es Sie auch, wenn Ihnen Ihre Ärztin aus hygienischen Gründen nicht die Hand gibt?
Mit Ihrer Frage machen Sie ja schon den Unterschied deutlich: In einem Krankenhaus geht es darum, die Übertragung von Keimen zu vermeiden. Wenn wir uns aber zum Beispiel in einer Fußgängerzone treffen würden und meine Ärztin mir dort nicht die Hand gäbe, fände ich das komisch.

Sie sagten, dass Sie es ausschließen möchten, dass jemand einer Frau nicht die Hand gibt. Wollen Sie den Handschlag gesetzlich anordnen?
Nein, natürlich nicht. Das war in dem Interview missverständlich formuliert, es ergab sich aus der Fragestellung. Aber wir müssen offen darüber sprechen. Bei uns gab es früher in der katholischen Kirche daheim die Westfälische Reihe, Männer und Frauen saßen getrennt. Das hat sich geändert, denn es passte nicht mehr zu unserer Vorstellung von Gleichberechtigung. Gebräuche sind ja nicht statisch, sondern etwas Fließendes.

Meinen Sie im Nachhinein, dass Ihr Verweis auf orthodoxe Juden ein gelungener Beitrag zur Leitkultur-Diskussion war?
Das hätte ich klüger formulieren können. Aber wir müssen darüber reden, welche Werte, Prinzipien, Alltagsrituale und kulturellen Eigenheiten uns als Gesellschaft zusammenhalten. Ein Dialog der Religionen heißt: darüber reden, erklären, verstehen. Viele meinen: Das Grundgesetz reicht! Doch regelt das Grundgesetz erst einmal das Zusammenleben von Staat und Bürger. Zum Beispiel steht unser geschichtlich bedingtes besonderes Verhältnis zu Israel nicht in der Verfassung. Das ist ein gesellschaftlicher Konsens, den man auch angesichts der Zuwanderung aus arabischen Ländern immer wieder neu erarbeiten muss. Denn wir importieren da auch Antisemitismus. Eine weitere Debatte, die dringend geführt werden muss.

Mit dem Mitglied des CDU-Präsidiums sprach Detlef David Kauschke.

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