Jean-Claude Juncker: „Ich war selbst lange Putin-Sympathisant“ | Luxemburger Wort
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Gast im FAZ-Podcast

Jean-Claude Juncker: „Ich war selbst lange Putin-Sympathisant“

In einem deutschen Podcast gesteht der ehemalige luxemburgische Premier und frühere EU-Kommissionschef persönliche Fehleinschätzungen.

Jean-Claude Juncker ist noch immer ein gern gesehener Gesprächspartner, hier als Gast beim „Wortwechsel“-Podcast.
Jean-Claude Juncker ist noch immer ein gern gesehener Gesprächspartner, hier als Gast beim „Wortwechsel“-Podcast.  Foto: Christophe Olinger

Luxemburgs ehemaliger Premierminister und vormaliger EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist auch nach seiner aktiven politischen Karriere ein gefragter Gesprächspartner. So jüngst in der aktuellen Folge des „FAZ Podcast für Deutschland“, die sich mit der Frage beschäftigte „Zerbricht Europa an der Gretchenfrage: Wie hältst du es mit Russland?“

Für Juncker ist diese Frage zunächst an EU-Regierungschefs adressiert, die mehr oder weniger offen mit dem Putin-Regime sympathisieren, wie beispielsweise Viktor Orbán (Ungarn) und Robert Fico (Slowakei). Aber auch ein wenig an sich selbst, denn „ich war lange auch Sympathisant Putins“. Allerdings habe sich das mit der Annexion der Krim und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine geändert.

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Wie also umgehen mit denjenigen, die die offizielle Position der Europäischen Union zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine infrage stellen? Ignorieren, lautet die Antwort des ehemaligen luxemburgischen Premiers. „Man kann eigentlich nichts anderes tun, als die Empfangsgeräte abzuschalten“, so Juncker.

Unüberhörbar ist allerdings der Dissens innerhalb des deutsch-französischen Tandems, dem „europäischen Motor“. Während Emmanuel Macron laut darüber nachdenkt, westliche Bodentruppen in der Ukraine einzusetzen, kontert der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem entschiedenen Ausschluss dieser Möglichkeit für deutsche Soldaten. „Darauf können sie sich verlassen“, sagte der Kanzler in einer Videoansprache.

Eine Stunde Krieg ist teurer als zehn Jahre EU.

Jean-Claude Juncker
Ehemaliger luxemburgischer Premier und vormaliger EU-Kommissionspräsident

Junckers Analyse klingt ebenso belastbar. „Wer Solo-Touren aufs Parkett legt, macht sich bewusst oder unbewusst des Verdachts schuldig, das Spiel Putins mitzuspielen.“ EU-Mitglieder sollten keine Standpunkte dieser Tragweite äußern, die nicht mit den europäischen Partnern abgesprochen sind, lautet seine Empfehlung. Junckers Diagnose: „Putin ist der Nutznießer europäischen Dissens.“

„Lahmarschiges“ Europa

Hinter Macrons Äußerungen, die auch in Luxemburg Widerhall fanden, steckt das Kalkül, dem außenpolitischen und militärischen Gegner nicht offen zu kommunizieren, wo die eigenen Grenzen der Handlungsbereitschaft verlaufen, sondern vielmehr deutlich zu machen, wie weit man bereit ist zu gehen. Und so könnte der aufmerksame Zuhörer meinen, die junker’sche Ermahnung zielte auf eben jenen forschen französischen Präsidenten ab.

Auf Nachfrage von Moderator Simon Strauß allerdings macht Juncker deutlich: „Ich bin der Auffassung, dass man in einer derart zugespitzten Konfliktsituation niemals sagen soll, was man nicht tut.“ Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Olaf Scholz. Allerdings, so Juncker weiter, würde andererseits das Entsenden von „EU-Soldaten“ einen langfristigen Schaden verursachen. „Wir sollten unseren Kindern nicht zumuten, in einer ‚Nach-Kalter-Krieg-Atmosphäre‘ leben zu müssen, die sich immer weiter aufheizt.“

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Nach dem Ende der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre und dem einsetzenden politischen Tauwetter zwischen Ost und West, glaubte nicht nur Jean-Claude Juncker, „dass Europa in eine glänzende Zukunft“ gehen würde. Doch er habe sich von der „Friedensdividende“ täuschen lassen, als EU-Kommissionspräsident sei er nicht auf die von mitteleuropäischen Ländern geäußerten Sicherheitsbedenken hinsichtlich Putins Russland eingegangen. „Ich war naiv und fühle mich des Trugschlusses schuldig“, gesteht der Luxemburger.

Wir kennen Trump mittlerweile. Aber einfach wird es auch mit einem demokratischen Präsidenten nicht.

Jean-Claude Juncker

Immerhin, zur Ehrenrettung, habe er 2015 für die Schaffung einer europäischen Armee plädiert. „Dafür bin ich innerhalb und außerhalb Europas beschimpft worden“, ärgert sich Juncker noch heute. Besser vorbereitet sieht er die Europäische Union für den Fall, dass Donald Trump im November für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus einzieht. „Wir kennen Trump mittlerweile. Aber einfach wird es auch mit einem demokratischen Präsidenten nicht.“ Denn für beide gelte das Credo „America first“.

Mit Blick auf die EU-Wahlen im Juni steht zu befürchten, dass vor allem rechtspopulistische Kräfte daraus gestärkt hervorgehen. Dieser anzunehmende Rechtsruck laut Juncker gehöre zusammen mit einem Krieg auf kerneuropäischem Boden zu den größten Gefahren für die EU. „Eine Stunde Krieg ist teurer als zehn Jahre EU“, kommentiert Juncker. Die europäischen Bevölkerungen müssten enger zusammenrücken, auch emotional. „Die Menschen sind ‚lahmarschig‘ geworden, wir lieben uns in Europa nicht genug, um aus dem Reichtum Europas eine Kraft zu entwickeln, die den Kontinent eint und nicht auseinanderdividiert.“

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